EZB stemmt sich gegen Unruhe der Märkte
15. Juni 2022Als Reaktion auf die jüngste Unruhe an den Finanzmärkten will die Europäische Zentralbank (EZB) Gelder aus dem Ende März ausgelaufenen Corona-Notkaufprogramm PEPP besonders flexibel einsetzen. Das teilte die Notenbank am Mittwochnachmittag nach einer Sondersitzung des EZB-Rates mit.
Zugleich beauftragte der Rat die zuständigen Ausschüsse des Eurosystems zusammen mit der EZB, die Fertigstellung eines neuen Kriseninstruments zu beschleunigen. In den vergangenen Tagen waren die Zinsen an den Kapitalmärkten stark gestiegen, während sich die Stimmung an den Aktienmärkten stark eingetrübt hatte. Besonders deutlich stiegen zuletzt die Kapitalmarktzinsen in südeuropäischen Ländern. Ein Grund für diese Entwicklung ist die Ankündigung der EZB, ihre Neukäufe von Staatsanleihen Anfang Juli einzustellen.
Die Anleger reagierten teilweise enttäuscht auf die Pläne der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Beruhigung der Anleihemärkte. Sie trennten sich zunächst am Mittwochnachmittag von italienischen Staatsanleihen und hievten damit im Gegenzug die Rendite der zehnjährigen Titel wieder über die Schwelle von vier Prozent. Der Euro konnte seine Gewinne ebenfalls nicht halten und kostete am Nachmittag 1,0430 Dollar.
Gemischte Reaktionen
Neil Wilson, Chef-Analyst von Markets.com zeigte sich der Nachrichtenagentur Reuters gegenüber wenig beruhigt: "Das ist nicht gerade beeindruckend. Das ist nicht gerade ein entscheidender Schritt, der einer Sondersitzung bedurft hätte. Die Märkte sind zwar etwas glücklicher, dass die EZB an neuen Werkzeugen arbeitet", sagte Wilson. Allerdings handelten Christine Lagardes Notenbanker auffallend langsam. Die steigenden Renditen zeigten jetzt die Risse, die die Geldschwemme der EZB mit billionenschweren Hilfsprogrammen im vergangenen Jahrzehnt und der 'Draghi-Effekt' verdeckt hätten, kritisiert Wilson. "Plötzlich habe ich beim Euro kein gutes Gefühl mehr."
Renditen italienischer Anleihen sorgen für Nervosität
Laut Analysten der ING Bank sorgt der zunehmende Renditeabstand, der sogenannte Spread, zwischen den Staatsanleihen verschiedener Eurostaaten unter Zentralbankern für wachsende Beunruhigung. Der Renditeabstand zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit hatte sich zuletzt innerhalb einer Woche um 40 Basispunkte vergrößert und näherte sich laut ING somit einem Niveau wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie im Jahr 2020. Staaten mit höherer Verschuldung müssen somit im Vergleich zu Staaten mit niedriger Verschuldung, beispielsweise Deutschland, immer mehr Geld zahlen, um an den Märkten Kapital aufzunehmen.
Die Währungshüter der EZB hatten sich nur knapp eine Woche nach ihren regulären Beratungen, bei der sie Zinserhöhungen für Juli und September angekündigt hatten, überraschend erneut getroffen. Thema waren die Folgen der jüngsten Verkaufswelle an den Anleihemärkten.
Im Zuge der Nachricht von der EZB-Sondersitzung hatte der Euro zunächst um 0,69 Prozent auf 1,0484 Dollar zugelegt und die Rendite der zehnjährigen italienischen Staatsanleihen war im Gegenzug um fast 0,22 Prozentpunkte gefallen.
Abrücken vom Ende des Anleihen-Kaufprogramms?
Am Dienstag hatte die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel bei einem Vortrag in Paris bekräftigt, dass die Notenbank die Entwicklung am Anleihemarkt genau beobachte. Schnabel sagte, die Geldpolitik könne und solle auf eine ungeordnete Neubewertung von Risikoaufschlägen reagieren, die die Preisstabilität bedrohe und die Maßnahmen der Notenbank durchkreuze. Notfalls werde die EZB auch neue Instrumente entwickeln und einsetzen. Diese könnten unterschiedlich ausgestaltet werden und würden, so Schnabel, innerhalb des Mandats der EZB verbleiben.
Ein erstes Gegenmittel, um die Renditeabstände einzudämmen, wird es wohl eine flexible Wiederanlage der Gelder aus abgelaufenen Anleihen im Rahmen des billionenschweren Bond-Kaufprogramms PEPP geben. Die Gelder könnten dann gezielt in die Staatsanleihen betroffener Länder fließen, um den Renditeschub einzudämmen. Einigen Analysten zufolge könnte dies aber womöglich nicht ausreichen, um die Anleihemärkte zu beruhigen.
Erinnerung an Draghis Botschaft an die Finanzmärkte
Die jüngsten Ausschläge dort wecken Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor einem Jahrzehnt. Damals konnten die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als der damalige EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zentralbank werde alles innerhalb ihres Mandats tun, um den Euro zu retten: "Whatever it takes".
Auf das Verspechen hin folgte die Entwicklung des Anleihen-Kaufprogramms OMT, mit dem die Notenbank gezielt und unbegrenzt Staatsanleihen betroffener Länder aufkaufen kann. Das Programm wurde allerdings bislang noch nie umgesetzt. Allein die Ankündigung reichte damals aus, um die Renditeanstiege einzudämmen.
Wie ernst die Notenbank die aktuelle Entwicklung diesmal sieht, machte EZB-Direktorin Schnabel am Dienstag deutlich. Das Engagement der EZB für den Euro kenne keine Grenzen, sagte Schnabel in Paris. "Und unsere Erfolgsbilanz, wenn nötig einzuschreiten, bestätigt dieses Engagement", sagte sie. Die Euro-Notenbank könne in sehr kurzer Zeit Antworten finden, sollte die Geldpolitik gefährdet sein.
Letzte Sondersitzung brachte Corona-Notfallkaufprogramm PEPP
Als die EZB das bislang letzte Mal eine Sondersitzung im Zuge von Marktturbulenzen abhielt, wurde kurz danach das Corona-Notfallkaufprogramm PEPP aufgelegt. Während der Pandemie war dieses das wichtigste Instrument der Geldpolitik, um für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen.
Analysten hatten an diesem Mittwoch allerdings mit einem deutlicheren Signal der EZB an die Finanzmärkte gerechnet. "Wir rechnen mit einem starken verbalen Bekenntnis der EZB, dass sie eine Fragmentierung innerhalb der Rentenmärkte nicht tolerieren werde", hatte Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin der Fondsgesellschaft DWS, vor der EZB-Sondersitzung gesagt. "Dies könnte zu einer Beruhigung des Marktes beitragen", so die Hoffnung der Expertin.
"Fragmentierung" steht im Sprachgebrauch der EZB für den so genannten Spread, das Auseinanderdriften der Renditen von solideren Schuldnern wie Deutschland und stark verschuldeter Staaten wie Italien.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, bringt die Sorgen der Finanzmärkte auf den Punkt: "Die Lage für italienische Staatsanleihen bleibt schwierig. Es rächt sich nun, dass sich das Land seit Jahren den notwendigen tiefgreifenden Reformen verschließt."
tko/ hb (dpa, rtr)