Kulturpreis für Großinvestor Peter Thiel
7. Oktober 2021Frank Schirrmacher war Publizist und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Bis zu seinem frühen Tod im Juni 2014 zählte er zu Deutschlands führenden Intellektuellen. Die in seinem Namen gegründete Frank-Schirrmacher-Stiftung mit Sitz in der Schweiz vergibt seither einen Preis an Intellektuelle, Künstler und andere Menschen für "herausragende Leistungen zum Verständnis des Zeitgeschehens". In diesem Jahr soll ihn der deutsch-amerikanische Star-Investor Peter Thiel erhalten. Am 7. Oktober 2021 wird der Preis in Berlin vergeben.
Wer also ist Peter Thiel? Was stellt ihn in die Reihe der Schirrmacher-Preisträger seit 2014 - nach dem französischen Literaten Michel Houellebecq ("Elementarteilchen"/1998, "Unterwerfung"/2015), dem US-Schriftsteller Jonathan Franzen ("Die Korrekturen"/2001), dem deutschen Autor Daniel Kehlmann ("Die Vermessung der Welt"/2005) und dem chinesischen Konzeptkünstler Ai Weiwei? Vor allem aber: Was verbindet Peter Thiel mit Frank Schirrmacher?
Frank Schirrmachers Erbe
Schirrmacher, Jahrgang 1959, als Nachrücker für Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki langjähriger Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und später auch ihr Herausgeber, hat das FAZ-Feuilleton thematisch weit geöffnet, hin zu Naturwissenschaften, Technikphilosophie und medizinischer Forschung. Vor allem aber machte er das FAZ-Feuilleton zum Debattenforum für ethische und politische Fragen. Es war Schirrmachers entgrenzte Neugier, seine Freude am Diskurs, seine Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Visionen, womit er das Blatt prägte.
Daneben schrieb Schirrmacher eine Reihe von Büchern zu virulenten Zeitfragen. 2004 erschien "Das Methusalem-Komplott" über die möglichen Folgen der demographischen Entwicklung im Westen. In "Minimum" beschäftigte er sich 2006 mit der Auflösung klassischer Familienmuster. "Payback" (2009) markierte durch moderne Informationsmedien ausgelöste Gefahren. Zuletzt erschien 2013 Schirrmachers Buch "Ego" zu Wesen und Auswüchsen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise.
Genau hier könnte die Verbindung zu Peter Thiel liegen: Der gebürtige Frankfurter ist Finanzinvestor. Als Partner eines Risikokapitalunternehmens in San Francisco und Präsident eines Hedgefonds in New York zählt er zu den Stars der Tech-Szene im Silicon Valley. Mit Max Levchin und Elon Musk (Tesla) gründete Thiel den Online-Bezahldienst Paypal. Er hob Palantir Technologies aus der Taufe, einen der wichtigsten Technologiezulieferer der US-Geheimdienste. Außerdem war Thiel der erste externe Kapitalgeber von Mark Zuckerbergs Facebook. Die US-Zeitschrift Forbes schätzte Thiels privates Vermögen 2016 auf 2,7 Milliarden US-Dollar.
Thiels Traum von Unsterblichkeit
Thiel wurde in Frankfurt am Main geboren. Als er ein Jahr alt war, wanderten seine Eltern in die Vereinigten Staaten aus. Er spricht Deutsch und ist regelmäßig auch in Deutschland unterwegs - nicht zuletzt, um die Berliner Startup-Szene im Auge zu behalten. Thiel studierte Philosophie und Jura an der Stanford University in Kalifornien. Der Entrepreneur unterstützt mehrere Gesundheitsprojekte, vergibt Stipendien für Studierende und entwickelt Visionen für die Zukunft. Eine davon: die Überwindung des Todes. "Die meisten Krankheiten, die wir haben, sind auf die eine oder andere Art mit dem Alter verknüpft", so Thiel 2019 in einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung, "und umgekehrt lässt sich das Altern selbst als eine Art Krankheit betrachten. Krankheiten lassen sich heilen. Ist das Altern wirklich irreversibel, oder denken wir das bloß? Warum also, einfach gesagt, sollten wir nicht auch vom Tod geheilt werden können?"
Nach wie vor gehört Thiel zu den besten Schachspielern der USA, auch wenn er seit Jahren keine Turniere mehr spielt. Mit Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow verbindet ihn eine langjährige Freundschaft. In ihrem gemeinsamen Buch "The Blueprint" von 2012 diagnostizierten sie die "Stagnation des technologischen Fortschritts" und forderten höhere Forschungsausgaben, um den globalen Wohlstand zu sichern. Sieht er Parallelen zwischen Schach und seiner Tätigkeit als Investor? "Das ist nur ein Hobby", verriet er der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung 2016 in einem Interview "und hat wenig miteinander zu tun."
Gleichwohl stilisiert ihn die linke deutsche Tageszeitung "taz" zum "Antichristen der Linksliberalen". Ein bekanntes Foto zeigt Thiel neben Ex-US-Präsident Donald Trump. Beide halten die Hände verschränkt, eine fast intime Geste. Schon 2008 hatte er den Konservativen Ron Paul bei seiner Präsidentschaftskandidatur unterstützt, 2012 war er Pauls größter Einzelspender und gab auch Geld für die konservative Tea-Party-Bewegung. In einem Aufsatz von 2009 hatte Thiel Freiheit und Demokratie als miteinander "unvereinbar" bezeichnet. Beim Nominierungsparteitag der Republikaner 2016, an dem Thiel als Delegierter für Trump teilnahm, bekannte er sich zu dem Immobilienmogul: "Ich bin kein Politiker, ich unterstütze Menschen, die Neues schaffen, von sozialen Netzwerken bis hin zu Raketenschiffen", so Thiel in seiner Parteitagsrede, "ich bin kein Politiker. Aber Donald Trump ist es auch nicht. Er ist ein Baumeister, und es ist an der Zeit, Amerika wiederaufzubauen."
Empörung bei Twitter
Peter Thiel zählt zwar zu den Pionieren des Digitalzeitalters. Mit dem Silicon Valley aber, dem langjährigen Hotspot der Tech-Industrie, ist er bereits wieder fertig: Dessen Köpfe sieht der Großinvestor "gleichgeschaltet": "Wenn der eine tut, was der andere tut, und der eine kaufen will, was der andere gerade gekauft hat, wenn also diese Art der Goldgräberstimmung herrscht, dann wissen Sie, dass die beste Zeit eines Orts vorbei ist", so Thiel im Interview der Neuen Züricher Zeitung. Er lebt heute in Los Angeles.
Nun soll Peter Thiel mit dem Frank-Schirrmacher-Preis ausgezeichnet werden. "Mit der Preisvergabe an Thiel wird sein umfassendes Wirken in der Analyse der Chancen und Risiken des technologischen Fortschritts gewürdigt", teilte die Frank-Schirrmacher-Stiftung zur Begründung mit. Und weiter: "Ohne Rücksicht auf bestehende Denkverbote setzt er seine intellektuellen Impulse und bereichert so die aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen in den unterschiedlichsten Bereichen."In den Sozialen Netzwerken löste die Nachricht Empörung und Spott aus: "Peter Thiel als Schirrmacherpreisträger, Kurz als Laudator? Schirrmacher rotiert im Grabe", schreibt etwa Nils Minkmar. "Diese libertär-konservative Vereinnahmung hat Schirrmacher nicht verdient", notiert der Twitter-User Dirk Liedtke. Und Johannes Franzen: "Peter Thiel ist eine destruktive Figur der Gegenwart." Was wohl Frank Schirrmacher dazu gesagt hätte? Die Frage bleibt unbeantwortet.