Fischer: Auf Russland zugehen
5. September 2013Der Syrien-Konflikt steht offiziell nicht auf der Agenda des G20-Gipfels, der am Donnerstag (05.09.2013) im russischen Sankt Petersburg beginnt. Russlands Präsident Wladimir Putin, Gastgeber des Gipfeltreffens, hatte einen Militärschlag gegen die syrische Regierung bisher immer abgelehnt. Kurz vor dem Gipfel äußerte sich Putin nun eher gesprächsbereit. In einem Fernsehinterview schloss er am Mittwoch die Billigung eines von den USA geführten Einsatzes nicht mehr aus. Allerdings müsse es "überzeugende" Beweise für einen Chemiewaffenangriff durch die syrische Regierung geben. Diese müssten im UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden, sagte Putin im Fernsehsender Perwy Kanal. "Sie dürfen nicht auf Gerüchten oder auf Geheimdienstberichten von abgehörten Telefonaten oder Gesprächen beruhen." Wenn die Beweise eindeutig seien, sei Russland bereit, "äußerst entschieden zu handeln", sagte Putin.
Der russische Präsident warnte erneut vor einem Angriff ohne UN-Mandat: "Nach dem Völkerrecht kann nur der UN-Sicherheitsrat den Einsatz von Waffen gegen einen souveränen Staat beschließen." Alles andere sei "inakzeptabel" und könne nur als "Aggression" bezeichnet werden. Russland hat mehrfach mit seinem Veto Resolutionen des Gremiums zur Verurteilung der Gewalt in Syrien verhindert.
DW: Rückt jetzt auch Putin von Assad ab?
Sabine Fischer: Es gab in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Momente, in denen man das Gefühl hatte, die russische Führung versucht, sich leicht von dem syrischen Regime zu distanzieren und die Fühler zu einer möglichen Einigung mit der westlichen Staatengemeinschaft auszustrecken. Es ist ein Signal an die USA und ihre Verbündeten, dass Russland zu Verhandlungen bereit ist. Das steht natürlich im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel, bei dem Putin und Obama einander begegnen werden.
Wie ernst meint es Putin, wenn er sagt, dass er einen Militärschlag unterstützen würde?
Putins Statement lässt der russischen Führung nach wie vor sehr viele Türen offen. Denn Putin hat Bedingungen formuliert - ganz klare Beweise, dass das syrische Regime Chemiewaffen verwendet hat - und nur unter diesen Bedingungen wäre die russische Regierung eventuell zur Unterstützung eines Militärschlags bereit.
Die russische Führung ist in einer schwierigen Situation. Russland hat in den letzten zwei Jahren das Assad-Regime konsequent unterstützt. Es hat ganz konkrete mit Syrien verknüpfte Interessen in der Region. Auf der anderen Seite hat sich Russland dadurch in der internationalen Gemeinschaft immer weiter isoliert.
Russland hat in den vergangenen Jahren auf der internationalen Bühne immer sehr stark auf die Einhaltung des Völkerrechts gepocht. Wenn jetzt das syrische Regime durch den mutmaßlichen Giftgaseinsatz tatsächlich in dieser brutalen Weise gegen das Völkerrecht verstößt, dann versetzt das die russische Führung natürlich in eine sehr unangenehme Lage. Dann muss Moskau im Grunde von seiner Unterstützung der syrischen Führung abweichen. Ich denke, auch dafür hat sich Putin mit diesem Statement eine Tür geöffnet.
Was könnte der Westen tun, um Russland auf seine Seite zu ziehen?
Es ist jetzt absolut essentiell, dass der Westen und vor allem der amerikanische Präsident den G20-Gipfel nutzen, um noch einmal auf Russland zuzugehen. Auch Obama hat sich ja durch die Entscheidung, vor einem Militärschlag den Kongress zu befragen, ein Zeitfenster von zehn Tagen für die Diplomatie geöffnet.
Um eine Zustimmung Russlands für Militärschläge zu bekommen, müssten aber von einer UN-Kommission Beweise erbracht werden, dass Chemiewaffen verwendet worden sind und auch Beweise dafür, dass es tatsächlich das syrische Regime war.
Wie wichtig ist Russland für Syrien?
Russland ist für Syrien natürlich wichtig als Wirtschaftspartner, als Waffenlieferant, als Unterstützer auf der internationalen Bühne. Gleichzeitig ist auch deutlich geworden, dass das syrische Regime in diesem Bürgerkrieg hauptsächlich seine eigenen Interessen verfolgt. Und dass auch auf die russische Position mit Blick auf den möglichen Einsatz von Chemiewaffen keine Rücksicht genommen wird.
Russland kontrolliert dieses Regime nicht. Entsprechend wird auch Russland durch Handlungen des Assad-Regimes in schwierige Situationen gebracht.
Nehmen wir an, Russland entzieht der syrischen Regierung die Unterstützung - würde dies das Ende des Assad-Regimes bedeuten?
Ich glaube nicht, dass eine Veränderung der russischen Haltung diesen Krieg beenden würde. Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand und kämpft um sein Überleben. Es gibt eine Eigendynamik, die auch von Russland nicht zu beeinflussen ist.
Sabine Fischer leitet die Forschungsgruppe Osteuropa bei der Stiftung Wissenschaft Politik in Berlin.
Das Gespräch führte Nils Naumann.