Grünes Licht für Serbien
28. Februar 2012Präsident Boris Tadic feiert seinen Verhandlungserfolg: "Mein politischer Standpunkt 'Sowohl Europa als auch Kosovo' sichert eine Zukunft Serbiens in Europa und schützt gleichzeitig unsere nationalen Interessen. Damit zeigt sich, dass Serbien ein Stabilitätsfaktor in Südosteuropa ist", sagte Tadic.
"Sowohl Europa als auch Kosovo"
In der neunten Verhandlungsrunde zwischen Serbien und Kosovo unter Vermittlung der Europäischen Union war Ende vergangener Woche der Durchbruch gelungen. Mit einer Vereinbarung in Brüssel einigten sich die beiden Seiten in den wichtigsten Streitpunkten auf Kompromissformeln: Die mehrheitlich von Albanern bewohnte Region kann künftig bei internationalen Konferenzen unter dem Namen "Kosovo" - ohne den Zusatz "Republik“ - auftreten und auch selbst Abkommen schließen. Bislang unterzeichnete die dortige UN-Verwaltung Abkommen in seinem Namen.
Dies bedeutet aber nicht, dass Serbien die Unabhängigkeit des Landes damit anerkennt. Um das zu verdeutlichen, soll der Name Kosovo bei internationalen Verhandlungen mit einem Sternchen versehen werden. Dieses Sternchen verweist auf eine Fußnote, die besagt, dass mit diesem Namen keine Anerkennung der Unabhängigkeit verbunden ist. Außerdem wird auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 1999 hingewiesen, in der das Kosovo als Teil Serbiens anerkannt wird.
Name mit Sternchen
Kosovo hatte sich im Februar 2008 für unabhängig von Serbien erklärt. Die Regierung in Belgrad betrachtet es aber weiterhin als Teil ihres Landes. Eine vollständige völkerrechtliche Anerkennung steht noch aus. 22 der 27 EU-Mitglieder haben Kosovo bisher anerkannt.
Serbien und Kosovo haben nun auch in einem lange schwelenden Streit Fortschritte gemacht: Beide Seiten stimmten nun der bereits im Dezember vereinbarten Regelung zur Verwaltung der gemeinsamen Grenze sowie zur Reisefreiheit endgültig zu.
Vom Außenseiter zum Beitrittskandidat
Serbien als Stabilitätsfaktor in der Region - davon konnte lange Zeit nicht die Rede sein. Denn Serbiens Führung hatte die Balkan-Kriege der 1990er Jahre wesentlich mitverursacht, die Konfliktherde immer wieder neu angefacht und auch nach Kriegsende für stete Unruhe und Instabilität in der Region gesorgt.
Die Politik Belgrads wurde über Jahre durch eine anti-westliche und anti-europäische Haltung bestimmt. Man berief sich immer wieder auf die alte Verbundenheit mit Russland, beschwor die "ewige Brüderschaft des serbischen und russischen Volkes" und suchte in Moskau Schutz vor dem "feindlichen" Brüssel.
Breiter Euroskeptizismus in Serbien
Zwar befürworten inzwischen fast alle wichtigen politischen Parteien eine Annäherung an die EU, doch ist der Euroskepsis im Land keinesfalls verschwunden. Einige Meinungsumfragen zeigen, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung bei einem Referendum gegen einen EU-Beitritt stimmen würde.
Ihr Sprachrohr ist die Demokratische Partei Serbiens (DSS) des früheren Premierministers Vojislav Kostunica. Seine Botschaft ist klar: "Europa schadet uns!" Serbien, so Kostunica, sei in Gefahr, aber die Regierung "kümmert sich nicht darum, sie kümmert sich nicht um das hungrige Volk. Sie kümmert sich nur darum, ob die EU, nach all den Erpressungen und Drohungen gegen Serbien, dem Land nun einen Kandidatenstatus geben wird. Diese Regierung ist bereit, Serbien und seine nationalen Interessen dem Kandidatenstatus zu opfern." Statt eines "kopflosen Wegs in die EU" fordert Kostunica: "Serbien zuerst".
Selbst viele Befürworter sehen in einem EU-Beitritt eher eine Lösung in der Not als eine beflügelnde Perspektive. So schwingt wenig Enthusiasmus und viel Nüchternheit mit, wenn der frühere serbische Botschafter in Deutschland, Ognjen Pribicevic, sagt: "Wenn man unseren tristen Alltag vor Augen hat und sich klar macht, dass Serbien weder seine wirtschaftlichen noch seine politischen Probleme alleine lösen kann, ist es sinnlos, die Zukunft Serbiens woanders zu sehen als in der Europäischen Union."
Langes Hadern mit dem Haager Tribunal
Neben der Kosovo-Frage war jahrelang eine mangelnde Zusammenarbeit mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag eines der Haupthindernisse für die Annäherung Serbiens an die EU. Zwar lieferte die Regierung von Zoran Djindjic den einstigen Präsidenten Slobodan Milosevic schon 2001 an das Haager Tribunal aus. Doch dauerte es noch lange, bis auch die beiden letzten Hauptangeklagten nach Den Haag überstellt waren: Der bosnische Serben-Führer Radovan Karadzic wurde 2008 und sein General Ratko Mladic 2011 den UN-Richtern vorgeführt.
Nun scheint mit der Kosovo-Einigung auch die letzte Hürde Serbiens auf dem Weg in die EU genommen zu sein. Anfang Dezember hatten es die europäischen Staats- und Regierungschefs noch abgelehnt, Serbien zum EU-Beitrittskandidaten zu ernennen. Vor allem Deutschland, Österreich und die Niederlande hatten schwere Bedenken erhoben. Denn kurz zuvor hatten Kosovo-Serben bei einer Demonstration deutsche Soldaten der NATO-geführten Kosovo-Schutztruppe in der Grenzregion zu Serbien verletzt.
Die Chancen stehen nun nach der Einigung gut: Am Freitag (02.03.2012) soll auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs die endgültige Entscheidung über den Beitrittskandidatenstatus für Serbien fallen.
EU-Beitritt vor Augen
Das deutete sich schon Ende vergangener Woche an, als der deutsche Außenminister Guido Westerwelle Belgrad besuchte. Westerwelle erklärte, die Bundesregierung erkenne an, was "Serbien seit der Entscheidung im Dezember an Veränderungen geleistet hat". Belgrad dürfe in seinen Bemühungen nicht nachlassen: "Das Ziel ist vor Augen, es ist erreichbar." Zuvor hatten sich bereits die Außenminister Frankreichs, Italiens und Österreichs in einem gemeinsamen Brief dafür ausgesprochen, Serbien den Kandidatenstatus zu verleihen.
Für Serbien wäre diese Entscheidung von großer Bedeutung. Denn mit einem Kandidatenstatus würde das Land ein positives Signal und eine europäische Perspektive bekommen, sagt der Belgrader Politologe Nikola Jovanovic. "Sollte die Entscheidung erneut verschoben werden, würde Serbien für längere Zeit von der europäischen Agenda verschwinden", befürchtet er. Mit dem Kandidatenstatus würde sich konkret zunächst nur wenig ändern - sowohl für Serbien als auch für die EU. Denn als Beitrittskandidat ist man erst am Anfang eines langen und anstrengenden Weges.
Autor: Zoran Arbutina
Redaktion: Robert Schwartz