Wahlmüdigkeit in Europa
7. April 2009DW-WORLD.DE: Warum sollen Ihre Vorhersagen genauer sein als andere zuvor?
Henry Werner: Zunächst einmal gab es, was die europäische Ebene angeht, überhaupt keine Vorhersagen. In Deutschland konnte man durchaus Umfrageergebnisse sehen, wie die Wähler in Deutschland entscheiden würden, aber eine Vorhersage für ganz Europa - so merkwürdig es klingt - gab es bislang nicht. Es gibt allerdings auch gute Gründe dafür, nationale Umfrageergebnisse nicht einfach nur zusammenzuzählen, sondern sie, so wie wir das jetzt tun, mathematisch zu überarbeiten. Das hat den ganz einfachen Grund, dass die Bürger, wenn sie auf der Straße und am Telefon gefragt werden, wie sie in zwei Monaten bei der Europawahl abstimmen werden, möglicherweise nicht einmal darüber im Bilde sind, dass es eine Europawahl gibt. Das heißt, sie sagen dann spontan: "Ich würde Partei xy wählen.“ Aber eigentlich nennen sie dann die Partei, die sie in einer nationalen Bundestagswahl bevorzugen würden. Am Ende gehen in Deutschland ungefähr 45 Prozent zur Wahl und die entscheiden sich dann womöglich ganz anders, als sie es vielleicht zwei Monate vorher getan haben. Das heißt, wir haben eine sehr starke Verzerrung – viel stärker als bei der Bundestagswahl. Dort sagen die Leute ungefähr das, was sie wählen würden, und das wählen sie dann auch. Bei der Europawahl haben wir eigentlich die Tendenz, dass die Ergebnisse deutlich von dem abweichen, was man vorher in Umfrageergebnissen herausgefunden hat.
Sie haben eine mathematische Formel erfunden, mit der sie Prognosen genauer erstellen können. Wie sind denn die Trends? Liegen die Konservativen, die bislang die stärkste Gruppe im Parlament waren, weiterhin vorne?
Sie werden weiterhin vorne liegen, obwohl sich natürlich erst zeigen muss, wie die neue Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) aussehen wird. Da gibt es ja Abtrünnige: die Konservativen aus Großbritannien und Tschechien. Dennoch ist ganz markant, dass trotz einiger sehr starker Verschiebungen in verschiedenen Ländern das Gesamtergebnis in erster Linie eins zeigt: Die europäischen Wähler setzen auf Konstanz. Das heißt, das neue Parlament, das etwas kleiner sein wird, wird von den Anteilen der einzelnen Fraktionen ziemlich genau so aussehen wie es im Moment der Fall ist: also mit der konservativen EVP als größter Fraktion, den Sozialdemokraten als zweitgrößter Fraktion und den Liberalen als drittgrößte. Alle mit ziemlich genau der Größe, die sie bisher auch hatten.
Welche Themen spielen denn bei der Entscheidung der europäischen Wähler eine Rolle? Wirkt sich die Wirtschaftskrise hier aus?
Wir untersuchen im Rahmen unserer Studie nicht die Beweggründe, da wir im Grunde genommen bereits ermittelte Umfrageergebnisse weiterbearbeiten. Wir haben die üblichen Fehlerfaktoren erkannt und korrigieren sie aus den Ergebnissen heraus. Was die Wähler letztlich dazu bewegt, eine bestimmte Stimme für eine Partei abzugeben, können wir nicht sehen. Das Ergebnis deutet für uns aber ganz klar darauf hin, dass die Wähler sich zunächst einmal nicht von der Wirtschaftskrise beeinflussen lassen. Das kann man unter anderem daran ablesen, dass die prognostizierte Stimmenzahl für die Europa skeptischen Parteien nicht wesentlich steigen wird.
Ein Problem aus Sicht des Parlaments ist die äußerst niedrige Wahlbeteiligung: In manchen Mitgliedsländern liegt sie nur bei 20 bis 30 Prozent. Wie wird das diesmal aussehen?
Unsere Studie prognostiziert nicht die Wahlbeteiligung. Allerdings ist das einer der verzerrenden Faktoren, die wir mit einrechnen, dass eben in einem Land wie der Slowakei zuletzt 17 Prozent wählen gegangen sind. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf das Ergebnis, denn die, die zur Wahl gehen, haben meistens einen guten Grund zu gehen. Da profitieren häufig die kleineren und die Europa skeptischen Parteien. Eine sinkende Wahlbeteiligung, die wir in den meisten europäischen Ländern haben, heißt im Prinzip, dass kleine und Europa skeptische Parteien durchaus profitieren können. Außerdem erkennen wir sehr häufig, dass Europawahlen auch als eine Art Denkzettel-Wahlen benutzt werden. Der Trend, dass die Stimmen eben nicht an Regierungsparteien und nicht an die großen Parteien gegeben werden, wird sich wohl auch in diesem Jahr bewahrheiten.