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Fahnenwechsel auf dem Balkan

3. Januar 2003

- Nach über zehn Jahren endet das UN-Mandat in Bosnien-Herzegowina / Von Verica Spasovska

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Köln, 3.1.2003, DW-radio

Nahezu unbemerkt findet auf dem Balkan ein Wachwechsel statt, der gleichwohl eine historische Zäsur ist. Nach einer Dekade übergaben am Mittwoch (1.1.) die Vereinten Nationen den Stab an die EU, die mit rund 500 Mann die Polizeitruppe in Bosnien-Herzegowina übernehmen wird. Damit endet eine vielfach umstrittene, eine höchst problematische Mission der Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien.

Gekommen waren die Blauhelme kurz nach Beginn des Krieges im Jahre 1992, um in der auseinanderbrechenden Vielvölkerrepublik Bosnien-Herzegowina "humanitäre Missionen" durchzuführen. Im Vordergrund stand somit die Versorgung der eingekesselten Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Für Tausende von Menschen im belagerten Sarajevo war dies während des dreieinhalbjährigen Krieges oft die einzige Lebensader.

Aber ihre Hoffnungen auf echten Schutz vor den Angreifern wurden rasch zunichte gemacht. Denn die Blauhelme kamen als zahnlose Tiger. In diesem grausamen Krieg, unter dem vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden hatte, erhielten die unbewaffneten Blauhelme kein Mandat zum militärischen Eingreifen. Absurderweise war es ihnen sogar verboten, Flüchtlinge vor Übergriffen der marodierenden Soldaten und Paramilitärs zu schützen, denn in diesen Fällen leisteten sie angeblich der so genannten "ethnischen Säuberung" Vorschub. Wenn also Blauhelmsoldaten die Rettung der Flüchtlinge als ihre moralische Pflicht erachteten, wurden sie mit Blick auf das Mandat davon abgehalten.

Als besonders dunkles Kapitel des Blauhelmeinsatzes ist der Fall der Enklaven Srebrenica und Zepa in die Geschichte eingegangen. Mehr als 8.000 bosnische Muslime wurden ermordet, weil die Blauhelmsoldaten nicht eingriffen. Dabei hätten sie durchaus die Handhabe gehabt, Luftunterstützung durch die NATO anzufordern, um das Massaker zu verhindern. Die Leichen der Ermordeten werden noch immer exhumiert und identifiziert; viele der Hinterbliebenen wissen bis heute nichts über das Schicksal ihrer verschwundenen Männer, Brüder, Väter und Söhne. Und die Wunden dieses Massakers sitzen auch deshalb so tief, weil die Drahtzieher noch immer frei herumlaufen: Der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic und General Ratko Mladic. Dass sie noch immer auf freiem Fuß sind, betrachten viele Menschen in Bosnien als Skandal. Und vor dem Hintergrund der letzten Wahlen, die den nationalistischen Parteien Auftrieb gaben, sind die Prognosen für eine Stabilisierung der zweigeteilten Republik alles andere als rosig.

Angesichts dieser ambivalenten Bilanz wundert es kaum, dass die Menschen in Bosnien aufatmen, dass die UNO geht und Brüssel kommt. Schon deshalb, weil das Balkanland in die euro-atlantischen Strukturen strebt. Aber nun werden die EU-Polizisten daran gemessen werden, wie sie ihre Aufgaben in den Griff bekommen, wozu nicht nur der Aufbau der multiethnischen Polizei und des gesamtbosnischen Grenzdienstes gehört, sondern auch die Eindämmung des Menschenhandels.

Der Fahnenwechsel auf dem Balkan ist ein richtiges und richtungsweisendes Signal. Dass Deutschland und Frankreich angeregt haben, die EU solle auch militärische Operationen in der Nachfolge der SFOR übernehmen, die derzeit unter NATO-Mandat läuft, sowie die Aufgaben der NATO-Friedenstruppe in Mazedonien, zeigt, dass die Europäer eine Dekade nach dem Beginn des Balkankrieges ihre Verantwortung für den Hinterhof Europas ernst nehmen. Denn obwohl sich der Blick der westlichen Welt seit dem 11. September 2001 auf die islamische Welt konzentriert, dürfen die Europäer nicht übersehen, dass die Lunte am Pulverfass Balkan noch immer schwelt. (fp)