Europäisches Cloud-Projekt großes Thema
29. Oktober 2019Deutsche und europäische IT-Anbieter sollen sich künftig zu einem Netzwerk zusammenschließen, bei dem Unternehmen ihre Daten sicher und selbstbestimmt speichern und verarbeiten können. Das ist der Kern eines ambitionierten Projekts für eine europäische Daten-Infrastruktur als Alternative zu Diensten amerikanischer Internet-Riesen, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstag auf dem Digital-Gipfel in Dortmund präsentiert hat.
Das Cloud-Netzwerk Gaia-X soll unter anderem europäischen Firmen auch den Weg zu digitalen Geschäftsmodellen ebnen. Es soll etwa auch dabei helfen, mit Hilfe von Datenanalyse Krankheiten wie Krebs zu bekämpfen. Diverse praktische Fragen wie Kosten, Finanzierung oder Bedarf an Software-Entwicklern blieben bei dem europäischen Konzept jedoch zunächst noch offen.
Wirtschaftsminister stürzt beim Verlassen der Bühne
Kurz nach Vorstellung seiner Pläne war Altmaier beim Gang von der Bühne gestürzt. Der 61-Jährige CDU-Politiker sei zunächst vor Ort ärztlich versorgt und später für weitere Untersuchungen in eine Klinik gebracht worden, sagte eine Sprecherin seines Ministeriums. "Er wird aktuell im Krankenhaus weiter untersucht und beobachtet. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er ist ansprechbar und hat sich bereits bei den Sanitätern und Ärzten für die Versorgung bedankt."
"Die Wertschöpfung verschiebt sich, nicht nur innerhalb eines Marktes", hatte Altmaier zuvor in seiner Auftaktrede gesagt. Als Beispiel nannte er die Buchung einer Übernachtung für den Urlaub über das Internet. Früher habe das Reisebüro die Provision bekommen. Heute gehe ein Teil der Provision an die Plattformbetreiber, die häufig nicht in Deutschland oder Europa säßen. Diese neue Plattform-Ökonomie müssten die Europäer nun selbst in Angriff nehmen, damit die Wertschöpfung im Lande bleibe.
Pressekonferenz abgesagt
Details des Gaia-X-Projekts wollte Altmaier in einer anschließenden Pressekonferenz diskutieren, die jedoch wegen seines Sturzes abgesagt wurde. Die Erläuterung übernahm Staatssekretär Thomas Jarzombek. Im Frühjahr 2020 solle das "Projekt Gaia-X" gegründet werden. Der Livebetrieb soll dann Ende 2020 mit ersten Anbietern und Anwendern starten.
"Die Frage ist die: Wo ist am Ende die Wertschöpfung?", sagte Jarzombek. Die Plattformökonomie habe im Konsumentenbereich bewirkt, dass sehr viel Wertschöpfung bei Unternehmen aus den USA gelandet sei. "Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt auf die Industrie gucken." Angesichts von Zukunftstechnologien wie dem Internet der Dinge müsse man dazu kommen, "dass nicht Plattformen aus den USA oder anderen Ländern sich dazwischenschieben, am Ende die Wertschöpfung herausnehmen und die deutsche Industrie nur zu eine Art verlängerter Werkbank wird". Man müsse dazu kommen, nicht abhängig zu werden.
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärte, der Startschuss von Gaia-X sei ein herausragendes Ereignis für den Digitalstandort Deutschland. "Unternehmen und Regierung zeigen gemeinsam, dass Deutschland und Europa bereit sind, bei Speicherung und Nutzung von Daten völlig neue und vor allem eigenständige Wege zu gehen. Damit demonstrieren wir auch, dass das Gerede falsch ist, wonach wir in Europa im digitalen Zeitalter insgesamt nicht mehr konkurrenzfähig sind."
Starke Konkurrenz bei Cloud-Angeboten
Die Autoren des Papiers verwiesen aber auch auf starke Konkurrenz: "Die existierenden Cloud-Angebote werden von außereuropäischen Anbietern mit hoher Marktmacht und schnell skalierenden Cloud-Infrastrukturen dominiert." Europäische Alternativen seien allenfalls in fachspezifischen Nischen aktiv. Dagegen werde Gaia-X "die Grundlage eines offenen, digitalen Ökosystems, mit dessen Hilfe Unternehmen und Geschäftsmodelle aus Europa heraus weltweit wettbewerbsfähig skalieren können". Das solle Jobs und Wertschöpfung sichern.
Zu Umsetzung der Daten-Infrastruktur sei "eine zentrale, europäisch getragene Organisation" notwendig, heißt es in dem Papier. Eine Möglichkeit sei die Gründung einer Europäischen Genossenschaft, an der sich interessierte Partner beteiligen könnten. Das Netzwerk soll Unternehmen jeder Größe vernetzen - "vom Industriekonzern über Mittelständler bis hin zu Start-ups".
Sorge um Datenschutz
Das Projekt würde gegen etablierte Cloud-Dienste von Konzernen wie Amazon (AWS), Microsoft (Azure) und Google antreten. Diese haben bereits eine effiziente Größe erreicht und keinen Mangel an Geld oder Entwicklern. Zugleich wird in Europa die Sorge vor einem möglichen Zugriff von US-Behörden auf die Daten betont, auch wenn man sie mit Verschlüsselung weitgehend davor schützen kann.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bezeichnete Altmaiers Pläne zwar als grundsätzlich guten Ansatz. "Dringlicher wäre es aber, das Datenmonopol der großen US-Konzerne endlich zu brechen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir müssen aufhören, uns auf Gipfel-Veranstaltungen gegenseitig zu beklatschen und stattdessen dafür sorgen, dass die Digitalisierung endlich Fahrt aufnimmt." Deutschland hinke hinterher, und die Kanzlerin unternehme zu wenig, um das zu ändern.
Microsoft-Deutschland-Chefin Sabine Bendiek äußerte sich im Vorfeld des Digital-Gipfels skeptisch zu den Plänen. Der Begriff der digitalen Souveränität werde zu oft mit Autarkie vermischt. Handlungsfähig könne in der Digitalwirtschaft jedoch nur sein, wer auf "smarte" Partnerschaften setze. Wenn das geplante Netzwerk qualitativ und wirtschaftlich nicht zeitnah mit etablierten Anbietern mithalten könne, werde der Erfolg ausbleiben, sagte Bendiek.
ul/hb (dpa/rtr)