Evolution statt Revolution im Telefongeschäft
17. Oktober 2005"Ich wusste, dass alles vorbei war, als ich Skype herunterlud", erklärte Michael Powell, Chairman der US-Bundesbehörde für Kommunikation FCC schon 2004. "Die Welt wird sich jetzt unaufhaltsam ändern."
Tatsächlich hat sich die Welt der Telekommunikation seitdem ernorm verändert. Einen Aufruhr wie um Skype gab es seit seeligen Zeiten der Dotcom-Ära nicht mehr: Das Programm ermöglicht kostenloses Telefonieren von Computer zu Computer und kann mit gigantischen Wachstumszahlen glänzen: in zwei Jahren 54 Millionen Mitglieder in 225 Ländern und Gebieten. Täglich wächst die Zahl der Skype-Nutzer um 150.000 - das alte Versprechen vom freien Telefonieren über das Internet scheint sich zu erfüllen.
Man braucht einen schnellen Internetzugang und ein Headset, Gebühren werden bei Skype nur fällig, wenn man ein Handy oder einen Festnetzanschluss anruft.
Das Sterbeglöckchen für die Großen?
Viele Analysten wollen schon das Sterbeglöckchen für die Großen im Billionengeschäft der Telekommunikation gehört haben. "How Internet killed the phone business", titelte jüngst das britische Wirtschaftsmagazin "Economist". Klar ist: "Voice Over Internet Protocoll" oder schlicht VoIP wird zumindest einmal die Todesursache für das klassische Festnetz heißen. Im Unterschied zur klassischen Telefonie wird bei der VoIP-Technik nicht über "Standleitungen" durchgeschaltet, sondern Sprache in kleinen Paketen über verschiedene Wege transportiert.
Der Nutzer merkt keinen Unterschied zum "normalen" Telefonieren. Die Betreiber können kostengünstig Verbindungen anbieten - wie bei Skype umsonst. Marktforscher rechnen mit einem Umsatzverlust zwischen sechs und zehn Prozent für die europäischen Festnetzbetreiber.
Die Vorteile des digitalen Telefonierens liegen aber nicht nur im Preis: Firmen haben die Möglichkeit, global Standorte intern zu vernetzen. Gesprächskosten fallen bei IP-basierten Sprachverkehr nicht an und ein Mitarbeiter kann sogar seine Telefonnummer behalten, wenn er nach Tokio versetzt wird. Ein Kostensenkungspotenzial, das viele Firmen neugierig macht. "Alle größeren Konzerne haben VoIP-Projekte - auch die Deutsche Bank", sagt Stefan Heng, Telekommunikationsexperte der Deutschen Bank Research.
Das große Kaufen
Das weltweit größte Interntauktionshaus Ebay ließ sich die Übernahme von Skype stolze 2,6 Milliarden Euro kosten. AOL hat den Start eines Internet-Telefon-Dienstes angekündigt, Google steht mit Google-Talk in den Startlöchern. Yahoo hat den Internettelefonie-Anbieter Dialpad gekauft, Microsoft übernahm Teleo. Vor wenigen Tagen gaben die beiden Branchenriesen bekannt, dass sie zukünftig gemeinsam auf dem Markt des "Instant Messaging" auftreten wollen, selbstverständlich inklusive der Möglichkeit, auch Sprachbotschaften auszutauschen.
Der nächste Hype
Wird VoIP also klassische Anbieter wie Deutsche Telekom langfristig in die Knie zwingen? Nein, meint der Deutsche-Bank-Analyst Heng: "Das Potenzial der Internet-Telefonie als allein stehendes Produkt wird bislang deutlich überschätzt", wiederholt er schon seit geraumer Zeit. Heng spricht von einem Hype. Er wird dabei von einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens Forrester Research bestätigt, wonach eine "Sprengung der Marktstrukturen nicht zu erwarten" sei. Vielmehr dürften die Ex-Monopolisten auch in Zukunft den Markt dominieren. "Wir beobachten im Bereich der Konsumentennutzung von VoIP eine ähnliche Überbewertung des Marktes wie zu Zeiten des Dotcom- und des Telekommunikations-Hypes", schreibt Forrester-Analyst Lars Godell.
Forrester rechnet damit, dass VoIP bis 2010 einen Anteil von etwa 30 Prozent im Bereich der privaten Festnetztelefonie erobern wird. Die Technologie sei bislang noch nicht ausgereift. Noch offene regulatorische Rahmenbedingungen, mangelnde Durchsetzungskraft der Unternehmen, Zurückhaltung der Konsumenten und die schleppende Verbreitung von Breitband würden die Internettelefonie bremsen. Eine Annäherung an 100 Prozent sei in den nächsten 15 Jahren nicht zu erwarten.
Trumpf Kundenbeziehung
Klar ist aber auch, dass die Großen der Branche auf die Herausforderung durch VoIp reagieren und ihre Geschäftmodelle restrukturieren müssen. Der britische Anbieter BT stellt beispielsweise gerade sein gesamtes Netz auf VoIP um und hofft dadurch seine Netzbetriebskosten um 43 Prozent senken zu können.
Sicherlich werde die Verbreitung von VoIP dazu beitragen, dass sich neue Preis- und Angebotsmodelle durchsetzen, meint Heng. Wie etwa mit "Triple Play" im Portfolio: Internet, TV und Telefon als gebündeltes Produkt. "Die Großen könnten dabei am meisten profitieren", sagt Heng - indem sie ihre Kundenbeziehung halten und ihre Angebote damit direkt an den Kunden bringen können.