FDP: eine Partei, zwei Chefs
9. März 2013Die Freie Demokratische Partei spielt im politischen System Deutschlands oft die Rolle einer Mehrheitsbeschafferin. Damit sind kleinere Parteien gemeint, ohne die größere Parteien nicht regieren könnten, wenn sie keine absolute Mehrheit haben. Seit 2009 sind Bundeskanzlerin Angela Merkels Christdemokraten auf die Unterstützung der FDP angewiesen. Und weil die Liberalen bei der vergangenen Bundestagswahl mit 14,6 Prozent ihr mit Abstand bestes Ergebnis erzielt hatten, traten sie zunächst betont selbstbewusst auf. Doch das Gefühl der Stärke war schnell verflogen, inzwischen herrscht Existenzangst.
Das hat viele Gründe. Von der FDP großspurig angekündigte spürbare Steuersenkungen blieben aus, Guido Westerwelle ist in den Augen der meisten Deutschen ein eher schwacher Außenminister, und Entwicklungsminister Dirk Niebel leitet ein Ressort, das die FDP eigentlich abschaffen wollte. Folge dieses miserablen Erscheinungsbildes waren etliche Niederlagen bei Landtagswahlen und der Verlust von Regierungsverantwortung, unter anderem im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen.
Das Wunder von Niedersachsen
Die große Trendwende erhofften sich die Liberalen von Philipp Rösler (im Artikelbild rechts), der im Mai 2011 zum Nachfolger des langjährigen Parteichefs Guido Westerwelle gewählt worden war. Doch die Misere setzte sich fort, der Hoffnungsträger wurde zur Belastung. Blass und hölzern im Auftreten, programmatisch wankelmütig – der mit 40 Jahren für einen Spitzenpolitiker geradezu jugendliche Rösler sah sehr schnell sehr alt aus. Und weil der FDP in Meinungsumfragen für die Landtagswahl in Niedersachsen das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vorhergesagt wurde, schien Röslers Schicksal besiegelt gewesen zu sein. Entwicklungsminister Niebel forderte unverhohlen seine Ablösung.
Doch dann geschah das, was niemand für möglich gehalten hatte: Die Liberalen erhielten knapp zehn Prozent. Das reichte wegen des schlechten Ergebnisses der CDU zwar nicht zur Fortsetzung der Regierungskoalition in Niedersachsen, stärkte dem aus diesem Bundesland stammenden FDP-Chef Rösler aber den Rücken. Vor allem der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, geriet in Erklärungsnot. Kurz vor der Niedersachsen-Wahl hatte er gefordert, den für Anfang Mai geplanten Parteitag vorzuziehen. Dahinter steckte das Kalkül, Rösler als FDP-Vorsitzenden abzulösen, wenngleich Brüderle eigene Ambitionen dementierte.
Eine merkwürdige Doppelspitze
Nach dem spektakulären Wahlerfolg in Niedersachsen wäre Röslers Sturz nicht mehr vermittelbar gewesen. Deshalb verständigten sich die Kotrahenten auf eine kuriose Arbeitsteilung, die beide gemeinsam der verblüfften Öffentlichkeit zu erklären versuchten. Brüderle solle "unser Spitzenmann für die anstehende Bundestagswahl 2013 werden", erklärte Rösler. Der Fraktionschef im Bundestag sei das Gesicht für die Wahl am 22. September. Er selbst, sagte Rösler, werde als Parteivorsitzender "das gesamte Team, das zu einer Spitzenmannschaft gehört, führen". Voraussetzung dafür ist, dass er am Wochenende auf dem vorgezogenen Parteitag in Berlin (09./10.03.2013) wiedergewählt wird. Da es keinen Gegenkandidaten gibt, gilt seine Wahl als sicher.
Rösler, noch vor kurzem FDP-Chef auf Abruf, sitzt plötzlich wieder fest im Sattel. Der um zwei Monate vorgezogene Bundesparteitag wäre also überflüssig. Dass die Liberalen dennoch daran festhalten, begründet Brüderle mit dem beginnenden Wahlkampf. In sechs Monaten wird die Frage beantwortet, ob die seit 2005 amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiterregieren kann. Nach eigenem Bekunden täte sie das am liebsten mit der FDP. Natürlich gäbe es viele Menschen, "die diese Regierung weg haben wollen", macht sich Brüderle keine Illusionen über die Sympathie-Werte für seine Partei. Von Sozialdemokraten, Grünen und Linken erwartet Brüderle "scharfe Angriffe". Aber das mache auch stark, "um dagegen aufzustehen und sie erfolgreich abzuwehren".
Westerwelle spricht von Schicksalswahl für Europa
Pünktlich zum bevorstehenden Parteitag warnte Röslers Vorgänger an der FDP-Spitze, Außenminister Westerwelle, vor einem Wahlsieg von SPD und Grünen. Sie würden gemeinsam mit den Linken in die "gescheiterte Schuldenpolitik zurückfallen", sagte Westerwelle dem "Tagesspiegel". Mit dem europäischen Fiskalpakt habe man durchgesetzt, "dass die Beendigung der Schuldenpolitik in ganz Europa zur Regel wird". Angesichts eines möglichen rot-grünen Bündnisses geht es aus Sicht des Außenministers deshalb bei der Bundestagswahl im September "nicht nur um das Schicksal Deutschlands, sondern auch um das Schicksal Europas".