Flüchtlingsstreit: Die "neue Sau" im Dorf
9. November 2015Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat, nachdem seine Idee zum begrenzten Familiennachzug für syrische Flüchtlinge am Freitag noch eilig vom Kanzleramt einkassiert worden war, nun Rückendeckung aus der Union erhalten. Der Familiennachzug müsse "natürlich" begrenzt werden, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im "Bericht aus Berlin" der ARD. Deutschlands Aufnahmekapazität sei nicht unbegrenzt. "Und infolgedessen ist es eine notwendige Maßnahme, dass man im Einzelnen prüft und dass eben in Syrien klar ist: Es können nicht alle jetzt nach Deutschland kommen." Er halte de Maizières Vorschlag "für eine notwendige Entscheidung", über die sich die Koalition "sehr rasch" verständigen solle.
"De Maizière hat recht"
Auch CSU-Chef Horst Seehofer pflichtete dem bei. Der bayerische Ministerpräsident sagte der "Süddeutschen Zeitung", de Maizière habe recht. Und: Der Flüchtlingsstatus jedes Syrers müsse genau geprüft werden.
Kritik kam dagegen von Vizekanzler Sigmar Gabriel. Das Thema sei nie besprochen worden, sagte der SPD-Vorsitzende im "ARD-Bericht aus Berlin". Er beklagte, dass - "immer kurz nachdem wir uns vereinbart haben" - es einen neuen Vorschlag gebe, der vorher nicht auf dem Tisch gelegen habe. "Und das führt natürlich dazu, dass in Deutschland der Eindruck entsteht: Die Regierung - da weiß die linke Hand nicht mehr, was die rechte tut." Oder noch deutlicher ausgedrückt: Man dürfe nicht "jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben". Nötig seien beschleunigte Flüchtlingsverfahren, eine Sicherung der europäischen Außengrenzen und Flüchtlingskontingente.
De Maizière hatte Änderungen am Status syrischer Flüchtlinge ins Gespräch gebracht. Demnach sollten diese nach Einzelfallprüfung gegebenenfalls nur noch einen sogenannten subsidiären Schutz bekommen. Dies würde unter anderem bedeuten, dass der Nachzug von nächsten Angehörigen nicht möglich ist. Derzeit bekommen die Syrer bisher in fast allen Fällen "primären Schutz" - zumeist eine Rechtsstellung als Flüchtling nach dem Asylverfahrensgesetz und damit das Recht auf einen Aufenthalt für zunächst drei Jahre sowie auf Familiennachzug.
Rückwärtsgang nur zwischengeschaltet
Noch am gleichen Tag hatte Regierungssprecher Steffen Seibert durch eine öffentliche Äußerung via Kurznachrichtendienst Twitter bewirkt, dass de Maizière zurückrudern musste. Doch nun zeigt sich: Der Rückwärtsgang war nur zwischengeschaltet.
Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) bestätigte am Sonntag, dass er von de Maizière nicht über dessen Vorgehen informiert wurde. "Ich persönlich habe es nicht gewusst, das ist richtig", sagte Altmaier im Deutschlandfunk zum Vorgehen des Innenministers. Es werde vorerst dabei bleiben, Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien den Flüchtlingsstatus nach der UN-Flüchtlingskonvention zuzuerkennen - und damit auch das Recht auf Familiennachzug. Für die Zukunft legte sich Altmaier allerdings nicht fest.
Am Donnerstag hatten sich die Spitzen der großen Koalition darauf geeinigt, den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit sogenanntem subsidiärem Schutz für zwei Jahre auszusetzen - dabei war aber davon ausgegangen worden, dass dies nur für eine relativ geringe Zahl von Flüchtlingen gelten würde, nicht jedoch für die meisten Menschen aus Syrien.
"Es reicht jetzt wirklich", sagte SPD-Vize Ralf Stegner im NDR zum Vorstoß des Innenministers. In einem anderen Interview verlangte er ein Eingreifen der Kanzlerin. In mehreren Zeitungskommentaren ist die Rede davon, dass die CDU-Vorsitzende ihren Innenminister entlassen müsste. In anderen heißt es, dass de Maizière völlig richtig liege. Oder soll am Ende doch die SPD alt aussehen? An diesem Montag beginnt in Berlin eine neue politische Woche - wie immer mit den Sitzungen der Spitzengremien der Parteien. Also: Fortsetzung folgt.
ml/SC (rtr, dpa, afp)