Folgen der BP-Ölpest
25. Februar 2013"Unsere Austern sind alle tot, wir haben schon seit langem nicht mehr gefischt", erzählt Byron Encalade. Der 58-jährige Fischer steht in einem seiner beiden Boote, die seit fast drei Jahren nicht mehr ausgelaufen sind. Sie rosten im Hafen von Pointe à la Hache vor sich hin, einem kleinen Ort südlich von New Orleans, dort, wo der Mississippi in den Golf von Mexiko fließt. Und wo sich im April 2010 das Öl ausbreitete, das 86 Tage lang aus dem Bohrloch sprudelte. Dieses war durch den Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon leck geworden. Über vier Millionen Barrel Öl liefen aus und verschmutzten 7.000 Kilometer der Küsten der umliegenden US-Bundesstaaten. Am schlimmsten traf es Louisiana, vor dessen Küste die BP-Bohrplattform lag.
Byron Encalade hat sein ganzes Leben Austern gefischt, genau wie sein Vater. Seine Familie lebt seit Generationen in der Gegend östlich des Mississippi, die er als die "vermutlich größte, reichhaltigste Austern-Flussmündung der Welt" bezeichnet, das "Herz von Louisianas Austerngründen". Doch in den öffentlichen Gewässern, in denen Encalade und seine Fischerkollegen immer reichhaltige Ernte einfuhren, wurden nahezu alle Austern vor drei Jahren vernichtet.
Warum wachsen keine Austern nach?
Dabei war es nicht das Öl, das die Austern tötete, sondern das Süßwasser, mit dem die Gegend absichtlich geflutet wurde, um das Öl von der Küste fernzuhalten. Austern aber brauchen einen bestimmten Salzgehalt um zu überleben. Wenn zu wenig Salz im Wasser ist, erklärt der Biologe Ed Cake, "schwellen sie an, ihre Organe versagen und sie platzen". Cake ist staatlich anerkannter Biologe, der mit dem Ministerium für Naturschätze von Louisiana zusammenarbeitet. Während die Ursache des Austernsterbens festzustehen scheint, weiß niemand genau, warum die Tiere sich in den letzten beiden Jahren nicht wieder vermehrt haben.
Professor Thomas Soniat, Biologe an der Universität von New Orleans, meint, es handele sich um einen normalen Zyklus: "Auch vor der Ölkatastrophe war die Zahl der Austern verhältnismäßig klein", sagt er. 2000 sei das letzte gute Jahr für Austern gewesen. Aber Ed Cake hat eine andere Theorie: Die kleinen Baby-Austern müssen sich an etwas festhalten können, zum Beispiel an anderen Austernschalen. "Ein sehr feiner Film von Sediment reicht schon aus, und die Baby-Austern können sich nicht am Boden verankern." Sediment, wie es durch die Süßwassereinleitung mit gespült wurde.
BP soll für den langfristigen Schaden zahlen
Außerdem, so Cake, sei die gesamte Gegend dem Öl und dem Dispersionsmittel ausgesetzt gewesen, das ebenfalls Grund dafür sein könnte, dass die Baby-Austern keinen Halt mehr finden. Nicht zuletzt: Austern ernähren sich von Mikropartikeln im Wasser. Wasser, das immer noch Öl und das hochgiftige Dispersionsmittel enthält, mit dem die Öllachen aufgelöst wurden. Nach Angaben des Ministeriums für Wild und Fischerei von Louisiana ist eine Million Barrel Öl noch immer im Wasser. "Wenn das Öl in ihren Verdauungstrakt gerät", erklärt Ed Cake, "kommt es zu Verletzungen und die Tiere sterben."
Byron Encalade, der auch der Präsident des Austernverbands ist, hat Verständnis für das Einleiten des Frischwassers. "Aber jetzt", sagt er, "ist es ein Verbrechen, dass BP nicht seinen Verpflichtungen nachkommt und sich um die kleinen Fischerorte kümmert." Außer den ersten Notzahlungen von rund 80.000 US-Dollar, so der Fischer, habe er von der Ölfirma keinerlei Geld mehr erhalten, alle bisherigen Angebote hält er für zu niedrig. Allein die beiden Fischerboote zu ersetzen würde je 200.000 US-Dollar kosten. Encalade verkaufte seine Lastwagenfirma, um zunächst über die Runden zu kommen. Auf eine Interviewanfrage an BP gab es keinerlei Reaktion.
Studie unter Verschluss
Die Einigungen mit BP, die einige Leute in der Gegend schon kurz nach der Katastrophe akzeptierten, seien nicht für jeden von Nachteil gewesen, so der Anwalt Joel Waltzer, der einige Fischer vertritt. Denn bei der Kalkulation der Entschädigungssumme sei ein Verlust von 30 Prozent des Fangs festgelegt worden. Wer weniger Einbußen hatte, wie etwa die Austernfischer auf der westlichen Seite des Mississippi, machte ein Geschäft. Wer aber wie Byron Encalade und die Austernfischer von Pointe à la Hache alles verlor, für den reichte es hinten und vorne nicht.
Ein weiteres Problem: "Die Fischer", so Waltzer, "mussten sich zu einem Zeitpunkt entscheiden, als die langfristigen Folgen noch gar nicht klar waren." Wer aber sehr früh einem Vergleich zustimmte, hat jetzt eigentlich keinen Anspruch mehr. Waltzer hofft auch hier auf eine Rechtsentscheidung zugunsten der Betroffenen. Denn niemand weiß, wann sich die Austern wieder vermehren. Eine staatliche Studie wird unter Verschluss gehalten. Der Staat wolle sie als Trumpf im Prozess gegen BP nutzen, so Anwalt Waltzer. "Die Regierung sollte sich aber auf den Standpunkt stellen: 'Wir schwächen zwar unsere Position etwas, wenn wir die Daten freigeben, aber die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf."
Doch bis dahin tappen die Menschen in Pointe à la Hache im Dunkeln. "Diese Unsicherheit ist das Schlimmste", erklärt Don Beshel, der die Bootsanlegestation im Hafen des Ortes betreibt. Bis vor zwei Jahren, sagt der 55-Jährige, machte der Betrieb Profit, konnten kommerzielle und Sportfischer sowie Ölfirmen bei ihm Eis, Benzin und Vorräte kaufen und ihre Austern, Krabben, Fische und Shrimps entladen. Doch seit 2010 sind die Verkäufe um 65 Prozent zurückgegangen, und Beshel weiß nicht, wie lange er das Geschäft noch weiterführen kann.
Düstere Aussichten
Billy Nungesser ist der Präsident der Gemeinde Plaquemines, zu der Pointe à la Hache gehört. Er bereitet sich auf eine lange Durststrecke vor: "Ich glaube, es wird zehn oder 20 Jahre dauern, bis das Öl ganz verschwindet, und das bedeutet, dass die Leute keine Meeresfrüchte von hier essen werden, auch wenn es heißt, dass sie genießbar sind", fährt er fort, "denn solange es einen Ölfilm gibt, bleibt der an irgendetwas hängen."
In der Zwischenzeit versuchen die Menschen in Pointe à la Hache sich durchzuschlagen. Für den 58-jährigen Byron Encalade heißt das, mit seinem Vater zusammenzuwohnen. "Mein Vater zahlt die Stromrechnung", sagt er, "er kauft die Lebensmittel und alles andere, ich könnte das nicht." Der ganze Ort sei auf die Pensionen der Alten angewiesen. Ungefähr 100 Fischer würden noch hier leben, erklärt Encalade, aber es sei schwer, den Überblick zu behalten darüber, wer bleibt und wer geht. Aber wenn die Austern nicht bald wiederkommen, dann haben die Menschen in Pointe à la Hache keine andere Wahl als den Ort zu verlassen, in dem sie ihr ganzes Leben gewohnt und gefischt haben.