1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Smoleńsk-Film in polnischen Kinos

Monika Sieradzka13. September 2016

Ein neuer Kinofilm versucht die Geschichte der Flugzeugkatastrophe von Smoleńsk neu zu schreiben. Er unterstützt die populäre Verschwörungstheorie vom russischen Attentat auf den polnischen Präsidenten.

https://p.dw.com/p/1K18N
Wrackteile nach dem Flugzeugabsturz bei Smolensk (Foto: NATALIA KOLESNIKOVA/AFP/Getty Images)
Bild: Natalia Kolesnikova/AFP/Getty Images

Die Fernsehreporterin Nina (Beata Fido) ist die Hauptfigur im Film "Smoleńsk". Sie soll über die Katastrophe von 2010 berichten, bei der der polnische Präsident Lech Kaczyński und 95 weitere Insassen der Präsidentenmaschine beim Anflug auf einen Flughafen in Westrussland ums Leben gekommen sind. Die offiziellen Berichte gehen von einem Unfall aus. Im Laufe der Recherche bekommt aber die Protagonistin ihre Zweifel und kommt zum Schluss, dass es sich um ein Attentat auf den polnischen Präsidenten gehandelt haben muss. Möglicherweise war es sogar Putins Rache dafür, dass Lech Kaczyński den Kampf Georgiens gegen Russland 2008 unterstützte. So der Plot im Film.

Ninas Stimme ist eine politische und suggestive. Sie soll das Publikum mitnehmen und von der Attentat-Version überzeugen. Das ist auch das Ziel des Filmregisseurs Antoni Krauze, unterstützt von den nationalkonservativen Politikern der Regierungspartei PiS, die die offizielle Version vom Unfall ablehnen.

Zwei nationale Traumata

Dass es ihnen gelingen mag, liegt auch an der verhängnisvollen doppelten Symbolik der Katastrophe. Am 10. April 2010 waren der polnische Präsident, seine Frau und eine ranghohe Delegation auf ihrem Weg nach Katyń – einem Dorf bei Smoleńsk in Westen Russlands. Sie wollten der 22.000 polnischen Offiziere gedenken, die dort 70 Jahre zuvor vom russischen Geheimdienst ermordet wurden. Das Massaker von Katyn wurde zu einem nationalen Trauma, das seit Jahrzehnten die Beziehungen zwischen Polen und Russland belastet. Dass die zweite Tragödie, die sich fast am selben Ort ereignete, kein Unfall, sondern ein Attentat war, glaubt laut Umfragen fast jeder vierte Pole.

Die Nationalkonservativen lehnen von Anfang den offiziellen Bericht aus der Regierungszeit Donald Tusks ab, in dem man von Fehlern der Piloten und derer mangelnden Vorbereitung, ebenso wie von ungenauen Navigationsgeräten, irreführenden Anweisungen der russischen Lotsen und marodem Zustand des russischen Flughafens Smoleńsk-Sewernyj sprach.

Jaroslaw Kaczynski - hier mit der Familie bei der Beisetzung seines Bruders (Foto: Carsten Koall/Getty Images)
Jaroslaw Kaczynski (R) glaubt nicht, dass der Absturz ein Unfall warBild: Getty Images/C. Koall

Eine "staatliche" Wahrheit

An einen Zufall bei der Katastrophe hat auch der bekannte polnische Regisseur Antoni Krauze nie geglaubt. Was offiziell erzählt werde, widerspreche den Regeln der Physik, sagte er vor der Uraufführung des Films "Smoleńsk" in einem Zeitungsinterview mit Gazeta Prawna.

Mit Computeranimationen wird im Film dargestellt, wie das Flugzeug zunächst die Bäume streift und dann, durch Explosionen erschüttert, in unzählige Stücke zerschellt. Die offizielle Version sagt, dass das Flugzeug infolge einer Kollision mit einer Birke den Flügel verlor, was zu dem Sturz führte. Die Reporterin Nina kommt aber zur Überzeugung, dass es ganz andere, viel stärkere Kräfte gewesen sein müssen, die eine so große Maschine zum Absturz brachten. Diejenigen, die an die Birke-Version glauben, werden im Film – wie auch in der Wirklichkeit – als "Sekte der Panzerbirke" verspottet.

Die Wandlung der Filmprotagonistin ist ganz im Sinne von Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und dem Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten.Er soll die Kinoproduktion höchstpersönlich "betreut" und mehrfach Änderungen angewiesen haben - so berichten polnische Medien. Nach der Uraufführung von "Smoleńsk", zu der auch Präsident Andrzej Duda und Premierministerin Beata Szydło kamen, sprach Kaczyński enthusiastisch von einer "Produktion, die die Wahrheit erzählt" und ermunterte "jeden Polen, der die Wahrheit kennen will", sich den Film anzusehen. In den ersten Kinotagen haben sich aber nur wenige Zuschauer "Smoleńsk" angeschaut. Viele Kinos blieben leer.

Gegen die staatliche Propaganda

Kaczyński schreckt das aber nicht ab. Er fordert eine "Beschleunigung im Aufklären der Ursachen der Katastrophe", damit "die Polen es wissen und verstehen". "Die"Wahrheit muss öffentlich und staatlich" werden und sich "in den Büchern und Lehrbüchern" wiederfinden – so Kaczyński.

Wegen solcher Aussagen schlagen schon Lehrer und Eltern Alarm. Sie befürchten, dass bald ganze Schulklassen in die Kinos gehen müssen. Artur Sierawski, ein junger Geschichtslehrer aus Warschau, leitet eine neue Bürgerinitiative, die sich gegen die neue Geschichtspolitik richtet. "Der Film 'Smolensk' ist ein Teil der neuen Geschichtspolitik, die die Tatsachen leugnet und den verstorbenen Präsidenten Lech Kaczyński zum Nationalhelden machen will", sagt der Lehrer im Gespräch mit DW. Schon jetzt würde man im offiziellen Sprachgebrauch nicht mehr von "Verstorbenen", sondern von "Gefallenen" von Smoleńsk sprechen.

Die Schuldfrage ist wieder offen

Vieles weist darauf hin, dass Sierawski richtig liegt. Neue Kommissionen, Untersuchungsausschüsse und Ermittlungen sollen demnächst das Narrativ über Smoleńsk "korrigieren" und auch die "Schuldfrage" neu aufrollen. Die Regierung verspricht noch in dieser Woche "echte" Beweise im Fall Smoleńsk: "Bisher unbekannte und erschütternde Aufzeichnungen der Gespräche" vom Katastrophenort, die die vorige Regierung vor der Öffentlichkeit geheim gehalten haben soll.

Wrackteile nach dem Flugzeugabsturz bei Smolensk (Foto: NATALIA KOLESNIKOVA/AFP/Getty Images)
Bei der Flugzeugkatastrophe starb der polnische Präsident Lech Kaczyński und 95 weitere Insassen der PräsidentenmaschineBild: Natalia Kolesnikova/AFP/Getty Images

Von der Vertuschung der Wahrheit ist auch im Film die Rede. Die Reporterin Nina findet Menschen, die über geheime Informationen verfügen, aber bisher schweigen mussten. Manche verschwinden gar oder sterben unter mysteriösen Umständen. Schließlich erlebt die Hauptprotagonistin einen Zusammenbruch, nachdem sie "begreift", wie sehr die Behörden und Medien in der Smolensk-Frage lügen.

Einen Sinneswandel wie bei Nina sehnen sich auch die Filmemacher beim Publikum herbei. Und wenn die Menschen den Kinosälen fernbleiben, kommt die Geschichte zu ihnen nach Hause: Denn ganz sicher wird der Film eines Tages vom Staatsfernsehen gezeigt. Die Schauspielerin Beata Fido ist schon dort – der "Smolensk" brachte ihr eine neue Rolle in einer populären Serie.