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"Vermutlich weitere Atomtests in Nordkorea"

Esther Felden10. Februar 2016

Atomtest, Raketentest, hochgefahrener Plutoniumreaktor. Fast wöchentlich macht Nordkorea derzeit Schlagzeilen. Ostasien-Experte Rüdiger Frank erklärt, wie die jüngsten Entwicklungen einzuschätzen sind.

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Nuklearanlage von Yongbyun in Nordkorea (Foto: EPA)
Bild: Reuters/Kyodo

Deutsche Welle: Gleich drei große Provokationen gab es aus Nordkorea seit Beginn des Jahres: Erst der vierte Atombombentest, am vergangenen Wochenende ein erneuter Langstreckenraketentest, und gestern dann die Meldung, dass Nordkorea offenbar einen Plutoniumreaktor wieder hochgefahren hat. Wie ist diese jüngste Eskalationsserie zu bewerten?

Rüdiger Frank: Die Häufung ist in der Tat interessant, zumal es seit der großen Eskalation des Jahres 2013 bislang erstaunlich ruhig war. Die These, dass Nordkorea sozusagen alles "in einem Aufwasch" erledigen wollte und hofft, dass es so nur zu einer einzigen Gegenreaktion (anstelle von drei) kommt, halte ich für ziemlich gewagt. Ich plädiere stattdessen für eine innenpolitische Erklärung, die naheliegender und überzeugender ist.

Im Mai findet erstmals seit immerhin 36 Jahren wieder ein Parteitag statt. Das ist ein Ereignis, dessen Bedeutung man nicht überbetonen kann. Kim Jong Un hat vor einigen Tagen schon harsche Kritik an Parteikadern geübt, die Privilegien suchen, ihre Macht missbrauchen und bürokratisch handeln. Da braut sich also etwas zusammen. Der Führer will durch solche symbolhaften Maßnahmen wie Atom- und Raketentest nach innen Stärke demonstrieren und vielleicht auch außenpolitischen Druck provozieren, der dann dazu genutzt wird, um die Getreuen angesichts der externen Bedrohung noch enger um sich zu scharen.

Rüdiger Frank (Foto: privat)
Rüdiger Frank ist Professor für Ostasien-Wissenschaften an der Uni WienBild: Privat

Reformen - mehr Öffnung, mehr Markt - sind nur bei maximaler innenpolitischer Stärke denkbar. Sie könnten beim Parteitag beschlossen werden. Dafür braucht der Führer das Image eines erfolgreichen und entschlossen handelnden Mannes. Was ich im letzten Jahr in Nordkorea gesehen habe, spricht dafür, dass der Reformdruck steigt.

Südkoreas Geheimdienst hat kurz nach dem Langstreckenraketentest am Wochenende gemeldet, dass Nordkorea möglicherweise einen weiteren Atomtest plant. Inwieweit rechnen Sie in den kommenden Wochen oder Monaten mit weiteren Provokationen?

Ich mag den Begriff Provokation nicht, weil er impliziert, dass das der Sinn und Zweck der Tests ist. Vielmehr hat Nordkoreas Führung entschieden, Atomwaffen zur Abschreckung zu bauen, und verfolgt diesen Weg nun konsequent. Das bedeutet noch mehr Tests. Die USA und die ehemalige Sowjetunion hatten ihrerseits jeweils viele Hunderte von Tests gebraucht, um das gewünschte Level zu erreichen. Nordkorea steht erst am Anfang.

Es wird einen fünften und auch einen sechsten Atomtest geben, und zwar dann, wenn das von Nordkorea technisch als sinnvoll erachtet wird. Gleiches gilt für Raketentests und auch für Kernkraftwerke, wobei man fairerweise einräumen muss, dass diese auch ein hohes ziviles Nutzungspotential haben.

Nordkorea erhofft sich ja durch die Entwicklung von Atomwaffen eine bessere Verhandlungsposition mit der internationalen Gemeinschaft und direkte Gespräche mit den USA, so wie es jetzt im Fall Iran funktioniert hat. Wie realistisch ist dieses Ziel?

Nordkorea will in der Tat mit der Welt zusammenarbeiten, aber auf Augenhöhe und nicht ausschließlich zu den Bedingungen des Westens. Pjöngjang traut dem Westen nicht, gerade auch mit Blick auf die Erfahrungen von Ländern wie Irak und Libyen. Das Atomprogramm ist auch hier eine Absicherung.

Es wird für westliche Politiker angesichts des negativen Nordkorea-Bildes bei den eigenen Wählern zunehmend schwer werden, überhaupt noch mit Pjöngjang zu reden, da wir Gespräche bereits als großes Zugeständnis ansehen. Das ist allerdings eine sehr fragwürdige Position. Die bedauerliche und für mich persönlich sehr frustrierende Ausladung des nordkoreanischen Außenministers vom Weltwirtschaftsforum in Davos ist nur ein Beispiel. Hier zeichnet sich ein Dilemma ab. Wir müssten reden, aber wir können nicht, da uns unsere eigenen ideologischen Positionen, Voraussetzungsketten und "Roten Linien" im Wege stehen.

Nur Nordkorea kann das ändern und wird dazu an einem Punkt ein wirklich gutes Angebot an den Westen machen müssen. Das wird nicht die komplette Aufgabe des Atomprogramms sein, aber doch entschiedene Schritte zur Nichtverbreitung, zum Teststopp, zum Einfrieren des Programms und zu Inspektionen. Ich habe Signale empfangen, dass das für Pjöngjang unter gewissen Umständen akzeptabel sein könnte.

Fernseh-Bild vom Start der Langstreckenrakete (Foto: Reuters/Yonhap)
Am 7. Februar testete Nordkorea zum wiederholten Mal eine LangstreckenraketeBild: Reuters/Yonhap

Die Empörung der Weltgemeinschaft war auch dieses Mal groß - allerdings nur verbal. Es gab noch amselben Tag eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Aber von einem konkreten gemeinsamen Vorgehen gegen Pjöngjang ist man weit entfernt. Inwieweit lähmen die jeweiligen Einzelinteressen der USA, Südkoreas, Japans und Chinas eine effektive Politik gegenüber Nordkorea?

Nordkorea findet sich zunehmend in einer Situation wieder, wie man sie schon in den 1950ern erlebt hatte. Die Rivalität zwischen Großmächten - damals China und die Sowjetunion - bietet tolle Möglichkeiten des Manövrierens. So etwas deutet sich auch jetzt an, zumal die Situation durch die Beteiligung von Südkorea, Japan und Russland mit all ihren territorialen und historischen Konflikten sogar noch komplexer und damit für Nordkorea noch vorteilhafter ist.

China ist verärgert, dass die USA Nordkorea zum Vorwand nehmen, um einen Raketenabwehrschirm fast an der chinesischen Grenze aufzubauen. Auch die alljährlichen südkoreanisch-amerikanischen Militärmanöver finden ja nicht nur an der Grenze Nordkoreas, sondern de facto auch an der Grenze zu China statt.

Welches Signal geht von der Linie des Auslands an Nordkorea aus? Wir können machen, was wir wollen, und uns passiert trotzdem nichts?

Nun, von "nichts" kann man nicht wirklich sprechen, denn das Land leidet ja durchaus unter den Sanktionen. Aber es stimmt schon, es bleiben kaum neue Sanktionen übrig. Fatal ist, dass das Versagen unserer nicht militärischen Druckmittel weit über Nordkorea hinaus eine Signalwirkung hat. Pjöngjang führt der internationalen Gemeinschaft die Zahnlosigkeit internationaler Abkommen und Forderungen vor, die, sofern es keine starken Interdependenzen gibt, kaum durchsetzbar sind. Diese Einsicht ist nicht neu, nur ist das Problem im Falle Nordkoreas besonders extrem und deutlich sichtbar.

Nordkoreas Diktator Kim Jong Un (Foto: Reuters)
Nordkoreas Diktator Kim Jong UnBild: Reuters/KCNA

Und umgekehrt: Wann ist das Maß voll? An welchem Punkt würden vielleicht die Länder ihre jeweiligen Interessen hinter das große Ganze zurückstellen?

Das Problem ist, dass Nordkorea eben nicht das große Ganze ist. Es geht nicht um Nordkorea. Es geht ums Prinzip, um Ideologien, und um die Vorherrschaft in Ostasien beziehungsweise in der Welt. Das Maß ist schon lange voll, nur sind die nicht militärischen Optionen des Westens im Prinzip ausgereizt. Nur China bleiben noch einige Möglichkeiten. Aber Peking wird es tunlichst vermeiden, eine Atommacht an der eigenen Grenze gezielt zu destabilisieren oder eine Ausdehnung des amerikanischen Einflussbereiches auf dem Wege einer koreanischen Wiedervereinigung zu riskieren.

Solange Nordkorea nicht zuerst angreift - was ich für äußerst unwahrscheinlich halte - ist ein Militärschlag der USA gegen Nordkorea wegen der Nachbarschaft zu China quasi ausgeschlossen, jedenfalls unter dem gegenwärtigen Präsidenten.

Rüdiger Frank ist Professor für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien. Außerdem arbeitet er als außerplanmäßiger Professor an der südkoreanischen Korea University sowie an der University of North Korean Studies (Kyungnam University) in Seoul. 2014 erschien sein Buch: "Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates."

Das Interview führte Esther Felden.