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Flüchtlingsroute: Jetzt kommen Kinder

Nemanja Rujević6. Februar 2016

Über die Balkanroute kommen immer mehr Flüchtlingskinder. Befürchtet wird, dass tausende Minderjährige Opfer von Kriminellen werden. Nemanja Rujević berichtet aus Gevgelija.

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Kinder auf der Balkanroute an der mazedonisch-griechischen Grenze (Foto: DW)
Bild: DW/N. Rujević

"Sind Sie der Vater?" Die Frage wiederholt der mazedonische Grenzpolizist gleich mehrmals, die Stirn jedes Mal ein bisschen stärker runzelnd, sein gebrochenes Englisch immer hektischer. "You are father?" Der Syrer vor ihm nickt nur ausdrucklos und will damit bestätigen, dass die Dame hinter ihm seine Frau und die drei Kinder sein Nachwuchs sind. Der Polizist starrt in die von den griechischen Behörden ausgestellten Papiere - die Familie hat keine Pässe - und hat am Ende keine andere Wahl, als dem Mann zu glauben. "Go" - damit gibt der Mazedonier endlich grünes Licht und eröffnet der syrischen Familie somit eine neue Etappe ihrer Reise: Sie dürfen jetzt in das Transitkamp von Gevgelija. Ein paar Stunden lang werden sie hier versorgt und dann weiter nach Serbien chauffiert.

Schlepper geben Winterrabatt

Wenn es um Kinder geht, ist das rituelle Misstrauen der Behörden keinesfalls unbegründet: Europol spricht von 10.000 unbegleiteten Minderjährigen, die nach ihrer Ankunft in Europa schon verschwunden sein sollen. Zwar lässt sich kaum feststellen, ob sie wirklich verschwunden oder nur aufgrund schlampiger Bürokratie "unsichtbar" geworden sind - doch die Europol-Meldung wird auch hier in Gevgelija diskutiert. Denn es sind zunehmend Kinder und Frauen unterwegs, wie auch die offizielle mazedonische Statistik, die der DW vorliegt, bestätigt. Waren es im vergangenen Sommer noch zu 75 Prozent Männer, machen Kinder und Frauen hier inzwischen bis zu zwei Drittel der Ankömmlinge aus.

"Am Anfang wollte man noch das System testen, die jungen Männer sollten das Eis brechen", meint Jesper Frovin Jensen, der für das Kinderhilfswerk Unicef die Hilfe vor Ort koordiniert. Die Lage in den Kriegsgebieten sei nicht besser geworden, sagt der Däne, das Bleiben sei für viele keine Option mehr. "Außerdem kriegen die Schmuggler bei diesem Wetter ihre Schiffe nicht voll und senken deswegen die Preise. Das ist dann ein Startschuss für viele, die sich die Reise früher nicht leisten konnten."

Bild eines Kindes im Transitcamp (Foto: DW)
Kinder verarbeiten ihre Erlebnisse - in BildernBild: DW/N. Rujević

Es sind also immer mehr Frauen, die den Mut finden müssen, sich allein mit ihren Kindern auf den lebensgefährlichen Weg zu begeben. Frauen wie Hosna aus Aleppo, die sich gerade Fertigsuppe mit Nudeln holt. Ihr dreijähriger Sohn, dick in einen einteiligen Skianzug eingepackt, hockt fröhlich auf einer der Bänke in dem riesigen geheizten Zelt. "Aleppo bad. In Aleppo war", sagt die Mutter knapp über ihre Heimatstadt - "Aleppo schlimm, in Aleppo Krieg". Der Familienvater ist schon in Schweden, jetzt möchte Hosna auch hin. Es klingt ein wenig absurd: Jetzt, wo die Zielländer versuchen, den Familiennachzug für Flüchtlinge zu erschweren oder zu verzögern, kommen die Familien erst recht - nur über die raue See und das gefrorene Ödland des Balkans.

Die Tür schließt sich

Angetrieben werden sie dabei nicht nur von den anhaltenden Kriegen in ihren Heimatländern und der Hoffnung, ihre schon in Europa lebenden Familienmitglieder wiederzusehen - sondern auch von dem Gefühl, dass es bald schon zu spät sein könnte. Dann nämlich, wenn die "Festung Europa" womöglich die letzte Brücke hochzieht. Denn auch wenn nur die wenigsten Flüchtlinge hier fieberhafte Fans deutscher Politikdebatten sind, haben fast alle mitbekommen, wie sich die Stimmung in Europa gerade verändert: Statt wie vor noch ein paar Monaten begeistert Bilder von "Mama Merkel" auf ihren Handys zu zeigen, fürchten die Menschen, dass die Willkommenskultur bald Geschichte sein könnte. "Die Mütter beeilen sich dann eben mit den Kindern", sagt Elma Džanković von der Hilforganisation Legis.

Wie eilig es alle haben, bekommen im Camp von Gevgelija am ehesten die Helfer mit, die sich wie Wetterhähne zu fragenden Menschen umdrehen und mechanisch die immer gleiche Antwort geben: Nein, man darf nicht einfach so aus dem Camp raus spazieren, sondern muss auf die Erlaubnis der Polizei warten. Ja, ein Ticket bis zur serbischen Grenze kostet 25 Euro - und zwar unabhängig davon, ob die Behörden einen auf Bahn, Bus oder Taxi verweisen.

Verdacht auf Kinderhandel

Für echte Sozialarbeit bleibt da wenig Zeit, was Elma Džanković sehr gefährlich findet. Die Freiwillige weiß, dass allein Mazedonien bislang schon über 18.000 unbegleitete Minderjährige zählte. "Wir haben Erkenntnisse, dass manche Menschen die fremden unbegleiteten Kinder einfach als ihre eigenen darstellen und so gefälschte Papiere besorgen", sagt sie, ohne eine Quelle für diese Information zu nennen. Schlimme Vermutungen aber gibt es viele hier: von Kinderhandel ist die Rede, sogar von Organhandel. "Uns fehlen qualifizierte Sozialarbeiter und Pädagogen, die feststellen könnten, ob ein Kind tatsächlich einer Familie angehört. Aber die Menschen bleiben nur einige Stunden lang, dann wird das Problem exportiert."

Mädchen im Transitcamp an der mazedonisch-griechischen Grenze (Foto: DW)
Mädchen im Transitcamp: Eltern dabei?Bild: DW/N. Rujević

Die Kritiker bemängeln auch den Umgang mit unbegleiteten Kindern. Nur wenn sie ganz klein sind und wenn sich kein Verwandter in der Nähe finde, werden die Kinder in ein Zentrum in der Hauptstadt Skopje gebracht. Sonst sucht man nach einem sogenannten "Hüter", der sich bereiterklärt, sich auf dem weiteren Weg um den Minderjährigen zu kümmern. Der Unicef-Koordinator Jesper Frovin Jensen verteidigt diese Praxis: "Diese junge Menschen haben nur einen Gedanken im Kopf: weitergehen. Man macht sie noch verletzlicher, wenn man ihre Weiterreise mit einer ihnen schon bekannten Gruppe verhindert."

Wie wichtig es für das Kind ist, bekannte Gesichter um sich zu haben, weißt auch Anamarija Schram. Die junge Helferin in einem Overall des Roten Kreuzes ist in Gevgelija für die Familienzusammenführung zuständig. "Es passiert oft, dass Menschen ihre Kinder auf dem Weg verlieren oder dass Familienmitglieder in verschiedene Busse einsteigen", erzählt Anamarija. Ihre Aufgabe ist also oft stressig. Warum sie ihre Arbeit trotzdem mag, das wurde ihr erst wenige Stunden vor unserem Gespräch wieder bewusst: Ein Junge war einfach aus dem Camp verschwunden. Ahnungslos stand er auf einer Brücke, 300 Meter entfernt, als Anamarija ihn fand. Zu sehen, wie die Eltern ihr Kind wieder in ihre Arme schlossen, sagt sie, dafür lohne sich das Ganze.