Flucht über Marokko als Alternative?
21. März 2016Noch immer versuchen Schutzsuchende auf kaum seetüchtigen Booten, von der Türkei auf die griechischen Inseln überzusetzen. Ihre Erfolgsaussichten für eine Flucht nach Europa sind mit dem Rücknahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei deutlich geringer geworden. Doch Flüchtlingsbewegungen lassen sich durch Abkommen und Barrieren nicht einfach stoppen, sondern nur verlagern. Das könnte unter anderem Spanien zu spüren bekommen. Je mehr das östliche Mittelmeer für Flüchtlinge zur Sackgasse wird, desto mehr könnte das westliche Mittelmeer zur Alternativroute werden. Spaniens Innenminister Fernandez Diaz betonte mehrfach, dass sein Land wachsam sein müsse für die Entwicklung im benachbarten Marokko.
Die Meerenge von Gibraltar zwischen Afrika und Europa ist nur 14 Kilometer breit. Seit vielen Jahren versuchen vor allem Afrikaner aus den Staaten südlich der Sahara, mit kleinen Booten Europa zu erreichen. Das ist immer schwieriger geworden, da Marokkos Behörden die eigene Küste engmaschig überwachen und die Schlepperboote stoppen.
Allerdings reicht Spaniens Territorium ohnehin bis nach Afrika. Seit Jahrhunderten gehören die beiden Städte Ceuta und Melilla an der nordafrikanischen Küste zu Madrid. Sechs Meter hohe Zäune mit Stacheldraht sollen verhindern, dass Migranten ohne Papiere in die beiden Exklaven des Königreichs kommen. Gegen die Befestigungen stürmten mit Leitern mehrfach Hunderte von Menschen an, die meisten von ihnen Afrikaner. Eine Sorge in Madrid ist, dass demnächst auch immer mehr Syrer, Iraker und Afghanen dabei sein könnten.
3000 Syrer in Marokko registriert
Tatsächlich ist die Zahl der Syrer, die Marokko erreichen, in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. "Der Grund dafür ist die Überlastung der Nachbarländer Syriens wie Libanon, Türkei und Jordanien", erläutert der Beauftragte des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) in Marokko, Jean-Paul Cavalieri, im DW-Gespräch. In den Nachbarländern leben etwa vier Millionen Syrer. Deshalb machten sich immer mehr Syrer auf den Weg in andere Regionen. Derzeit sind laut Cavalieri etwa 3000 Syrer als Asylsuchende in Marokko registriert. Wie viele Syrer sich nicht registrieren lassen und direkt über die EU-Grenze weiterreisen wollen, konnte er nicht sagen.
Bis zum vergangenen Jahr konnten Syrer ohne Visum nach Algerien fliegen und sich dann entscheiden, ob sie über Marokko oder das vom Bürgerkrieg zerrüttete Libyen versuchen, Europa zu erreichen. In kleinerem Umfang ließ Spanien sogar Syrer als Asylsuchende einreisen. Es habe ein eingeschränktes Zugangsverfahren gegeben, sagt der Europa-Referent der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, Karl Kopp. Angesichts der früher fast völlig offenen Balkanroute sei der Weg über das weit entfernte Marokko aber nicht sehr attraktiv gewesen. Nun sind die Balkanroute und die Ägäis an ihrem Anfang fast völlig abgeriegelt.
Mit Flüchtlingszahlen wie in der Ägäis oder im zentralen Mittelmeer rechnet Kopp für das östliche Mittelmeer vorerst nicht. "Die Festung Europa ist dort im hässlichen Sinne recht gut sortiert", sagt Kopp. "Es kommen nur die Leute rüber, die viel Geld haben und die nötigen Bestechungsgelder bezahlen können."
Keine Hinweise auf Anstieg
Auch Alberto Senante von der spanischen Flüchtlingshilfsorganisation CEAR sieht noch keine Anzeichen für einen drastischen Anstieg der Asylzahlen, obwohl sich die Einigung zwischen der Türkei und der EU abgezeichnet hat. Wer es bis nach Spanien schaffe, der erhalte als Syrer oder Iraker fast sicher Asyl, sagt Senante.
UNHCR-Vertreter Cavalieri, meint: "Es ist noch zu früh, die Folgen der Abschottung im Osten abzuschätzen." Er betont, dass Syrer auch in Marokko eine sichere Bleibe finden könnten. Doch viele Syrer - wie auch Flüchtlinge und Migranten anderer Länder - werden nicht dort bleiben wollen.
Welche Wege die Geflüchteten künftig nehmen werden, sei noch unklar, so Pro-Asyl-Referent Kopp. Das Schwarze Meer, die Küste von Albanien oder die hoch gefährliche Route über Libyen und Tunesien zu den italienischen Mittelmeerinseln könnten noch mehr als ohnehin schon genutzt werden. Der Weg über Marokko nach Spanien sei nur eine Variante, die zudem viel Geld koste. Klar ist Kopp zufolge jedoch, wer von der Abschottung der Ägäis und der Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei profitieren werde. "Das ist die Stunde der Schlepper-Industrie. Die entscheidet über die neuen Wege."