Locarno: Die Leopardenjagd beginnt
1. August 2018Locarno ist wie Cannes, Berlin und Venedig ein Sehnsuchtsort des Weltkinos. Jedes Jahr strömen Filmschaffende und Cineasten aus aller Herren Länder in die idyllische Kleinstadt im Tessin, um der Filmkunst zu frönen. Spektakulär sind die allabendlichen Freiluftvorführungen auf der beeindruckenden Piazza Grande: vor 8.000 Zuschauern und mit der größten Leinwand der Welt.
In diesem Jahr laufen insgesamt 17 Filme auf dem Hauptplatz. Neun davon sind Weltpremieren und damit im Rennen um den begehrten Publikumspreis. Im internationalen Wettbewerb um den Goldenen Leoparden sind insgesamt 15 Spiel- und Dokumentarfilme vertreten. Die Jury leitet der chinesische Regisseur Jia Zhangke ("Still Life").
Lachen gegen das "Donnergrollen der Gegenwart"
Das Festivalteam um Carlo Chatrian präsentiert vom 1. bis zum 11. August 2018 ein Programm, das "leichter und freier" sein will als in der Vergangenheit. Es darf und soll in Locarno angelacht werden gegen das "Donnergrollen" der Gegenwart, wie Chatrian die aktuelle Weltlage beschreibt.
Eröffnungsfilm auf der riesigen Piazza Grande ist die französische Komödie "Les Beaux Esprits" von Vianney Lebasque sowie der Stummfilm "Liberty" aus dem Jahr 1929 mit den hierzulande als "Dick und Doof" bekannten Slapstick-Stars Stan Laurel und Oliver Hardy. Regie führte Leo McCarey, dem von den späten 1920ern bis in die 1950er eine große Hollywood-Karriere beschert war, und dem die diesjährige Regie-Retrospektive mit sage und schreibe 109 Filmen gewidmet ist.
Zu den internationalen Highlights zählt der semi-autobiografische Film "A Family Tour" von Ying Liang und das Baby-Boomer-Drama "Diane" von Kent Jones, das beim New Yorker Filmfestival Tribeca den Hauptpreis gewonnen hat. Der Franzose Bruno Dumont, der in Locarno einen Preis für sein Lebenswerk erhält, präsentiert die Weltpremiere seiner Serie "CoinCoin et Les Z'Inhumains". Auch die Taviani-Brüder werden geehrt, unter anderem mit einer Sondervorführung von "Good Morning, Babylon".
Deutsche Filme in mehreren Sektionen
Insgesamt sind in Locarno 2018 mehr als 200 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme zu sehen, darunter auch einige deutsche Beiträge. Im internationalen Wettbewerb, dem "Concorso Internazionale", läuft Jan Bonnys Drama "Wintermärchen" über junge Rechtsextreme. Produzentin des Films ist die Kölnerin Bettina Brokemper, die durch ihren Mut zu ungewöhnlichen Filmprojekten wie die 2016 von der Schauspielerin Nicolette Krebitz inszenierte Erotik-Studie "Wild" bekannt wurde.
Regisseurin Sandra Nettelbeck ("Bella Martha") erzählt in der Tragikomödie "Was uns nicht umbringt" die Geschichte eines nicht mehr jungen Mannes in einer Lebenskrise. Nettelbeck und ihre Hauptdarsteller Barbara Auer, Sophie Rois und August Zirner werden ihren neuen Film persönlich auf der Piazza Grande präsentieren.
Die junge Regisseurin Eva Trobisch beleuchtet in ihrem Spielfilm-Debüt "Alles ist gut" den Alltag einer jungen Frau, die nach einer Vergewaltigung ihr Dasein neu zu ordnen versucht. Der Film läuft in der Nachwuchs-Sektion "Cineasti del presente" ("Filmemacher der Gegenwart").
Hollywood-Glamour und Abschied von Chatrian
Locarno besticht vor allem durch seine Balance von Anspruch und Unterhaltung, Glamour steht hier definitiv nicht im Vordergrund. Entsprechend lautet das Motto des Festivals "Hier sind die Filme die Stars".
Aber dennoch weht dieses Jahr ein Hauch von Hollywood durch die Schweizer Bergwelt, wenn US-Schauspielstar und Regisseur Ethan Hawke seinen aktuellen neuen Film "Blaze" präsentiert und US-Schauspielerin Meg Ryan vom Festival für ihren Beitrag zur Filmgeschichte mit dem Leopard Club Award geehrt wird.
Weltbekannte Beispiele ihrer Schauspielkunst sind unter anderem die internationalen Blockbuster "Harry und Sally" (1989), "Schlaflos in Seattle" (1993) und "E-Mail für Dich" (1998), bei der die US-Schauspielerin starke Hauptrollen spielt. Ryan habe sie mit ihrer geistreichen Interpretation, die Schönheit und Ironie einmalig verbinde, zu Kultfilmen gemacht, teilten die Veranstalter im Vorfeld mit.
Dieses Jahr bedeutet auch Abschied: Carlo Chatrian, Festivalchef seit 2012, nimmt nach der Ausgabe 2018 seinen Hut. Ab 2019 wird er Seite an Seite mit der zukünftigen Direktorin Mariette Rissenbeek die Berlinale leiten - in der Nachfolge von Dieter Kosslick.
Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) betonte Chatrian, er werde zu seinem Locarno-Abschied gezielt auf Filme setzen, die sich "auf persönliche Geschichten konzentrieren".
Das 1946 gegründete Festival in Locarno gilt nach Cannes, Berlin und Venedig als weltweit wichtigstes Forum des Kinos. Am 5. August 2018 macht es einen wichtigen Schritt in Richtung Zukunft, dann wird dort die Charta für Gleichstellung und Diversität unterzeichnet. Damit verpflichtet sich Locarno, ab sofort eine Statistik über Geschlechterverhältnisse im Bereich Regie zu führen. Es ist das erste A-Festival nach Cannes, das diese Charta unterzeichnet.