Frankreich verankert Recht auf Abtreibung in der Verfassung
5. März 2024Als erstes Land der Welt hat Frankreich die "Freiheit zur Abtreibung" in die Verfassung aufgenommen. Die Abgeordneten beider Kammern des Parlaments stimmten am Montagabend im Schloss von Versailles mit 780 zu 72 Stimmen für die entsprechende Verfassungsänderung. Die Bekanntgabe des Ergebnisses wurde mit anhaltendem Beifall begrüßt.
Auf dem Trocadéro-Platz gegenüber dem Eiffelturm, wo zahlreiche Menschen die Debatte und Abstimmung auf einem Großbildschirm verfolgt hatten, brach Jubel aus. Der Eiffelturm glitzerte zur Feier des Tages, leuchtende Botschaften auf dem Monument verkündeten beispielsweise #MyBodyMyChoice (Mein Körper, meine Entscheidung). "Frankreichs Stolz. Universelle Botschaft", schrieb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Onlinedienst X. Das Dokument wurde in Versailles mit Hilfe einer historischen Siegelpresse mit einem Staatssiegel versehen. Es soll am Internationalen Frauentag am 8. März in Anwesenheit des Präsidenten erneut feierlich besiegelt werden.
Abbruch bis zur 14. Woche erlaubt
"Wir haben eine moralische Pflicht gegenüber den Frauen", sagte Premierminister Gabriel Attal mit Blick auf die Frauen, die bei heimlichen Abtreibungen gelitten hätten oder gestorben seien. Die Entscheidung solle "ein Beispiel geben", sagte die Vorsitzende der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet. Sie verwies auf die Staaten, in denen das Recht auf Abtreibung zuletzt eingeschränkt wurde, etwa in den USA oder in Osteuropa. Frankreichs Staatschef Macron hatte mit dem 2022 gemachten Vorschlag für die Verfassungsänderung auch auf Einschnitte in das Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten reagiert.
Die Verfassungsänderung hat indes in erster Linie symbolischen Charakter. Der Schwangerschaftsabbruch auf Krankenschein ist bereits jetzt in Frankreich bis zur 14. Woche gesetzlich möglich. Mehr als 80 Prozent der Franzosen befürworteten die Verfassungsänderung. Im vergangenen Jahr wurden in dem Land gut 234.000 Abtreibungen vorgenommen.
Justizminister betont ärztliche Gewissensfreiheit
Das Gesetz bestimme die Bedingungen, unter denen von der "Freiheit" - die jeder Frau garantiert sei - "Gebrauch gemacht wird, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen", so lautet der neue Verfassungsartikel. Die Formulierung "Freiheit zu" ist rechtlich schwächer als das "Recht auf", das zunächst debattiert worden war. Justizminister Eric Dupond-Moretti sicherte den Ärztinnen und Ärzten zu, dass dies das Recht auf Gewissensfreiheit nicht in Frage stelle. "Wenn ein Arzt diesen Akt nicht ausführen will, dann hat er das Recht dazu", betonte Dupond-Moretti.
Frauenrechtlerinnen wiesen denn auch darauf hin, dass die Aufnahme in die Verfassung in der Praxis nicht viel ändern werde. "Viele gynäkologische Zentren wurden geschlossen, manche Frauen müssen weit fahren. Es ist schwieriger, als es sein sollte", kritisierte Anne-Cécile Mailfert, Vorsitzende der Fondation des Femmes.
Mehrere hundert Abtreibungsgegner demonstrierten in der Nähe des Schlosses von Versailles. Manche unter ihnen betonten, dass sie nicht gegen Abtreibung seien, sondern lediglich ihre Aufnahme in die Verfassung ablehnten. Der Vatikan bekräftigte ebenfalls seinen Widerstand gegen jedes "Recht auf Vernichtung menschlichen Lebens". "Im Zeitalter der universellen Menschenrechte kann es kein 'Recht' auf die Vernichtung menschlichen Lebens geben", betonte die Päpstliche Akademie für das Leben, die für bioethische Fragen zuständig ist.
Paus: "Ein in Europa einzigartiger Schritt"
Bundesfrauenministerin Lisa Paus nannte die Entscheidung des französischen Parlaments dagegen "einen in Europa einzigartigen Schritt". Die Grünen-Politikerin verwies in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in dem Zusammenhang auf mögliche Neuregelungen beim Thema Schwangerschaftsabbrüche auch in Deutschland. Im Koalitionsvertrag habe die Bundesregierung "die Stärkung der reproduktiven Rechte von Frauen als ein wichtiges Ziel benannt", betonte Paus. "Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen", hatten SPD, Grüne und FDP darin festgehalten und verschiedene Vorhaben aufgelistet.
Dazu gehört unter anderem die Einsetzung einer Kommission, die prüfen soll, ob Schwangerschaftsabbrüche weiterhin im Strafgesetzbuch geregelt werden sollen. Eine Abtreibung ist in Deutschland nach Paragraf 218 grundsätzlich strafbar - es sei denn, sie findet innerhalb der ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Nicht strafbar ist ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird.
Von ihren Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt hat die Regierung bereits die Streichung des Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch (Werbeverbot für Abtreibungen), der Ärztinnen und Ärzte, die ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren wollten, dem Risiko einer Strafverfolgung aussetzte. Vor kurzem von der Ampelkoalition auf den Weg gebracht wurde außerdem ein Gesetz gegen sogenannte Gehsteigbelästigungen: Frauen auf dem Weg zu Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sollen zum Beispiel durch Androhung hoher Bußgelder vor Belästigungen durch Abtreibungsgegner geschützt werden.
2022 gab es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland rund 104.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche.
sti/se (afp, dpa)