1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikFrankreich

Frankreich: Brexit-Unterhändler Michel Barnier wird Premier

5. September 2024

Aus dem Ruhestand ins Rampenlicht: Michel Barnier soll Frankreich ohne stabile Mehrheit regieren. Bernd Riegert berichtet.

https://p.dw.com/p/4kJWk
Porträt von Michel Barnier
Überzeugter Europäer, konservativ, erfahren, gut vernetzt in Frankreich: Michel Barnier soll linkes und rechtes Lager umgarnenBild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

International bekannt wurde Michel Barnier (73) als Chef-Unterhändler der Europäischen Union (EU) im jahrelangen zähen Ringen mit Großbritannien um dessen Ausscheiden aus der Union. Seit 2016 war der konservative Politiker für den Brexit zuständig. Er versuchte in endlos scheinenden Verhandlungen mit Premierministerin Theresa May und Premierminister Boris Johnson bis 2021, den Schaden für die Europäer so gut es ging zu begrenzen. Der hoch gewachsene, stets elegant gekleidete Michel Barnier blieb unbeugsam und unerschütterlich. Vielleicht hat dieser Charakterzug den französischen Präsidenten Emmanuel Macron bewogen, Barnier aus der politischen Rente zu holen und zum Premierminister zu ernennen. Nach einem erfolglosen Versuch 2022 für die nationalkonservativen "Republikaner" als Präsidentschaftskandidat gegen Macron anzutreten, war es um Michel Barnier still geworden. Barnier scheiterte schon in der parteiinternen Vorwahl.

Boris Johnson steht im angeregten Gespräch mit Ursula von der Leyen und Michel Barnier zusammen
Barniers (Mi.) Meisterstück: Der Brexit-Vertrag, ausgehandelt unter Schmerzen mit Premier Johnson (li.)Bild: Avalon/Photoshot/picture alliance

Wechselnde Mehrheiten

Somit hat der liberale Präsident Macron zwei Monate nach den vorgezogenen Parlamentswahlen einen seiner alten Rivalen zum Premier gemacht. Zuvor hatte Macron bei den drei Lagern im Parlament sondiert, ob Michel Barnier das jetzt fällige Misstrauensvotum überstehen kann. Der rechtsnationale Rassemblement National (RN), signalisierte wie auch große Teile des linken Bündnisses aus Sozialdemokraten, Kommunisten und extremen Linken, dass sie Barnier nicht sofort stürzen würden. Eine formale Koalition gehen aber weder die Linken noch die Rechten mit der Präsidentenpartei Ensemble in der Mitte ein.

Der Chef der größten radikalen Linkspartei Ungebeugsames Frankreich (La France insoumise, LFI), Jean-Luc Melenchon, kritisierte aber umgehend, dass Barnier auch mit Hilfe der extremen Rechten ins Amt gehoben werde. Das sei eine "Missachtung der Demokratie" wetterte Melenchon auf X und rief für kommenden Samstag zu einem Protestmarsch auf. Die Regierungsbildung dauert diesmal für französische Maßstäbe wegen der schwierigen Mehrheitsverhältnisse ungewöhnlich lange. Einen Vorschlag des Linksbündnisses für das Amt des Regierungschefs hatte Macron vehement abgelehnt.

Jean-Luc Melenchon und Emmanuel Macron sitzen im Elysée-Palast und sprechen miteinander
Linker "Unbeugsamer": Jean-Luc Melenchon (li.) kritisiert Macrons Kandidatenkür scharfBild: Reuters/L. Marin

Michel Barnier gilt in der Nationalversammlung, dem Parlament, wohl eher als Technokrat, der eine Übergangsregierung führen wird. Barnier müsste mindestens ein Jahr im Amt bleiben, denn erst danach wären Neuwahlen möglich. Die erste dringende Aufgabe für Michel Barnier wird die Verabschiedung eines Haushalts für das hochverschuldete Frankreich für das kommende Jahr sein. Die Frist dafür ist der 1. Oktober.

Macrons Wahlmanöver endet im Patt

Nach der verlorenen Europawahl Anfang Juni hatte der zu einsamen Entscheidungen neigende französische Präsident die Nationalversammlung überraschend aufgelöst. Er wollte von den französischen Wählerinnen und Wählern ein Urteil über seine Regierungspolitik haben. Die Wahl Anfang Juli endete dann mit einem in drei mehr oder wenige gleich große Lager gespaltenem Parlament. Linke, Rechte und Liberale lehnten formale Koalitionen ab.

Überraschend schnitt das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP) als stärkster Block ab, verfehlte aber die Mehrheit klar. Der rechte Rassemblement National mit der Fraktionsvorsitzenden Marine Le Pen, der die Europawahl gewonnen hatte, kam entgegen der Meinungsumfragen nur auf den dritten Platz. Eigentlich hatte sich Le Pen ausgerechnet, zum ersten Mal in der modernen französischen Geschichte einen rechtsextremen Premier installieren zu können, ihren Parteichef Jordan Bardella. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Warum Präsident Macron überhaupt Neuwahlen ansetzte, ist nicht ganz klar. Denn er verfügte im Parlament über eine regierungsfähige Mehrheit.

Marine Le Pen und Präsident Emmanuelle Macron stehen im Gespräch nebeneinander
Marine Le Pen (li.) will 2027 Präsidentin werden. Macron kann nicht mehr antreten.Bild: LUDOVIC MARIN/AFP/Getty Images

Nächstes Ziel: Präsidentschaftswahl 2027

Michel Barnier ist ein erfahrener Politiker und war zweimal französischer EU-Kommissar. Während der Finanzkrise 2010 bis 2025 war er in einem Brüsseler Schlüsselressort für den Binnenmarkt zuständig. Er diente mehrfach als Minister. Unter dem konservativen Präsidenten Jacques Chirac war er von 2004 bis 2005 Außenminister. Ob sich Barnier bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Amt halten wird, ist noch nicht abzusehen. 2027 will Marine Le Pen vom rechtsnationalen Rassemblement National zum dritten Mal versuchen, Präsidentin zu werden. Präsident Macron kann dann nicht mehr antreten. Wer für das liberale-bürgerliche Lager aufgeboten werden wird, ist noch nicht ausgemacht. Für die Linken könnte Jean-Luc Melenchon noch einmal sein Glück versuchen. Auch er scheitere bereits zweimal als Präsidentschaftskandidat.

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union