Frankreich: Linke Volksfront will Rechtsruck stoppen
6. Juli 2024"Klar und direkt: Keine Stimme für den RN, keinen Sitz für den RN", ist die simple Botschaft der Linken in Frankreich zur Eindämmung des rechtsnationalen Rassemblement National. Der linksextreme Chef der Partei "Aufsässiges Frankreich", Jean-Luc Melenchon, wiederholte diesen kleinsten gemeinsamen Nenner des "Nouveau Front populaire", der "Neuen Volksfront", im kurzen Wahlkampf vor der zweiten Runde der Parlamentswahl immer wieder. Linksextreme, Sozialisten, Sozialdemokraten und Grüne hatten sich nach der überraschenden Auflösung der Nationalversammlung vor vier Wochen in Windeseile zu dem Bündnis zusammengeschlossen. Sie einigten sich darauf, nur einen Kandidaten pro Wahlkreis aufzustellen und konnten so 28 Prozent der Stimmen erreichen - und damit Platz zwei, nur knapp hinter den Rechtsnationalen von Marine Le Pen mit 29,3 Prozent.
"Ein linkes Wunder"
Die linke Volksfront war eigentlich ein kaum vorstellbares Bündnis, so der Soziologie-Professor Eric Fassin von der Universität Paris, weil die linken Parteien untereinander sehr zerstritten waren. Die Vorsitzenden der drei größten Gruppen hätten es aber geschafft, sich zu einigen und die Wahlkampfauftritte unter sich aufzuteilen, ohne sich Konkurrenz zu machen. "Die Parteien haben die Politik ganz neu organisiert und dadurch das Wunder der linken Einigung vollbracht. Damit hat niemand gerechnet. Das ist direkt der völlig neuen Situation geschuldet", sagte Eric Fassin der DW. Die empfundene Bedrohung durch die Rechtsnationalen in einer Parlamentswahl, die nach den Europawahlen völlig überraschend von Präsident Emmanuel Macron angesetzt wurde, habe gewirkt.
Taktischer Rückzug
Für die zweite entscheidende Runde der Wahl am Sonntag hat sich das linke Ad-hoc-Bündnis aus vielen der Wahlkreise zurückgezogen, damit stärkere Kandidaten bürgerlicher Parteien den Kandidaten der rechtsnationalen RN schlagen können. Das Mehrheitswahlrecht in Frankreich macht diese Taktik nötig. Schon bei vorangegangenen Wahlen wurde so ein kräftiger Zugewinn an Mandaten für die RN verhindert. Diesmal jedoch ist die Lage anders. Die RN ist nach allen Umfragen stärker als jemals zuvor und wird wohl die größte Fraktion im französischen Parlament stellen. Die linke Volksfront wird die zweitgrößte Gruppe sein. Weit abgeschlagen wird die liberal-zentristische Partei "Ensemble" von Präsident Macron enden.
Rivalen im linken Lager
Der 71 Jahre alte Jean-Luc Melenchon, der oft mit anti-israelischen Thesen und Verschwörungstheorien provoziert, will nach der Wahl Premierminister werden. Er ist aber wegen seiner radikalen und oft aggressiven Rhetorik im linken Volksfront-Lager nicht unumstritten. Im Europawahlkampf hatte sich Melenchon oft mit dem sozialistischen Europaabgeordneten Raphael Glucksmann (44) gestritten. Er wurde als "Komplize" des Staates Israel beschimpft. Glucksmann warf Melenchon vor, die Politik zu "brutalisieren". Auch Raphael Glucksmann gehört mit seiner Partei "Öffentlicher Platz" der eilig gebildeten Volksfront gegen die Rechtsnationalen an. Glucksmann sagte, es gehe nicht mehr um das Parlament, sondern um eine Volksabstimmung über die Frage, ob Frankreich das erste Mal in seiner Geschichte von Rechtsnationalen regiert werden soll.
Kein Premier Melenchon
Theoretisch könnte es möglich sein, mit einer Koalition aus linker Volksfront und Zentristen eine Regierung der rechtsnationalen RN zu verhindern. Praktisch aber wohl kaum, denn Präsident Emmanuel Macron hält die Linken für "viermal schlimmer" als die Rechten. "Sie wollen keinen Säkularismus. Sie lehnen die Einwanderungsgesetze ab, die uns ein besseres Management erlauben. Und sie wollen groteske Dinge wie den Wechsel der geschlechtlichen Identität durch einen Gang zum Rathaus", sagte Macron in einem Interview mit der Zeitung "Le Parisien". Ein Bündnis seiner Partei mit der Volksfront komme überhaupt nicht in Frage, bekräftigte der Präsident am Mittwoch noch einmal nach einer Kabinettssitzung.
Soziale Wohltaten
Die linke Volksfront erinnert mit ihrem Namen an einen ähnlichen Zusammenschluss von Sozialisten und Kommunisten in Frankreich, die 1936 erstmals eine Regierung bildeten. Eine Reaktion auf den Vormarsch von Nationalisten und Faschisten in Europa. Das heutige Bündnis aus linksextremen, sozialdemokratischen und grünen Parteien fordert die Einführung eines Mindestlohns von 1600 Euro und die Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre und andere Sozialleistungen, die hohe Kosten verursachen würden. Die Linke fordert die sofortige Anerkennung Palästinas als Staat und will die Ukraine weiter mit Waffen im Kampf gegen Russland beliefern. Öffentlich-rechtliche Medien sollen weiterarbeiten. Die RN fordert die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
"Parlament in Frankreich gewinnt an Gewicht"
Die Wahlen könnten auch die politischen Gewichte in der französischen Republik neu ordnen, meint der Soziologie-Professor Eric Fassin von der Universität Paris. Bislang sei der Präsident, der starke Mann an der Spitze der fünften Republik, relativ mächtig gegenüber dem Parlament gewesen. "Mit seiner politischen Wette hat Macron eine Situation geschaffen, die seine eigene Position untergräbt. Die mündet in ein Präsidentenamt, das nicht mehr so wichtig ist." Wenn jetzt das Parlament bei der Regierungsbildung wichtiger werde, so Eric Fassin, brauche man keinen starken Mann mehr.