Faktencheck: Selenskyj als Ziel russischer Fake News
23. Februar 2024Finanzielle Unterstützung und Waffenlieferungen an die Ukraine sind aktuell mal wieder ein großes Thema in der Weltpolitik. "Strategisch steht der Westen immer noch zu der Ukraine, aber gerade in diesem Jahr sind wir an einem wichtigen Wendepunkt ", sagt Julia Smirnova im DW-Interview. Sie recherchiert für das Institut für strategischen Dialog (ISD) zu Desinformation und ist überzeugt, Russland versuche, die Solidarität mit der Ukraine mithilfe von Desinformation und Propaganda zu untergraben.
Ein Hauptziel dabei: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Selenskyj ist Symbol der Ukraine, Symbol des ukrainischen Widerstands", erklärt Smirnova weiter, "deshalb zielen viele Attacken persönlich auf ihn."
Dies bestätigt auch Roman Osadchuk, der für die US-amerikanische Denkfabrik Atlantic Council zu russischer Desinformation forscht. "Wenn man Selenskyjs Image befleckt, befleckt man letztlich auch das Image der Ukraine."
DW-Recherchen zeigen ebenfalls, dass Wolodymyr Selenskyj und seine Familie immer wieder Zielscheibe anti-ukrainischer Fake News sind. In den vergangenen Monaten bis heute kursieren vor allem Falschbehauptungen zu dem angeblich verschwenderischen Lifestyle des Ehepaars. DW Faktencheck hat zwei neuere virale Behauptungen überprüft.
Kaufte Selenskyj zwei Luxusboote im Wert von mehreren Millionen Dollar?
Behauptung: Angeblich kaufte Wolodymyr Selenskyj zwei Yachten im Wert von 75 Millionen Dollar, wie zahlreiche Social-Media-Nutzende behaupten. Dazu kursieren angebliche Kaufbelege.
DW-Faktencheck: Falsch
Die Behauptung, die vor allem in den USA kursiert, impliziert: Selenskyj nutzt die Hilfsgelder der USA nicht dafür, sein Land gegen Russland zu verteidigen, sondern um "einen extravaganten Lifestyle" zu leben. Und die Posts darüber schlagen Wellen: Ein im November geposteter Tweet dazu hat mehr als vier Millionen Aufrufe. Es handelt sich bei der Behauptung aber um klare Desinformation.
Beide Yachten stehen immer noch zum Verkauf
Die angeblichen Kaufverträge, die online kursieren und beweisen sollen, dass der ukrainische Präsident die Yachten namens "Lucky Me" und "My Legacy" gekauft habe, sind gefälscht. Beide Yachten stehen noch zum Verkauf, wie eine einfache Google-Suche zeigt.
Den falschen Dokumenten zufolge sollen die Yachten zudem am 18. und 25. Oktober von der "Mediterranean Yacht Brokers Association" (MYBA) an Selenskyjs Vertraute Boris und Serhiy Shefir verkauft worden sein - also nicht einmal an Selenskyj selbst. Die Organisation heißt aber gar nicht mehr so - sie benannte sich 2008 in "MYBA The Worldwide Yachting Association" um. Zudem nutzt sie aktuell ein anderes Logo, als auf den Dokumenten zu sehen ist. Über eine Google-Bildersuche fanden wir das veraltete Blanko-Dokument, das für die Fälschung genutzt und bereits vor sieben Jahren hochgeladen wurde.
Anzumerken ist dennoch, dass es rund um Selenskyj und Serhiy Shefir tatsächlich Korruptionsvorwürfe gab. In den Pandora Papers deckte ein internationales Team von Journalisten auf, dass Selenskyj vor seiner Präsidentschaft 2019 eine Beteiligung an einer Briefkastenfirma auf einer der Britischen Jungferninseln an Shefir verkaufte. Beide reagierten bis heute nicht auf die Vorwürfe.
Kaufte Olena Selenska Schmuck im Wert von 1,1 Millionen US-Dollar?
Behauptung: "Selenskis Frau gab Berichten zufolge 1.100.000 Dollar für einen Einkaufsbummel in New York aus, als sie zusammen mit ihrem Mann die Vereinigten Staaten besucht, um sich die weitere Unterstützung aus Washington zu sichern", heißt es in einem Online-Artikel sowie in diversen Posts in den Sozialen Netzwerken.
DW-Faktencheck: Falsch
Während Selenskyj bei der UN-Generalversammlung im September 2022 um die US-amerikanische Unterstützung für die Ukraine geworben habe, habe seine Frau in einer Boutique von Cartier 1,1 Millionen Dollar für Schmuck ausgegeben. Eine Ex-Mitarbeiterin des Geschäfts namens Boukari Ouédraogo habe das mitbekommen und den angeblichen Kaufbeleg mitgenommen. In einer Instagramstory habe sie von einem Aufeinanderstreffen mit Selenska gesprochen, die sich unverschämt verhalten habe. Doch der Kaufbeleg ist gefälscht und die Geschichte erfunden.
In einem viralen Tweet sind Screenshots der Instagramstory der angeblichen Ex-Mitarbeiterin von Cartier zu finden und somit auch der Name des Accounts. Sucht man den Account auf Instagram, sind keinerlei Posts und Storys mehr zu finden. Zudem findet sich in dem Namen des Accounts kein Hinweis darauf, dass dieser zu einer Boukari Ouédraogo gehörte. Das aktuelle Profilbild des Accounts zeigt den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Zudem soll Olena Selesnka laut dem angeblichen Kaufbeleg den Schmuck am 22. September in einem Cartier-Laden auf der Fifth Avenue in New York City gekauft haben. Dies ist aber nicht möglich, da Fotos der Agenturen "The Canadian Press" sowie "Associated Press" belegen, dass sich Olena Selenska mit ihrem Mann sowohl am 21. als auch am 22. September in Kanada, Ottawa befand. Dort trafen sie sich mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau.
Eine Recherche der Faktencheckorganisation "Open" gibt zudem Hinweise darauf, dass die Frau, die im Instagram-Video Behauptungen über den angeblichen Schmuckkauf Selenskas tätigt, keine ehemalige Mitarbeiterin des Cartier-Ladens in New York ist, sondern einen Shop in Russland besitzt. Bei der Behauptung handelt es sich insgesamt also um klare Desinformation.
Kreml-Dokumente zeigen: Selenskyj ist Ziel russischer Desinformationskampagnen
Beide Falschbehauptungen implizieren, dass die Selenskyjs in Zeiten des Krieges in ihrem eigenen Land verschwenderisch mit Geld umgehen und die Unterstützung von der Ukraine infrage gestellt werden sollte. "Diese Desinformationen werden zunächst auf Social Media platziert, auf Accounts von angeblichen Journalisten und Whistleblowern, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Und dann von kremlfreundlichen und russischen staatlichen Medien übernommen, aufgegriffen und weiterverbreitet", erklärt die Research- Analystin Julia Smirnova.
Zuletzt berichtete die US-amerikanische Zeitung Washington Post, dass ihr über 100 interne Kreml-Dokumente zugespielt wurden, die belegen, dass der Kreml groß angelegte Propaganda gegen Selenskyj mit dem Ziel betreibt, die ukrainische Gesellschaft zu spalten und zu destabilisieren.
Es gehe dabei auch darum, die internationale Unterstützung für die Ukraine zu mindern, erklärt Roman Osadchuk vom Atlantic Council der DW. Russische Desinformation über die Ukraine als korrupten Staat habe es aber schon vor dem Angriffskrieg gegeben. "Aber nun haben sie ihre Kanäle und Taktiken verändert", sagt Osadchuk. In Europa werde viel Desinformation über Social Media wie TikTok und Telegram verbreitet, in anderen Ländern weiterhin über russische Staatsmedien wie RT.
Osadchuk geht davon aus, dass die anti-ukrainische Desinformation sich in Zukunft noch intensivieren wird: "Sie wird weitergehen und Selenskyj wird ein immer größeres Ziel davon werden."