Wenn der Versicherung das Risiko zu groß ist
27. Juli 2021"Den meisten Dreck haben wir schon weggeräumt," sagt Marie-Ellen Krause. Im sauerländischen Menden leitet sie die Villa Dominik, eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen. Mitte Juli wurde nach heftigen Regenfällen innerhalb weniger Stunden der normalerweise friedliche Bach Hönne zum reißenden Fluss und setzte weite Teile der Innenstadt in Menden unter Wasser. "Die Sandsäcke, die wir vor unserem Heim errichtet hatten, konnten die Flut nicht stoppen," erinnert sich Marie-Ellen Krause. In der Villa Dominik leben 44 zumeist schwerstbehinderte Menschen. Sie werden rund um die Uhr betreut.
Von der Einrichtung aus kann man das Flüsslein noch nicht einmal sehen, es liegt etwa 150 Meter entfernt. Doch als die Hönne mit dem Zehnfachen der üblichen Wassermenge über ihre Ufer trat, drang sie auch in das Untergeschoss der Behinderteneinrichtung ein. Die Einwohner konnten noch rechtzeitig in die oberen Etagen und damit in Sicherheit gebracht werden - und so schnell wie die Hönne anschwoll, so schnell kehrte sie auch in ihr Flussbett zurück. Doch die Sachschäden sind immens. Auf etwa eine halbe Million Euro würden sie geschätzt, meint Marie-Ellen Krause. Das ist eine große Summe für den gemeinnützigen Verein für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (VKM). Und derzeit weiß die Vorsitzende nicht, wie sie das Geld aufbringen soll.
Die Versicherer winkten ab
Dabei wollte sich der Verein, als er 2009 dieses Gebäude bezog, ausdrücklich gegen Elementarschäden versichern. Doch die angefragten Versicherungen lehnten alle ab. Offenbar hatten sie die Folgekosten eines Hochwassers aus dem Jahr 2007 noch in Erinnerung. Damals mussten die Versicherungen tief in die Tasche greifen, um für die versicherten Schäden aufzukommen. Und so etwas wollen sie nicht noch einmal erleben, nicht in Menden.
Am Ende gelang es dem VKM nicht, eine Elementarversicherung abzuschließen, also eine Versicherung, die bei Naturereignissen wie Starkregen, Erdrutschen oder Hochwasser einspringt. So wurde der Verein zumindest indirekt von den Versicherungen gezwungen, das Risiko von Hochwasserschäden selbst zu tragen.
Und das kann er nicht, wie jetzt allen klar ist. Den woher soll die Behinderteneinrichtung eine halbe Million Euro auftreiben, um weiter arbeiten zu können? Das Hochwasser hat den Aufzug zerstört, ohne den die Rollstuhlfahrer nicht von einer Etage zur nächsten transportiert werden können. Die Katastrophe vernichtete auch vier Spezialtransporter, die Brandmeldeanlage, den Alarmserver und vieles mehr. Marie-Ellen Krause hofft ein wenig auf private Spender, aber mehr noch auf die Politik.
Wer trägt die Risiken des Klimawandels?
Die Hochwasser-Katastrophe überfordert unzählige soziale Einrichtungen in Deutschland ebenso wie Familien und Geschäfte. Schätzungen des Versicherungsverbandes GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft) besagen: Gerade einmal 46 Prozent der Gebäude verfügen über eine Elementarversicherung. Den Abschluss einer solchen Absicherung gesetzlich vorzuschreiben, also verpflichtend für alle Eigentümer von Gebäuden, lehnt der GDV ab: Die Versicherungswirtschaft könne nicht allein die Folgen des Klimawandels tragen.
Ganz anders sieht dies der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann. Er plädiert im Gespräch mit der Deutschen Welle für eine Elementarschadensversicherung für alle Hausbesitzer. Der Staat sei aufgefordert, entsprechende Modelle auszuarbeiten, sagte er. Ähnlich denkt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen. Gebäude- und Immobilienbesitzer müssten eine Solidargemeinschaft bilden. Andersfalls würden Umweltschäden in Zukunft kaum noch zu bewältigen sein. Einig sind sich die Vertreter aller bürgerlichen Parteien, dass sich extreme Wetterbedingungen als Folge des Klimawandels häufen werden.
Ein Grund mehr, schnell zu einer Lösung in dieser Frage zu kommen. Vorerst springt der Staat mit Steuergeldern ein. 400 Millionen Euro Soforthilfe wurden bereits zur Verfügung gestellt. Geplant ist zudem ein Fonds in Milliardenhöhe. Dieser soll Versicherten und Nicht-Versicherten helfen. Davon würde dann auch Marie-Ellen Krause mit ihrem Verein profitieren.