Fastfood auf Polnisch
4. September 2004Wenn Polen außer Haus essen wollen, haben sie heutzutage eine Fülle von Möglichkeiten. In edlen Restaurants, asiatischen Imbissbuden oder westlichen Fastfood-Ketten gibt es Gaumenfreuden oder zumindest schnelle Sättigung. Die kulinarische Vielfalt in Polens Städten können die Bürger aber erst seit dem Umbruch 1989 genießen. Vorher hat sich der Durchschnittspole außerhalb seiner eigenen vier Wände vor allem in Milchbars ("Bar Mleczny") ernährt.
Staatskantinen mit Hausmannskost
Die Milchbars entstanden in der Zeit der kommunistischen Volksrepublik und wurden vom Staat bezuschusst: Jeder Arbeiter und Bürger sollte sich eine warme Mahlzeit leisten können. Der Name ist etwas irreführend, denn in den Milchbars wurden nicht vorwiegend Milchshakes und Eiscreme verkauft. In den Milchbars waren ursprünglich Gerichte mit hohem Milchanteil erhältlich. Mit den Jahren haben sich auch Fleischspeisen durchgesetzt. Früher saß an den Tischen der Querschnitt der Gesellschaft, von Arbeitern über Angestellte bis zu Rentnern.
Milchbars sind Selbstbedienungslokale, und es gab sie in vielen Ostblockländern. In der DDR waren die SB-Restaurants in jeder Stadt zu finden, und reihten sich ein in die realsozialistische Palette gastronomischer Einrichtungen wie Mitropas, HO-Gaststätten und Broiler-Buden. Inzwischen sind sie aus dem Straßenbild verschwunden.
Konkurrenz für die Burger-Industrie
In den vergangenen Jahren sind die Zuschüsse für die Milchbars in Polen erheblich geschrumpft. Außerdem mussten die Milchbars vermehrt Fastfood-Restaurants und Döner-Läden weichen. Dennoch sind sie zumindest in den Großstädten noch immer gut besucht. Jedes Jahr subventioniert der polnische Staat die jetzt privaten Volksküchen mit mehreren Millionen Euro.
Heute nehmen vermehrt Studenten und Pensionäre ihre Mahlzeit in den Milchbars ein. Zwischen vier bis zehn Zloty (ein bis zweieinhalb Euro) kostet ein Mittagessen. Doch der günstige Preis ist nicht allein ausschlaggebend, wenn Patrik Szymanski täglich in der Bar speist. Der 23-jährige Student liebt die Warschauer Milchbars vor allem "weil ich hier nichts machen und aufräumen muss".
"Früher gab es so viele Bars, wie es jetzt Cafes gibt. Nun gibt es fast nur Kebab-Händler und Asiaten", blickt Janusz zurück. Der 66-jährige Warschauer isst mit seinem Bekannten Bogdan zu Mittag in der "Bar Studencki", einer traditionellen Milchbar an der Universität Warschau. Ganz klassisch gibt es als Vorspeise eine Suppe, als Hauptgang haben die beiden "Pierogi po Rusku", Maultaschen mit Kartoffelfüllung, bestellt. Außerdem gibt es Kompott mit viel Saft, den Milchbarbesucher gern anstatt einer Limonade trinken.
Schnelles Essen
Beim Besuch in der Milchbar darf der Gast beim Eintreten nicht lange zögern, sondern sollte schnell die Bestellung von der Wandtafel ablesen und der meist weiblichen Bedienung mitteilen. Bei der Essensausgabe wenige Augenblicke danach geht es ebenso zügig zu - Teller aufs Tablett und ab an den Tisch. Noch immer regieren mit Haarnetzen gekrönte Köchinnen hinter der Durchreiche streng und effizient das Reich der brodelnden Kochtöpfe.
"Es schmeckt fast so gut wie bei meiner Frau", sagt der 59-jährige Bogdan. Sein Bekannter verrät: "Ich mag die polnische Küche, sie ist gesund. Fastfood aber nicht." Bogdan hat noch ein Argument, wieso er selten Hamburger isst: "Wenn ich einen großen Burger esse, dann bleibt die Hälfte in meinem Bart stecken."
Für viele junge Polen, die sich an die Zeit der langen Warteschlangen und der rationierten Lebensmittel nicht mehr erinnern können, haben Milchbars inzwischen sogar Kultcharakter. Manche Besucher kommen, weil die Lokale ihren Gästen einen Hauch der sozialistischen Vergangenheit für die Dauer einer Mahlzeit wiedergeben. Andere teilen die Philosophie von Janusz und Bogdan: "Wo kann man ausgiebig essen und ist in 15 Minuten wieder raus?" (kas)