Fan-Gruppen machen Front gegen Bundesliga-Neustart
21. April 2020Es war eine E-Mail an die Schalker Dauerkartenbesitzer, die die Alarmglocken läuten ließ und deutlich machte, wie prekär die aktuelle Finanzlage vieler Bundesliga-Vereine ist. "Unabhängig davon, welche Entscheidung getroffen wird, steht der Verein aktuell vor einer potenziell existenzbedrohenden wirtschaftlichen Situation", hieß es in der Erklärung, die sich auf die anhaltende Unsicherheit über den Fortgang der Bundesliga-Saison bezog. Zudem wurden die Fans aufgefordert, für die verbleibenden Heimspiele der Schalker keine Rückerstattungen zu verlangen, um die Finanzen des Vereins zu stabilisieren und sein Überleben zu sichern.
Nach Angaben des Fußball-Magazins "Kicker" droht 13 der 36 deutschen Bundesliga- und Zweitliga-Vereinen in diesem Sommer die Insolvenz, sollte die Saison nicht wieder aufgenommen werden. Deshalb prüft die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die logistische und medizinische Machbarkeit, die Saison ab Mai ohne Stadionbesucher zu beenden.
Das letzte Wort darüber hat natürlich die Politik, doch es gab ermutigende Signale. Der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder (CSU), und sein Amtskollege aus Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), nannten einen Wiederbeginn der Bundesliga am 9. Mai - unter bestimmten Bedingungen - "denkbar".
Doch obwohl es zu Spielen in leeren Stadien, so genannten "Geisterspielen", offenkundig derzeit keine Alternative gibt, um das Überleben einiger Vereine in der Corona-Krise sicherzustellen, hat der Plan bei den Fans unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.
Hin- und hergerissen
"Das Meinungsspektrum in der Fanszene ist sehr breit", sagt Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, eines Netzwerks von pädagogischen Organisationen, die eng mit jungen Fußballfans und Ultras zusammenarbeiten. Die Aussicht auf Geisterspiele bringe Hardcore-Fans in eine wenig beneidenswerte Lage, so der 56-Jährige gegenüber der DW. Es gebe bei dieser Frage zwei Pole: "Zum einen sehen sich die Fans als Bestandteil des Spiels. Ein Verzicht auf Zuschauer berührt also eine sehr tiefsitzende Angst. Auf der anderen Seite ist der emotionale Bezugspunkt eines Fans der Verein. Und wenn die Existenz des Vereins auf dem Spiel steht, ist das fast noch schwerwiegender. Man ist hin- und hergerissen. Fakt ist, ohne den Verein gibt es die Spiele nicht mehr."
Anfang des Monats ergab eine vom ARD-Sender WDR in Auftrag gegebene Umfrage, dass 52 Prozent der Menschen in Deutschland für einen Neustart hinter verschlossenen Türen sind, nur 30 Prozent lehnten dies ab. Zu den Kritikern gehören auch große Fan-Organisationen wie die "Fanszenen Deutschland". Das bundesweite Bündnis von Fangruppen, darunter viele Ultra-Gruppierungen, erklärte in der vergangenen Woche, dass aus ihrer Sicht "Geisterspiele keine Lösung sind". Stattdessen forderten sie grundlegende Änderungen der Spielstrukturen: "Die Wiederaufnahme des Fußballs, auch in Form von Geisterspielen, ist in der aktuellen Situation nicht vertretbar. Der Profifußball ist längst krank genug und gehört weiterhin in Quarantäne."
Sonderrolle des Fußballs?
In einem Gespräch mit der "New York Times" schlug DFL-Geschäftsführer Christian Seifert kürzlich vor, dass Bundesligaspiele mit nur 240 Personen in den Stadien ausgetragen werden könnten. Experten gehen davon aus, dass für Geisterspiele bis zum Saisonende bis zu 20.000 Coronavirus-Tests erforderlich wären.
"Es wird nicht so sein, dass ein Arzt oder eine Krankenschwester nicht getestet werden kann, weil Fußballspieler getestet werden müssen", sagte Seifert. "Der Fußball beansprucht keine Sonderrolle", unterstrich auch Fritz Keller, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), in einer Kolumne des Magazins "Kicker". Genau das aber glauben viele Fans und warnen davor, dass Spiele vor leeren Rängen einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen würden.
Kritik am Finanzgebaren des Fußballs
Doch es gehe nicht nur um ethische Fragen, sagen die Kritiker der Geisterspiele. "Ganz offensichtlich hat der Profifußball viel tieferliegende Probleme", heißt es in der Erklärung der "Fanszenen Deutschland": "Ein System, in das in den letzten Jahren Geldsummen jenseits der Vorstellungskraft vieler Menschen geflossen sind, steht innerhalb eines Monats vor dem Kollaps."
Für Jost Peters, Sprecher der Fanorganisation "Unsere Kurve", sind Geisterspiele das "Symptom einer Krankheit", nicht einer Heilung. "Was hat denn die Vereine dorthin getrieben, so zu wirtschaften, keine Rücklagen zu bilden, nicht nachhaltig zu arbeiten?", fragt Peters im Gespräch mit der DW. "Die Vereine haben sich abhängig gemacht von Fernsehgeldern oder Investoren. Die handelnden Organisationen äußern sich niemals kritisch zur Situation und zur Krise ihres Geschäftsmodells. Sie denken immer nur an den nächsten kleinen Schritt und versuchen, eine Diskussion über die Ursachen zu vermeiden."
Unabhängig davon, ob sie für oder gegen Geisterspiele seien, die Kritik der Fans am Finanzgebaren des Fußballs sei "einhellig", sagt der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, Michael Gabriel: "Der Konsens ist groß, dass da unklug, viel zu kurzfristig und nicht nachhaltig agiert worden ist." Es sei zwar nachvollziehbar, dass die DFL und die Vereine alles täten, um drohende Insolvenzen abzuwenden, so Gabriel. "Gleichzeitig sieht man aber, wie fragil das alles ist. Man muss zwischen der kurzfristigen Notwendigkeit und der langfristigen Verbesserung der Situation unterscheiden. Beides hängt unmittelbar zusammen. Denn wenn man das akute aktuelle Problem nicht löst, dann erübrigen sich langfristige Strategien."
Fangruppen fordern grundlegenden Wandel
Für viele Mitglieder von Fanclubs und Ultra-Gruppen, aber auch stimmberechtigte Vereinsmitglieder bestätigt die aktuelle Krise jene Probleme, auf die sie seit Jahren hinweisen: der Einfluss großer Konzerne, die Bedrohung der 50+1-Regel, Montagabend-Fußball - kurz: die Überkommerzialisierung des Fußballs.
"Es ging nur um immer höher und immer weiter, anstatt das Ganze vielleicht immer nachhaltiger zu bewirtschaften", sagt ein Vertreter der "Fanszenen Deutschland" der DW. "Die DFL ist jetzt am Zug." So gebe es aus Reihen der Fans Vorschläge für eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder oder auch für strengere Lizensierungsverfahren, die sicherstellen sollten, dass die Vereine wirtschaftlich gesund seien.
"Die Fans müssen kontinuierlich auf dem Weg mitgenommen und transparent mit glaubwürdigen Informationen versorgt werden, wie es innerhalb ihrer Vereine aussieht", meint Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte. "Dann wäre es einfacher, eine Akzeptanz zu schaffen für Geisterspiele." Das sieht auch Jost Peters von "Unsere Kurve" so: "Ohne Fans gibt es keine tragfähige Lösung. Das Sprichwort sagt: 'Einsicht ist der erste Weg zur Besserung'. Der Fußball soll wieder gesund werden."