Alltagsfotos aus Afrika gegen Klischees
27. Mai 2019Deutsche Welle: "Everyday Africa" arbeitet nach dem Slogan "re-picturing a continent". Ihr Ziel ist es also, einen Kontinent neu zu bebildern, neu zu imaginieren?
Austin Merrill: "Everyday Africa" versucht zu zeigen, dass das Leben für die meisten Leute auf dem afrikanischen Kontinent ganz normal abläuft und sich gar nicht so sehr vom Leben in den USA, Lateinamerika oder Europa unterscheidet. Es ist nicht so, dass ganz Afrika voll Korruption, Krankheit und Armut ist, wie man es ständig in den Medien sieht. Mit diesen Vorurteilen wollen wir brechen.
Haben Sie mit dem Erfolg von "Everyday Africa" gerechnet?
Austin Merrill: Wir hätten nie gedacht, dass es so groß werden würde. Peter DiCampo und ich haben das Projekt 2012 gestartet. Wir hatten beide in Westafrika gelebt, ich vier Jahre an der Elfenbeinküste, er in Ghana, also kannten wir diesen Teil Westafrikas ganz gut. Wir arbeiteten an einer Reportage über eine Krisensituation. Aber wir merkten schnell, dass es genau so eine Geschichte werden würde, die man ständig in den Nachrichten über diese Region sieht. Und vielleicht war es viel wichtiger, dass wir einmal erzählen, dass die Menschen dort gleichzeitig ein ganz normales Leben führen. So fing es an, und es traf einen Nerv. Es begann in Afrika, und heute ist es ein globales Phänomen.
Maheder Haileselassie, wie sind Sie zu "Everyday Africa" gekommen?
Maheder Haileselassie: Ich hörte über Freunde davon, die selbst schon Fotos auf "Everyday Africa" posteten. Ich schaute mir ab und zu ihre Arbeiten an. 2017 wurde ich dann Mitglied.
Warum haben Sie sich damals für Instagram als Plattform entschieden?
Austin Merrill: Wir fingen 2012 bei Tumblr an. Nach einigen Monaten sahen wir, wieviel Aufmerksamkeit Instagram bekam, und wir wechselten die Plattform. Wir versuchen aber auch, andere Verbreitungswegen zu finden, unabhängig von Instagram. So gibt es zum Beispiel wandernde Ausstellungen, vor zwei Jahren erschien ein "Everyday Africa"-Buch. Ob wir in den Medien auftreten oder in Schulklassen mit Teenagern über Fotografie in verschiedenen Teilen der Welt reden - es gibt zahlreiche verschiedene Arten, diese Geschichte zu erzählen. Instagram ist die größte davon, aber nicht die einzige.
Gibt es eine redaktionelle Vorauswahl oder laden die Fotografen einfach ihre Bilder hoch?
Maheder Haileselassie: Das ist das Tolle an "Everyday Africa": Alle Fotografen haben das Passwort zum Instagram-Profil. Wir können also Bilder posten, wann immer wir wollen.
Also basiert das Projekt stark auf Vertrauen. Wie wird man überhaupt "Everyday Africa"-Fotograf? Sie haben ja sicher viele Bewerber…
Austin Merrill: Es ist so populär geworden, dass wir Auswahlkriterien finden mussten. In den nächsten Tagen werden wir 16 neue Fotografen aufnehmen, die wir ausgewählt haben, die sich auf unseren Aufruf hin beworben hatten. Wir werden immer nach neuen Fotografen suchen. Anfangs habe ich noch viele meiner eigenen Bilder gepostet, jetzt mache ich das kaum noch. Ich kümmere mich um die Plattform, während Maheder und die anderen ihre Fotos hochladen.
Wir schreiben den Fotografen nicht vor, was sie posten dürfen und was nicht. Wir reden am Anfang mit ihnen, wenn sie beitreten. Wir wollen sichergehen, dass alle beitragenden Fotografen unsere Ziele verstehen. Und wir vertrauen darauf, dass die Bilder, die hochgeladen werden, diese Alltagsgeschichten erzählen. Natürlich ernten wir hin und wieder Kritik. Zum Beispiel kann auch mal ein Foto dabei sein, von dem Sie vielleicht denken: "Das ist aber doch wieder ein klischeehaftes Bild von Afrika." Aber das steht dann neben einem Bild von jemandem bei der Arbeit oder zwei Leuten beim Abendessen. Es ist die Verbindung dieser Dinge, die zusammen einen Schnappschuss des alltäglichen Lebens ergeben.
Maheder Haileselassie, verfolgen Sie mit ihren eigenen Bildern ein ähnliches Ziel?
Maheder Haileselassie: Ja, ich denke schon. Aber vielleicht nicht ganz so bewusst. Ich verwende Instagram als eine Art Skizzenbuch. ch denke gar nicht an Instagram, wenn ich Fotos mache, sondern bilde einfach meinen Alltag ab. Meinen Weg zur Arbeit zum Beispiel. Wenn ich dann meinen Feed durchgucke, sehe ich mein Leben vor mir, wo ich war und was ich erlebt habe. Es passt also ganz gut zu dem, was "Everyday Africa" versucht. Wir verfolgen also ein gemeinsames Ziel.
Was sind Ihre nächsten Ziele?
Austin Merrill: (lacht) Eine gute Frage. Das versuchen wir ständig neu herauszufinden. Wir haben jetzt eine gemeinnützige Organisation mit dem Namen "Everyday Projects". Es gibt mittlerweile weltweit dutzende "Everyday"-Projekte. Manche sind geografisch, manche wiederum themenbasiert, zum Beispiel "Everyday climate change" oder "Everyday extinction". Wir bringen diese verschiedenen Projekte zusammen und bilden eine Gemeinschaft von Fotografen. Wir können alle viel voneinander lernen, denke ich.
Waren Sie an der Entwicklung der anderen "Everyday"-Plattformen beteiligt?
Austin Merrill: Nein. Aber wir freuen uns darüber, dass andere unsere Idee aufgreifen. Wir wollten noch mehr Fotografen Mut machen. Darum haben wir die Website everydayprojects.org entwickelt, auf der unter anderem steht, wie du deine eigene "Everyday"-Seite anlegen kannst. Jeder soll diese Möglichkeit haben, egal, wo er lebt. Wir hoffen, dass wir einen Weg finden, wie wir zukünftig zusammenarbeiten, um diese Alltagsgeschichten weltweit mehr in den Fokus zu bringen.