Flüchtlinge in Berlin: Kann eine neue Unterkunft helfen?
12. September 2024In einer ruhigen Wohnstraße im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf steht ein großer Bürokomplex. Den will das Berliner "Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten" (LAF) zu einer Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 1500 Flüchtlinge umbauen. Das Gebäude liegt an der Soorstraße in Westend, einem der wohlhabendsten Stadtteile der Hauptstadt mit rund 20.000 Einwohnern.
"Es stört mich nicht wirklich", sagt ein junger Vater, der mit seinem Baby unterwegs ist, zu den Plänen, die Geflüchteten hier unterzubringen: "Ich denke nur, dass es besser wäre, wenn sie verteilt wären und nicht an einem Ort." "Ich bin nicht dagegen", sagt auch ein Mann, der seit 24 Jahren in der Gegend lebt: "Ich denke nur, dass es zu Problemen führen wird, wenn so viele Menschen unter einem Dach leben."
Amei von Hülsen-Poensgen vom Bündnis "Willkommen im Westend" sitzt auf der Terrasse des nahe gelegenen Kulturzentrums "Ulme35", wo gerade eine Deutschstunde für ukrainische Schüler stattfindet. Die Bedenken der anderen Anwohner teile sie absolut, sagt sie: "1500 Menschen in einem ehemaligen Bürogebäude unterzubringen ist eine dumme Idee, tut mir leid.“
In Berlin leben mehr als 30.000 Flüchtlinge in Unterkünften, die vom LAF betrieben werden. Viele haben ihren Asylantrag bereits bewilligt bekommen, sitzen aber in staatlichen Einrichtungen fest, weil sie auf dem hart umkämpften Immobilienmarkt der Hauptstadt keine bezahlbare Wohnung finden. Besonders schwer haben es Familien mit mehreren Kindern, da es nicht genug Wohnungen mit einer ausreichenden Anzahl von Zimmern gibt. Die Folge: Überdurchschnittlich viele Kinder leben in Flüchtlingsunterkünften.
Wie das LAF mitteilt, nahm Berlin im vergangenen Jahr knapp 17.000 Asylbewerber und zusätzlich über 15.000 Menschen auf, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind. In diesem Jahr ist die Zahl der Neuankömmlinge bisher leicht rückläufig: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 wurden fast 5000 neue Asylbewerber in Berlin registriert, die meisten davon aus der Türkei, Afghanistan und Syrien. Etwa die gleiche Zahl an Kriegsflüchtlingen kam aus der Ukraine.
Migration und Asylrecht - gerade wieder einmal Topthema
Mit dem Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD), einer Partei, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft und die bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen knapp über 30 Prozent der Stimmen erhielt, sind Migration und Asylrecht zu brisanten Themen geworden, die hitzige Debatten auslösen. Ein tödlicher Messerangriff, bei dem im August in der westdeutschen Stadt Solingen drei Menschen getötet und acht weitere verletzt wurden, hat zu parteiübergreifenden Gesprächen geführt. Der Anschlag wurde vermutlich von einem syrischen Staatsangehörigen verübt, dessen Abschiebung gescheitert war.
Der Rechtsruck in der Einwanderungspolitik sei eine "extrem beängstigende Entwicklung" in der deutschen Politik, sagt Nihad El-Kayed, Expertin für Integration und Migration an der Berliner Humboldt-Universität. "Ich finde es alarmierend, dass sich niemand wirklich für eine offene und fortschrittliche Asylpolitik einsetzt, denn ich denke, das muss man auch im Auge behalten: 70 Prozent in Sachsen und Thüringen haben die AfD nicht gewählt, und dort lebt nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung. Also ist es auch antidemokratisch, sich auf die 30 Prozent zu konzentrieren, die natürlich sehr beunruhigend sind."
Eine eigene Wohnung ist wichtig für Integration
In Berlin werden die Flüchtlinge - sortiert nach ihrem Geburtsmonat - auf die Bezirke verteilt, aber die Bezirke schicken sie oft an das LAF zurück, weil auch sie keine Plätze haben. Um dieses Karussell zu stoppen, hat der Berliner Senat kürzlich angekündigt, den Bezirken die Verantwortung zu entziehen und das LAF zu einer zentralen, landesweiten Behörde für die Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen zu machen.
Hülsen-Poensgen vom Bündnis "Willkommen im Westend" sagt, dass ein zentralisiertes System zwar das Problem lösen könnte, dass die Bezirke um Unterkünfte wetteifern und die Preise in die Höhe treiben. Sie hält jedoch nicht viel von den Plänen, da das LAF bereits jetzt versage. "Es gibt Leute, die wissen, dass sie unkontrolliert eine Menge Geld aus der Situation machen können. Es gibt also eine Menge Missbrauch, und die Lebensqualität in den staatlichen Unterkünften ist oft unsagbar schlecht", kritisiert sie.
Untersuchungen zeigten, dass ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche soziale und wirtschaftliche Integration von Flüchtlingen darin besteht, eine eigene Wohnung in einer Gegend mit guter Infrastruktur zu haben, betont die Wissenschaftlerin El-Kayed. Berlin habe zwar die Infrastruktur, aber es fehlten die Wohnungen. "Man sieht schon jetzt ein Spannungsverhältnis zwischen der Infrastruktur, die städtische Räume bieten können, und dem Versagen der Politik in fast allen städtischen Gebieten in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten, bezahlbaren Wohnraum tatsächlich zu sichern", sagt sie der DW.
Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen schätzt, dass die Stadt derzeit mehr als 100.000 neue Wohnungen benötigt, um die Nachfrage zu decken, insbesondere für Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Immer mehr Großunterkünfte
Um einen Teil des Problems zu entschärfen, ist das LAF dabei, immer mehr Flüchtlingsunterkünfte wie das geplante in dem Bürogebäude in der Soorstraße zu bauen und die Notunterkünfte in Berlins größter und umstrittenster Flüchtlingsunterkunft auf dem ehemaligen Flughafen Tegel auszuweiten. Dort sind rund 5000 Menschen in sogenannten Gemeinschaftszelten untergebracht.
Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hatte im August angekündigt, die riesige Flüchtlingsunterkunft in Tegel wegen der hohen Kosten und der Probleme für die Bewohner und die Integration verkleinern zu wollen. Geplant ist die Verlegung von Geflüchteten in neue Containerdörfer und mittelgroße Anlagen wie die an der Soorstraße geplante.
Dirk Stettner, CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, widersprach Kiziltepe umgehend. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Solange die Bundesregierung ihre Asylpolitik nicht ändert und den hohen Zustrom von Asylbewerbern nicht stoppt oder zumindest deutlich reduziert, werden wir weiterhin Großunterkünfte brauchen."
Tatsächlich plant das LAF derzeit, die Anlage in Tegel zu erweitern, um Platz für 8000 Flüchtlinge zu schaffen, aber das wird nur bis 2025 möglich sein. Dann soll das Gelände zu einem Technologie-Forschungspark für Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen umgebaut werden.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.