FDP: Pandemie, Schulden, Krieg
22. April 2022Wenn sich die Freie Demokratische Partei (FDP) an diesem Wochenende in Berlin zu ihrem Parteitag trifft, wird sich wie immer viel um den Vorsitzenden drehen: Christian Lindner. Diese Rolle ist er seit seiner ersten Wahl zum Parteichef 2013 gewohnt. Die FDP war gerade aus dem Parlament geflogen – zum ersten Mal. Lindner, damals 34 Jahre jung und voller Elan, hauchte der verunsicherten Partei neues Leben ein. Vier Jahre später kehrte sie zurück ins Parlament, zunächst auf die Oppositionsbank.
Auch Corona verursacht tiefe Löcher im Haushalt 2022
Seit Dezember 2021 regieren die Liberalen gemeinsam mit Sozialdemokraten (SPD) und Grünen in einer Ampel-Koalition, die wegen ihrer Parteifarben so genannt wird. Und wieder steht Lindner im Mittelpunkt, denn nun ist er auch noch Bundesfinanzminister. Damit leitet der inzwischen 43-Jährige ein Ressort, in dem er viel gestalten und beeinflussen kann, denn er ist Deutschlands Kassenwart.
In Zeiten des Ukraine-Krieges ist dieser Job noch anspruchsvoller als ohnehin schon. Zumal für jemanden wie Lindner, dessen traditionell wirtschaftsliberale Partei am liebsten gar keine Schulden machen und gleichzeitig Steuern senken möchte. Diese Rechnung ging aber schon vor dem von Wladimir Putin ausgelösten Krieg Russlands in der Ukraine nicht auf, weil Deutschland wie der Rest der Welt unter den kostspieligen Folgen der Corona-Pandemie leidet. Deshalb müssen auch 2022 tiefe Löcher im Etat mit milliardenschweren Krediten gestopft werden.
Rückkehr zur Schuldenbremse
Doch 2023 soll damit nach dem Willen der FDP Schluss sein. Dann will Lindner unbedingt zur sogenannten Schuldenbremse zurückkehren. Die ist in der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, verankert. Demnach ist lediglich eine sehr moderate Geldaufnahme möglich: Die Neuverschuldung darf bei maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Das wären aktuell je nach Konjunktur zwischen zwölf und dreizehn Milliarden Euro.
Mehr ist nur in Ausnahmefällen wie Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen erlaubt. In der Vergangenheit zählte die globale Finanzkrise dazu, gegenwärtig ist es noch immer die Corona-Pandemie. Ein völlig anderer Notfall ist hingegen die nur bedingt einsatzfähige Bundeswehr, deren maroder Zustand seit Beginn des Ukraine-Kriegs wie unter einem Brennglas sichtbar wird.
100 Milliarden Euro für die Bundeswehr
Allerdings sind die strukturellen Probleme der Truppe kein Ausnahmefall im Sinne der Schuldenbremse, sondern selbst verschuldet – durch jahrelanges Missmanagement. Weshalb sich die Frage stellt, woher die von Bundeskanzler Olaf Scholz in Absprache mit seinem Finanzminister Christian Lindner über Nacht versprochenen 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr herkommen sollen?
Kurz nach Kriegsbeginn sagte der FDP-Chef im Deutschen Bundestag: "Eine mindestens fünfzehnjährige Vernachlässigung der Bundeswehr kann man nicht aus dem laufenden Haushalt korrigieren." Stattdessen plant Lindner ein sogenanntes Sondervermögen zu kreieren. Dafür will er aber weder auf staatliche Gold- noch Devisenbestände zurückgreifen. Davon schlummern immerhin Bestände im Wert von weit über 200 Milliarden Euro in den Tresoren der Bundesbank. Aber der Hüter des staatlichen Tafelsilbers nimmt lieber weitere Kredite auf. Seine Begründung: Die seien "in dieser Weltlage zunächst Investitionen in die Zukunft".
Kredite, die als "Sondervermögen" verbucht werden
Mit diesem haushaltstechnischen Trick kann der FDP-Finanzminister sein Ziel erreichen, die Schuldenbremse 2023 tatsächlich einzuhalten. Denn als Sondervermögen werden Kredite bezeichnet, die im Fall der Bundeswehr schon 2022 aufgenommen werden, aber zu großen Teilen erst in den kommenden Jahren ausgegeben werden sollen. So können mit alten Schulden künftig neue Projekte finanziert werden. Vor allem der Kauf von Flugzeugen, bewaffneten Drohnen, Panzern und anderen Rüstungsgütern.
Für Christian Lindner und seine FDP besteht der Charme dieser Methode darin, ein zentrales Versprechen aus dem Bundestagswahlkampf 2021 zumindest formal einhalten zu können: so schnell wie möglich zur Schuldenbremse zurückkehren zu können. Das ändert jedoch nichts daran, dass die auf Vorrat genommenen Kredite eines Tages zurückgezahlt werden müssen – und damit den finanziellen Spielraum in späteren Jahren einengen.
Die FDP fordert schwere Waffen für die Ukraine
Der geplante Geldregen für die Bundeswehr wird auch auf dem Parteitag der FDP in Berlin eine wichtige Rolle spielen. In einem Antragsentwurf des Vorstandes unter der Überschrift "Frieden, Freiheit und eine europäische Perspektive für die Ukraine" wird das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen ausdrücklich unterstützt. Zugleich fordert die FDP-Spitze um Christian Lindner "die Lieferung schwerer Waffen und die schnelle Bereitstellung von Rüstungsgütern durch die deutsche Industrie, für die Deutschland wie angekündigt die Finanzierung übernimmt".
Dieser Passus liest sich wie eine erneute Kritik an SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz, dem Politiker aus den Reihen der Regierungsparteien Grüne und FDP vorwerfen, die Lieferung von Panzern und anderen schweren Waffen an die Ukraine zu blockieren. Wortführerin der Liberalen ist dabei die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie verlangt vom Regierungschef "Führung und klare Kante".
Lieferschwierigkeiten bei Olaf Scholz
Damit spielt die FDP-Politikerin auf ein immer wieder zitiertes Bonmot des Bundeskanzlers an: "Wenn man bei mir Führung bestellt, bekommt man sie auch." Das sagte Olaf Scholz schon 2011 in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel". Damals kandidierte er erfolgreich für das Amt des Ersten Bürgermeisters in Hamburg. Zehn Jahre später wurde er zum Nachfolger Angela Merkels gewählt. In diesem hohen Amt des Bundeskanzlers aber, meinen viele, liefere er zu wenig.
Finanzminister Christian Lindner wird das öffentlich schon aus Loyalität gegenüber seinem Chef nie behaupten. Die Machtverhältnisse innerhalb der Ampel-Koalition sind angesichts des Wahlergebnisses klar verteilt: Nummer eins ist die SPD, gefolgt von den Grünen, kleinste Partei sind die Liberalen. Weil die aber den Finanzminister stellen, ist ihr Einfluss auf die Politik enorm.
Lindners Videoschalte aus Washington
Auf ihrem Parteitag in Berlin will die FDP eine erste Zwischenbilanz ihrer Arbeit in der Bundesregierung ziehen. Christian Lindner wird dann aber höchstwahrscheinlich fehlen. Der Grund: Er hat sich mit dem Corona-Virus infiziert. Deshalb muss er länger in Washington bleiben, als vorgesehen. Anlass seiner Reise in die US-amerikanische Hauptstadt waren die Frühjahrstagungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Seine geplante Rede will der FDP-Chef aber trotzdem halten: per Videoschalte.