Flüchtlinge und Touristen in Budapest
17. September 2015Ein kleines ungarisches Mädchen schleppt zwei riesige Teddys über den Vorplatz des Budapester Bahnhofs Keleti. Die Stofftiere versperren ihr die Sicht, sie stolpert fast über ihre eigenen Füße. Sousza ist fünf und redet ununterbrochen mit ihrer Mutter. Die läuft einen halben Meter hinter ihr, trägt Taschen, aus denen Puppen ragen und ein Spielzeugauto.
Die Szene lässt mich innehalten, zum zweiten Mal an diesem Tag. Kurz zuvor habe ich knapp hundert Flüchtlinge gesehen, die von der ungarischen Polizei daran gehindert wurden, den Bahnhof zu betreten. Viele von ihnen halten Fahrkarten in die Höhe. Sie haben gehört, es fahre wieder ein Zug nach Österreich und eventuell weiter nach Deutschland. Doch die Polizei ist unerbittlich, keiner kommt durch, Fahrkarte hin oder her.
Einige erzählen mir, dass sie schon Tage am Bahnhof sitzen. Mohammad, ein 25 Jahre alter Syrer, hat fünf Tage in der sogenannten Transitzone des Bahnhofs zugebracht, zwei davon auf einer Decke unter freiem Himmel. Zusammen mit mehr als tausend anderen Flüchtlingen. Aus Syrien und dem Irak. Irgendwann seien Flugblätter verteilt worden, auf Ungarisch. Polizisten, die er um Hilfe bei der Übersetzung gebeten hatte, seien einfach weggegangen, einer habe ihn angeschrien. Aus Ungarn, sagt Mohammad, wolle er einfach nur weg.
Zwischen Ablehnung und Mitgefühl
Sousza und ihre Mutter sind inzwischen in der Transitzone angekommen. Das Spielzeug wollen sie einer Hilfsorganisation geben, damit es an Flüchtlinge verteilt wird. In den Fernsehnachrichten, erzählt sie, seien Bilder vom Bahnhof und von einem Lager an der Grenze gezeigt worden. Von Flüchtlingen, die nichts weiter hatten als ihre Kleidung.Da habe ihre Tochter angefangen, Spielzeug einzupacken. Sie habe genug Puppen, die Kinder im Fernsehen nichts, so die Fünfjährige. Und jetzt seien sie hier. Ihren Namen aber will die Mutter mir nicht sagen und auch nicht fotografiert werden. Wegen der Nachbarn. Denn es gebe nicht wenige, die abfällig über die Flüchtlinge sprechen. Und sie wolle kein Gerede.
Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation sagt, dass jeden Tag Budapester kommen mit Lebensmitteln und Getränken. Mit Decken, Kleidung und Spielzeug. Und helfen wollen. Ohne diese Unterstützung stünden sie hier auf verlorenem Posten. Gelegentlich kämen sogar Touristen, die brächten meist Lebensmittel, die sie spontan irgendwo gekauft haben. Oder wollten Geld spenden. Dem Staat, der Regierung Orbán, seien die Flüchtlinge weitgehend egal, so sein Eindruck. Und das sei eine Schande. Denn es seien ja schließlich Menschen. Menschen, die alles zurückgelassen hätten, aus Angst um ihr Leben.
Auch wenn die Grenzen inzwischen weitgehend undurchlässig seien: Er habe beobachtet, dass immer wieder Menschen von irgendwo aus der Stadt zum Bahnhof kommen, sich mit anderen über die neuesten Meldungen austauschen und wieder untertauchen, sagt der Mann von der Hilfsorganisation. Auch aus den Flüchtlingslagern an den Grenzen machten sich immer noch Frauen, Männer und Kinder auf eigene Faust auf den Weg, auch nach Budapest. Menschen, die Hilfe brauchen, werde es hier wohl noch länger geben.
Sousza ist inzwischen zu zwei kleinen Mädchen gelaufen, die im Untergeschoss des Bahnhofs vor einem Zelt sitzen. Sie hat ihnen ihre Teddybären in die Hand gedrückt. Alle drei strahlen.
"Ja, wir haben ein Problem.“
Abends im Hotel treffe ich Peter aus Glasgow. Er macht mit seiner Frau Urlaub in Budapest. Vorher waren sie am Balaton. Sie lieben die Thermal-Bäder der ungarischen Hauptstadt, die Margareteninsel. Und waren schon zweimal hier. Doch in diesem Jahr sei alles etwas anders.
Am dritten Tag in Budapest habe ihr Taxi lange im Stau gestanden, weil ein langer Zug zerlumpter Menschen über die Kreuzung lief. Und der Taxifahrer habe abfällige Bemerkungen gemacht. Da erst habe er im Internet einiges über die Flüchtlinge in Ungarn gelesen. Und gemeinsam mit seiner Frau spontan Sandwiches gekauft und verteilt. Einfach wegsehen, das hätten sie nicht gekonnt. Ansonsten bekomme man ja kaum etwas mit davon, wie es an den großen Bahnhöfen und an der Grenze aussieht.
An der Hotelrezeption sagt Laszlo, ein junger Mann, der gut deutsch spricht: "Ja, wir haben da ein Problem am Bahnhof." Und später: "Eigentlich haben wir noch ein viel größeres Problem, drüben, im Regierungsviertel." Er meint den ungarischen Premierminister Viktor Orbán und seine Politik, die dem Ruf seines Landes Schaden zufüge. Besonders, was die Flüchtlinge angehe. Aber das dürfe man hier nicht so laut sagen.
Stornierungen von Hotelzimmern habe er wegen der vielen Flüchtlinge in der Stadt bisher noch nicht gehabt, sagt Laszlo. Aber besorgte Anrufe: Ob es sicher sei, nach Budapest zu reisen. Ob Züge fahren oder man lieber fliegen solle. Aber für die Touristen sei die Flüchtlingsproblematik nicht das wichtigste Thema. Wer nicht zum Bahnhof müsse, bekomme davon ja auch kaum etwas mit. Und jetzt müsse er sich wieder um die Rezeption kümmern. Das Thema, so mein Eindruck, ist ihm jetzt doch ein bisschen unangenehm.
Keine Lösung in Sicht
Am nächsten Tag bin ich auf einer Raststätte an der Autobahn am Rand von Budapest. Da verteilt das Rote Kreuz gerade Wasser und Verpflegungsbeutel an vorbeilaufende Flüchtlinge. Und die Polizei versucht, längere Staus zu verhindern. Ich treffe Autofahrer - aus Ungarn, Österreich und Deutschland. Urlauber und Geschäftsreisende. Sie schimpfen über den Stau. Und einige auch über die vielen Flüchtlinge. Die meisten aber sagen, die Politik versage gerade komplett.
Später frage ich bei der Stadtverwaltung von Budapest nach, wie sie mit der immer noch großen Zahl von Menschen im und um den Bahnhof weiter umgehen will. Die Plätze am Bahnhof würden sooft es gehe gereinigt, heißt es. Auf die Frage, ob die Situation und die internationale Berichterstattung inzwischen Einfluss auf den Tourismus habe, kann man mir nichts sagen. Aber man wolle sich erkundigen und zurückrufen. Doch der Rückruf kommt nicht.