Protest in Paris - nun doch erlaubt
22. Juni 2016Terrorgefahr und Hooligan-Krawalle während der Fußball-Europameisterschaft: Die Staatsmacht sei bereits bis an die Grenzen gefordert, hatte es zur Begründung des Demonstrationsverbots von Regierungsseite geheißen. Und schließlich habe es auch bei den jüngsten Protesten der Gewerkschaften und Studenten gegen die Arbeitsmarktreformen schlimme Ausschreitungen gegeben. Insbesondere aus Sorge vor neuer Gewalt müsse der für Donnerstag angemeldete Demonstrationszug durch Paris verboten werden, argumentierte das französische Innenministerium. Um dann letztendlich doch einzuknicken.
Ein Sturm der Entrüstung hatte sich Bahn gebrochen - seit 1962 war in Frankreich keine Gewerkschaftsdemonstration mehr verboten worden. Parteilinke wie der sozialistische Abweichler Christian Paul sprachen von einem "historischen Fehler" der Regierung.
Die Gewerkschaften wollten eigentlich vom Pariser Bastille-Platz zum Platz der Nation marschieren. Die Behörden lehnten dies aus Sorge vor Krawallen aber ab und schlugen eine "statische Versammlung" an einem fixen Ort vor, der sich besser kontrollieren lässt. Dies wiederum lehnten die Gewerkschaften "kategorisch" ab. Die Vorsitzenden von CGT und Force Ouvrière, Philippe Martinez und Jean-Claude Mailly, verlangten ultimativ ein Treffen mit Innenminister Bernard Cazeneuve - und setzen sich zumindest teilweise durch.
Die Demonstration gegen die Reformen von Präsident Francois Hollande und Premierminister Manuel Valls darf stattfinden, aber nur in sehr reduziertem Umfang. Der Aufmarsch führt nur noch vom Bastille-Platz zur Seine und dann wieder zurück. Diese Strecke ist nur rund 1,6 Kilometer lang.
Zufrieden sprach Cazeneuve von einer "extrem kurzen Route", die sich gut sichern lasse. Zugleich ermahnte der Minister die Gewerkschaften zu "Verantwortungsbewusstsein". "Keinerlei Ausschreitung, keinerlei Gewalt wird toleriert." Martinez und Mailly versuchten den Kompromiss als "Sieg für die Gewerkschaften und die Demokratie" zu verkaufen. Nun wollen sie mit Hollande persönlich über die Reform sprechen.
Die bürgerliche und republikanische Opposition nutzte die Kehrtwende der sozialistischen Regierung zu einer politischen Breitseite gegen Hollande, dem sie sowieso immer wieder Wankelmütigkeit vorwerfen. Der konservative Ex-Regierungschef und Präsidentschaftsbewerber Alain Juppé kritisierte eine "Unfähigkeit zu entscheiden, eine Situation in den Griff zu bekommen". Die Regierung handle "panisch".
Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon twitterte spöttisch: "Die offiziell verbotene Demo darf sich jetzt offiziell statisch im Kreis drehen." Ein Regierungsberater verteidigte das zunächst angekündigte Verbot: Die harte Haltung der Regierung habe die Gewerkschaften "zur Vernunft" und dazu gebracht, eine sehr kurze Demonstrationsstrecke zu akzeptieren.
Gegen Hollandes Arbeitsmarktreform gibt es schon seit Monaten erbitterte Proteste, die Gewerkschaften machen mit Demonstrationen, Streiks und Blockaden gegen das Vorhaben mobil. Der Präsident will im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit unter anderem die 35-Stunden-Woche und den Kündigungsschutz lockern. In Frankreich sind derzeit rund 3,5 Millionen Menschen arbeitslos, die Arbeitslosenquote liegt bei rund zehn Prozent.
SC/sti (afp, APE, rtr)