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EU-Grenzsicherung

Rachel Gessat3. Juni 2012

"Smart Borders", zu Deutsch "Intelligente Grenzen", sollen in Zukunft die Außengrenzen der Europäischen Union schützen. Wissenschaftler halten die EU-Konzepte für unangemessen und unnötig.

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Schild an der EU-Außengrenze zwischen Polen und der Ukraine (Foto: AP)
Polnisch-ukrainische GrenzeBild: AP

Die EU-Kommission, die innerhalb der Staatengemeinschaft die entsprechenden Gesetzentwürfe entwickelt, setzt bei der Sicherung der EU-Außengrenzen vor allem auf High-Tech. 2008 brachte sie mehrere Projekte an den Start. Zum einen das europäische Grenzkontrollsystem EUROSUR (European Border Surveillance System), das drei Ziele verfolgt: die grenzüberschreitende Kriminalität einzudämmen, die Zahl der illegalen Einwanderer in die EU zu verringern und die Todesrate unter den Flüchtlingen zu senken, die in kleinen Booten versuchen, über das Mittelmeer Europa zu erreichen.

"Dafür müssen wir jetzt möglichst effiziente Systeme einführen, und ich freue mich schon darauf, die diesbezüglichen Optionen mit dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten zu erörtern", hatte Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Innenpolitik, bei der Vorstellung der Pläne im vergangenen Jahr erklärt.

EU-Komissarin Cecilia Malström (Foto: Vladimir Izotov)
EU-Komissarin Cecilia Malström stellte die Smart Border-Konzepte dem EU-Parlament vorBild: DW

Dafür sollen unter anderem die vorhandenen Datenbanken der einzelnen Mitgliedsstaaten miteinander verbunden und neue Kommunikationsnetze entwickelt werden. Die Überwachung der Außengrenzen soll zudem mit Drohnen und Satellitensystemen verbessert werden. "Die Schaffung von EUROSUR wäre ein entscheidender Schritt zur fortschreitenden Errichtung eines gemeinsamen integrierten europäischen Grenzverwaltungssystems", betont die Kommission.

Fragwürdiger Umgang mit Bootsflüchtlingen

Neben EUROSUR sind noch zwei weitere Smart Border-Systeme in der Planung: EES, ein Entry-Exit-System, das die Ein- und Ausreise von Ausländern in die Europäische Union kontrollieren soll. Und RTP (Registered Traveller Programme), das eine beschleunigte Einreise für Personen aus Drittstaaten garantieren soll, die sich vorab einer Überprüfung ihrer Daten unterziehen. Insgesamt verspricht sich die Europäische Kommission von den sogenannten Smart Border-Systemen mehr Sicherheit innerhalb der EU durch eine bessere Kontrolle der Ein- und Ausreisen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht, hatte zu den Plänen der Kommission eine Studie in Auftrag gegeben. Unter dem Titel "Borderline" wurde sie nun veröffentlicht. Einer der Autoren ist Ben Hayes von der britischen Bürgerrechtsorganisation "Statewatch". Er weist in seiner Analyse auf mehrere Schwachpunkte des Smart-Border-Konzepts hin.

Ein Boot mit Flüchtlingen (Foto: dpa)
Über 1500 Flüchtlinge starben 2011 beim Versuch, Europa per Boot zu erreichen.Bild: picture-alliance/dpa

Die Aussage der EU-Kommission, mit EUROSUR wolle man auch das Leben von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer retten, wertet Hayes als Verschleierung der wahren Absichten: "In den Plänen wird nirgendwo ausgeführt, wie denn die Flüchtlinge gerettet werden sollen oder was dann mit ihnen geschehen soll. Stattdessen werden sogenannte 'push-back-operations' entwickelt, die alle Flüchtlinge von den Grenzen Europas fernhalten sollen." Dieses Vorgehen verstoße sowohl gegen internationales Seerecht als auch gegen das Asylrecht der EU.

Notwendigkeit und Effizienz unklar

Die Einführung von Smart Borders Systemen mit biometrischen Kontrollen soll laut EU-Kommission vor allem sogenannte "Overstayers" aufspüren; Menschen, die legal in die EU einreisen, etwa mit einem Visum, dann aber auch nach Ablauf des Visums weiter bleiben - illegal. Die Autoren der Studie bezweifeln, ob der Nutzen den immensen Aufwand rechtfertigt. Immerhin passieren jährlich rund 100 Millionen Menschen aus Drittstaaten die EU-Grenzen. Wollte man jeden einzelnen davon erfassen, entstünde eine Datenbank ungeahnten Ausmaßes – ein Alptraum für jeden Datenschützer.

Technisch seien die Pläne von EUROSUR extrem komplex und ambitioniert: "EUROSUR will in der Lage sein, jedes noch so kleine Boot im Mittelmeer oder im Nordatlantik aufzuspüren, das sich in Richtung Europa bewegt", sagt Hayes. Dazu sollen neue High-Tech-Kontrollsysteme wie Drohnen oder Satellitensuchsysteme etabliert werden - ohne dass von unabhängigen Experten eine technische oder finanzielle Machbarkeitsstudie eingeholt worden sei. "Die Einzigen, die gefragt wurden, ob das technisch funktionieren kann, sind die Firmen, die solche Sicherheitstechnologie verkaufen", bemängelt der Autor.

Ben Hayes (Foto: Heinrich Böll Stiftung)
Ben Hayes, einer der Autoren der "Borderline"-StudieBild: Nicola Egelhof, Heinrich-Böll-Stiftung

Offene Fragen beim Datenschutz

Die Entscheidung, bei Fragen der Migration hauptsächlich auf technische Lösungen zu setzen, habe auch mit der professionellen und konstanten Lobby-Arbeit der Sicherheitsindustrie zu tun, sagt Ben Hayes: "Man muss kein mathematisches Genie sein, um sich auszurechnen, dass Sicherheits- und Sicherheitstechnologiefirmen eine Menge Geld verdienen werden, wenn an jedem Grenzübergang und Flughafen in jedem der 24 Mitgliedstaaten der Europäischen Union Smart-Border-Grenzkontrollsysteme etabliert werden." Das Projekt soll aus dem "Außengrenzenfonds" bezahlt werden, der für den Zeitraum 2007 bis 2013 eingerichtet wurde - und 1,82 Milliarden Euro umfasst.

2008 hat die Europäische Kommission das Projekt der Smart Borders auf den Weg gebracht - aber erst 2012 wird das EU-Parlament darüber abstimmen. Das Parlament werde so vor vollendete Tatsachen gestellt, kritisieren die Autoren der Studie. Das befürchtet auch die Grünen-Europaparlamentarierin Ska Keller, die die Studie angeregt hatte. Formal könne das Parlament die Projekte zwar immer noch ablehnen, realistisch sei dies aber nicht, nachdem nun schon soviel Zeit und Geld investiert worden sei. Vielleicht könne man in Punkto Datenschutz noch einiges nachbessern, hofft Keller: "Wenn man solch große Datenbanken aufbaut wie geplant, dann weckt man sehr schnell Begehrlichkeiten."

Grünen-Politikerin Ska Keller (Foto: dpa)
Die Grüne-Europaparlamentarierin Ska Keller hat die Studie angregtBild: picture-alliance/dpa

In der gesamten Diskussion um die EU-Grenzsicherung vermisst Keller politische Sachlichkeit: "Es wird gar nicht mehr reflektiert, was ist das Problem und was wäre eine angemessene Lösung. Man bietet eine High-Tech-Lösung an für ein Problem, das in dem Ausmaß gar nicht existiert."