EZB-Banker im Stress
24. April 2015"Zunächst ist es ein Kick, es ist ein absoluter Adrenalin-Schub, diese Anforderung, mehr und noch mehr. Es dauert sehr lange, bis der Körper sagt, dass es jetzt genug ist." Der Organisationsanalyst liebt seinen Job bei der Europäischen Zentralbank.
Seinen Namen will er nicht genannt sehen. Seit mehr als 16 Jahren arbeitet er bei der EZB. Er ist hoch motiviert und engagiert, schließlich geht es ums große Ganze: die Rettung des Euro, die wirtschaftliche Zukunft Europas.
Dafür nimmt er zwölf bis 14 Stunden Arbeit pro Tag in Kauf, schaltet sein Blackberry auch abends und am Wochenende nicht aus. Er arbeitet wie im Rausch, übersieht sämtliche Warnsignale. "Im Kopf spinnt der Satz rum: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Man ist einfach erschöpft, ausgebrannt."
Irgendwann geht gar nichts mehr. "Ich bin in Situationen in Tränen ausgebrochen, die gar nicht zum Heulen sind. Aber da war dann einfach Ende."
Burnout lautet die Diagnose seines Arztes, der ihn anschließend für sechs Wochen zur Therapie in eine Klinik schickt. Für den EZB-Mitarbeiter war es die Rettung, wie er heute rückblickend feststellt. Während des Klinik-Aufenthalts lernt er langsam wieder, auf sich selbst zu achten und die eigenen Grenzen zu sehen.
Ein Drittel der Mitarbeiter sind von Burnout betroffen
In den letzten Jahren ist die Macht der Europäischen Zentralbank ständig gewachsen - und mit ihr die Aufgaben: von der Stabilisierung des Euro über das gewaltige Anleihen-Kaufprogramm bis zur Übernahme der Aufsicht über mehr 120 Großbanken in ganz Europa.
Dabei erntet die Zentralbank viel Kritik. Bei der Eröffnung der neuen Zentrale protestierten Tausende, Steine flogen und Polizeiautos brannten.
Mehr Macht und Einfluss, mehr Arbeit, aber auch mehr Gegenwind - all das führt zu einer dauerhaften Überlastung der Mitarbeiter, so die Gewerkschaft IPSO (International and European Public Services Organisation).
"Es wird ihnen zu viel zugemutet und sie muten sich selbst zu viel zu", analysiert IPSO-Vizepräsident Johannes Priesemann. "Es wurde schlichtweg zu viel aufgepackt auf die EZB und die Motivationslage ist sehr hoch. Das führt zu Erschöpfung, das führt zu Burnout."
In einer Umfrage unter rund 900 Beschäftigten kommen die Gewerkschafter zu alarmierenden Ergebnissen: Rund ein Drittel ist von einem Burnout betroffen, ein weiteres Drittel stark überlastet.
Die Gewerkschaft IPSO fordert mehr Personal
Die Personalsituation in der Bank ist seit Jahren angespannt. Obwohl mehr Personal benötigt wird, gibt es kaum neue feste Stellen.
Etwa die Hälfte der rund 2500 Mitarbeiter hat nach Angaben der EZB nur befristete Verträge oder sind Leiharbeiter. Im Vergleich dazu haben zum Beispiel von den rund 10.000 Mitarbeitern der Bundesbank nur 146 befristete Verträge.
Die Gewerkschafter fordern nun in einem offenen Brief von den Chefs der nationalen Notenbanken, die den EZB-Haushalt genehmigen müssen, 1000 zusätzliche feste Stellen.
"Es geht nicht an, dass auf feste Stellen Leiharbeiter gesetzt werden, die sich jedes Mal neu bewerben müssen. Wenn Kernaufgaben dauerhaft auf Leiharbeitnehmer übertragen werden, kann leicht etwas schief gehen, allein schon durch die Rotation", sagt Gewerkschafter Johannes Priesemann.
Er befürchtet "strategische und operationelle Risiken". Schlimmstenfalls könne die Zentralbank ihren Aufgaben nicht mehr angemessen nachkommen. Doch die nationalen Notenbanken haben seiner Ansicht nach wenig Interesse daran, die EZB zu groß und mächtig werden zu lassen.
Burnout – ein Tabuthema wird öffentlich
Depressionen am Arbeitsplatz, Erschöpfung bis hin zum Burnout – darüber zu sprechen, fällt vielen Betroffenen noch immer schwer. Die Angst, den Job zu verlieren, ist groß.
Schnell kann es heißen, der- oder diejenige sei nicht mehr leistungsfähig genug. Dabei brennen häufig diejenigen aus, denen ihre Arbeit Spaß macht und die sie besonders gut machen wollen. Ihr Perfektionismus ist einer der größten Risikofaktoren.
So erging es einem EZB-Banker, der viele Jahre im europäischen Zahlungsverkehr tätig war. Auch er will anonym bleiben. "Ich habe gedacht, ich darf keine Schwäche zeigen", erzählt er. "Aber die Panik, die Angst war real. Da habe ich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Ich habe es nicht mehr geschafft abzuschalten, nachts nur noch eine halbe Stunde geschlafen und schweißgebadet Panikattacken geschoben."
Arbeiten am Limit – auch für ihn war das normal. Die Erholungspausen wurden immer kürzer. Inzwischen hat er den Job gewechselt. Er findet, Unternehmen müssten sich dem Thema stellen und über die Gefahren aufklären. "Burnout ist auch ein gesellschaftliches Problem, das viel mit der Verdichtung von Arbeitsvorgängen und Informationsflüssen zu tun hat."
Die EZB will nun eine Hotline einrichten, bei der sich Mitarbeiter mit Problemen anonym melden können. In Zukunft soll auch stärker auf die Arbeitszeiten geachtet werden. Es sind erste Schritte, sich diesem Thema zu stellen. Ob es in Zukunft mehr Personal geben wird, dazu wollte man sich von Seiten der Zentralbank nicht äußern.