Flüchtlinge musizieren gemeinsam im syrischen Exil-Orchester
22. September 2015Krieg, Tod, Flüchtlinge - von Syrien haben die meisten Menschen das Bild eines Trümmerlandes. "Das wollen wir ändern", sagt Raed Jazbeh entschlossen, "Mit unserer Musik". Der junge Kontrabassist gründete vor ein paar Monaten das "Syrian Expat Philharmonie Orchestra", kurz SEPO. Zum ersten Mal tritt die Gruppe am 22. September in Bremen auf. Die rund 30 Instrumentalisten sind hauptsächlich syrische Flüchtlinge. Sie sind aus ganz Europa angereist und proben zum ersten Mal zusammen.
"Heimkehr aus der Fremde" heißt das Eröffnungsstück von Felix Mendelssohn Bartholdy, eine Konzertouvertüre mit traurigen Klängen, die von der großen Sehnsucht nach der Heimat zeugen. Flucht und Exil prägen die Stimmung, aber auch Liebe und Hoffnung sind im Programm enthalten, das von klassischen Symphonien in westlichen Tradition bis hin zu dem weniger bekannten zeitgenössischen syrischen Komponisten Mayas Al Yamani reicht.
Für Raed geht damit ein Traum in Erfüllung. Schon vor zwei Jahren, bei seiner Flucht von Syrien nach Deutschland, dachte er über die Gründung eines Orchesters nach. Von einem "Flüchtlingsorchester" mag er dennoch nicht sprechen: "Wir sind ein Exil-Orchester", betont er und streicht behutsam über sein Kontrabass.
Die Proben dauern bis tief in die Nacht. Immerhin ist die Zeit bis zur Premiere sehr knapp. "Drei Tage Proben reichen selbst für Profis kaum aus", sagt Naser, der mit seinem Horn aus Berlin angereist ist um im SEPO zu spielen, dem ersten Symphonieorchester syrischer Musiker in Europa. Während der Probezeit kommen die Musikerinnen und Musiker bei deutschen Gastfamilien in Bremen unter.
Damaskus trennt, Bremen vereint
Einige Syrer hatten schon in ihrer Heimat gemeinsam musiziert, an der Musikhochschule in Damaskus. Vor vier Jahren trennten sich dann ihre Wege. Der Bürgerkrieg griff um sich; die jungen Menschen nahmen ihre neuen Schicksale im europäischen Exil entgegen. Über Facebook gelang es Raed dann, einige seiner ehemaligen Kollegen ausfindig zu machen. Besonders lange hat er nach der Violinistin Michella Kasas gesucht. Sie wohnt mittlerweile in Frankreich. Dort kann sie nun ihr Musikstudium fortsetzen.
Dass sie heute neben so vielen ihrer ehemaligen Kommilitonen in Bremen für einen Auftritt probt, ist für Michella fast ein Wunder: "Ich kann kaum glauben, dass wir uns nach so vielen Jahren wiedergefunden haben", sagt die 28-jährige. "Während der Proben fühle ich mich, als wäre ich wieder in Damaskus. Das ist sehr berührend".
Michella hatte das Glück, ihre Violine mit nach Frankreich nehmen zu dürfen. Der Trompeter Dolama Shabah musste jedoch sein geliebtes Instrument zurücklassen. "Ich hatte einfach nicht genug Platz in meinem kleinen Rucksack", erklärt er. Das war das einzige Gepäckstück, das er auf seiner Flucht über die Türkei, das Mittelmeer, Serbien und Ungarn bis nach Deutschland dabei hatte. Hier schenkte ihm dann ein deutscher Kollege eine gerbrauchte Trompete."Das hat mir wieder Hoffnung gemacht. In diesem Orchester habe ich meine Kraft und meinen Ehrgeiz wiedergefunden", sagt Dolama.
Chaos trifft Harmonie
Als er vor ein paar Monaten von der SEPO hörte, zögerte der Dirigent Martin Lentz nicht lange. Gerne arbeitet er mit internationalen Gruppen. Zuletzt betreute er auch ein Projekt in Ramalla mit dem israelisch-argentinischen Dirigenten Daniel Barenboim. Für die jungen Syrer zeigt er viel Zuneigung und Verständnis, bei den Proben bleibt er jedoch streng. Immer wieder bricht er ab, verbessert, korrigiert. "Weicher muss es sein, noch viel feiner", mahnt er die Violinisten auf Englisch. Dann gibt er wieder das Einsatzzeichen und nickt mit dem Kopf. Vom Fingerspitzen-Einsatz auf dem arabischen Darbuka-Trommel bis hin zum Kratzen der Geigen bringen die Musiker allmählich einen ausbalancierten, frischen Rhythmus hervor. Einfach bleibt die Kombination von arabischer und westlicher Musik jedoch nicht.
Immer wieder mischen sich schräge Töne in die Melodie, Lentz muss abbrechen. Die Musiker sind nervös und verunsichert, morgen müssen sie auftreten. Hilfesuchend schauen sie hoch zu ihrem Dirigenten. Der versucht sie zu ermuntern: "Ihr müsst nicht so perfekt spielen wie die Berliner Philharmoniker! Spielt die Musik mit euren Gefühlen", ermuntert er das Ensemble. Dann hebt er die Hand und gibt das Einsatzzeichen, die Probe geht weiter. Vor der Premiere gibt es keine Zeit mehr zu verlieren.
Das Konzert im Sendesaal von Radio Bremen ist ausverkauft. Weitere Auftritte sind geplant, zunächst am 3. Oktober in Hitzacker.