Frauenquote im Film: Ist das gerecht?
15. November 2018Frauenquote: ja oder nein? Von der Berlinale bis Cannes und Venedig - auf allen großen Filmfestivals wurde in diesem Jahr die Rolle von Frauen, #MeToo und die Machtverteilung in der Filmbranche diskutiert. Von Forderungen wie 50/50 by 2020, also dem Wunsch, dass im Jahr 2020 genauso viele Frauen wie Männer die entscheidenden Positionen innehaben, sind die meisten noch weit entfernt. Das Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, DOK Leipzig, ist schon einmal vorgeprescht und hat sich eine Frauenquote für den Filmwettbewerb auferlegt: 40 Prozent der Filme, die für das Festival eingereicht wurden, kamen in der Vergangenheit von Regisseurinnen. In der tatsächlichen Wettbewerbsauswahl landeten dann aber viel weniger. Mit der Quote sollen nun auch 40 Prozent der Wettbewerbsfilme von Regisseurinnen stammen.
Ist eine Quote also das Mittel der Wahl, um einen fairen Wettbewerb zu schaffen und Frauen sichtbarer zu machen? Und was könnte sie wirklich verändern? Barbara Rohm vom Verein Pro Quote Film und Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg, antworten im Interview:
Ob Frauen oder Männer hinter einem Film stecken oder vor der Kamera zu sehen sind - was macht das aus?
Barbara Rohm: Ich glaube, es gibt weder den weiblichen noch den männlichen Blick. Frauen untereinander sind sehr verschieden und vielfältig und bei Männern ist das natürlich ganz genauso. Aber dennoch haben wir Frauen unterschiedliche Lebenserfahrungen und Perspektiven auf unser Leben. Und die kommen momentan nicht oder viel zu selten vor. Und das hat gerade in so einer bewusstseinsprägenden Branche wie der Film- und Fernsehbranche eine große Bedeutung, wenn Filme - wie momentan - zu 85 Prozent von Männern gemacht werden. Genauso wenig wie Frauen die Lebenswirklichkeit von Männern vertreten können, können Männer das für Frauen. Deshalb müssen die Frauen ihre Geschichten erzählen. Und sie müssen die Chance bekommen, an den Ressourcen für Kunst und Kultur teilzuhaben, die eine Gesellschaft zur Verfügung stellt.
Kirsten Niehuus: Das Wichtigste ist, dass die Zugangshemmnisse für Frauen, um hinter der Kamera zu stehen, also um bei einem Film Regie zu führen, abgebaut werden - weil es unstrittig ist, dass derzeit sehr viel mehr Männer Regie führen als Frauen. Das ist genauso schlimm wie die Tatsache, dass es weniger Pilotinnen, Baggerführerinnen oder Chirurginnen gibt. Ich würde mich nicht so weit festlegen, dass es weibliche Kunst und männliche Kunst gibt. Ich finde, es gibt sehr viele von Männern geschaffene Frauenfiguren im Kino - sowohl im Arthouse-Bereich als auch im kommerziellen Bereich - die extrem weiblich sind und der Sicht des weiblichen Publikums durchaus entsprechen. Es gibt auch sehr viele klischeebehaftete Frauenfiguren, die sowohl von Männern als auch von Frauen erschaffen worden sind.
In Schweden werden seit 2013 Fördergelder für Regie, Drehbuch und Produktion zur Hälfte an Frauen und Männer vergeben. Warum nicht auch in Deutschland?
Niehuus: Meiner Meinung nach sollte jede Förderung und jedes Festival diese Frage für sich entscheiden. Eine Quote einzuführen, ist sicherlich nicht falsch. Allerdings finde ich, dass unsere Aufgabe als Medienboard Berlin-Brandenburg nicht nur darin besteht, Geschlechtergerechtigkeit in der Förderung herzustellen. Dass man darauf achtet, dass möglichst viele Frauen zum Zuge kommen und dass man sich deren Projekte genauer anschaut, finde ich aber absolut richtig. Unsere Prämisse lautet, dass bei gleicher Qualität Filme von Frauen bevorzugt gefördert werden. Ich bin Pro Quote sehr dankbar für die Sensibilisierung in dem Bereich. Aber wir in der Filmförderung des Medienboard Berlin-Brandenburg haben auch keine Quoten im Hinblick darauf, welche Genres, wie viele Arthouse-Filme oder wie viele Komödien wir fördern. Das Projekt selbst hat bei unserer Förderung Priorität - im Paket mit der Regisseurin oder dem Regisseur.
Und: Die gesamte Gesellschaft muss dahin kommen, zu akzeptieren, dass es normal ist, wenn auch "Mutti" auf Montage ist. Denn Dreharbeiten bedeuten auch, dass Frau sich in der Zeit kaum um die Familie kümmern kann. Die Problematik gibt es auch in anderen Berufen, das ist nicht nur bei Regisseurinnen so. Es herrscht das Grundverständnis, dass die Mutter Teilzeit arbeitet und der Vater Vollzeit. Selbst bei uns hier am Medienboard sind in der Regel die Mütter die Teilzeitarbeiterinnen, nicht die Väter. Insofern glaube ich, dass man nicht nur sagen kann: Wir ändern die Quote bei der Filmförderung und bei den Festivals und dann wird das schon.
Rohm: Ich glaube, dass die Einführung von Quoten wirklich das einzig wirksame Mittel ist, um die momentane Schieflage zu beseitigen. Durch Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse verändert sich nichts. Die Quote schafft überhaupt erst einmal einen fairen Wettbewerb, den wir momentan nicht haben.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ja kein Frauenthema. Da geht es um Familie und da sind Frauen und Männer gleichermaßen in der Verantwortung. Und gerade viele junge Männer wollen dieser Verantwortung auch nachkommen. Auch sie haben das Problem, dass es schwierig ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Außerdem betrifft die fehlende Chancengleichheit Frauen mit und ohne Kind gleichermaßen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist also nicht der Hauptgrund für die Schieflage.
Wenn es darum geht, welche Filme im Wettbewerb um die großen Filmpreise starten dürfen - oder auch um die Frage, welche Filme gefördert werden - heißt es oft, es werde nach Qualität entschieden. Das müsse reichen. Ist das gerecht?
Niehuus: Gerecht ist, wenn die Rolle der Frau in der Gesellschaft gleichberechtigt mit der des Mannes ist. Es gibt sicher vielfältige Gründe dafür, warum viel weniger Frauen Regie führen als es Regie-Absolventinnen gibt. Einer der Gründe ist, dass nach wie vor in den meisten jüngeren Familien die Frauen diejenigen sind, die sich um die Kinder kümmern. Wenn beispielsweise eine Regisseurin bei einer Serie Regie führt, dann bedeutet das für eine Familie auch, dass die Mutter vier Monate weg ist. Das ist im Verständnis der Rolle der Frau in der Familie noch nicht ganz angekommen. Das kann ich aber nicht alleine mit Filmförderung richten.
Wir als Medienboard Berlin-Brandenburg engagieren uns sehr dafür, dass die Sender und die Produzenten sich mehr darum bemühen, Frauen in der Regie zu besetzen: Bei Warner achtet Steffi Ackermann als Produzentin beispielsweise bereits extrem darauf. Und auch bei der Ufa wird überlegt, mehr Regisseurinnen für große Serien zu nehmen. Das ist alles etwas, was man mit einer Quote nicht erzwingen kann. Das kann man über Sensibilisierung, über Vertrauensbildung und Ausbildung lösen - aber nicht über Zwang.
Rohm: Qualität lässt sich nicht messen wie ein 100-Meter-Lauf. Das ist ein System, das hinter einer Filmförderung oder einer Entscheidung für einen Wettbewerbsfilm steckt. Es gibt Studien, die die Gründe dafür benennen, dass wir so wenige Frauen in kreativen Schlüsselpositionen haben: Es gibt eine große Risiko-Aversion und Mutlosigkeit seitens der Entscheider und Entscheiderinnen. Die Filmproduktion ist ein Risikogeschäft und man möchte möglichst viele Risikofaktoren ausschalten. Und deshalb wird oft auf bewährte Formate oder Personen zurückgegriffen. Bei Männern schauen wir eher auf das Potenzial, Frauen nehmen wir als Risiko wahr. Frauen müssen immer beweisen, wie viel Erfahrung sie in einer Sache haben, damit sie ausgewählt werden. Dahinter stecken stereotype Annahmen, die wir alle verinnerlicht haben. Qualität ist am Ende immer eine Vertrauensentscheidung.
Pro Quote Film hat sich 2014 als Pro Quote Regie gegründet. Sie, Frau Niehuus, sind seit 2004 für die Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg zuständig. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert?
Rohm: Wir haben ein großes Bewusstsein dafür geschaffen, dass wir von Geschlechtergerechtigkeit weit entfernt sind und dass es einen großen Bedarf gibt, dies zu ändern. Das betrifft nicht nur die Frauen hinter der Kamera. Es betrifft auch die Frauen vor der Kamera. Und wir wissen: Wenn Frauen in den kreativen Schlüsselpositionen hinter der Kamera sind, verändert sich das, was vor der Kamera gezeigt wird.
Es ist viel in Bewegung geraten: In der letzten Novellierung des Filmfördergesetzes wurde beispielsweise die paritätische Besetzung von Gremien aufgenommen. Aber wir müssen noch viel für die Sichtbarkeit von Frauen tun: Es werden zum Beispiel viel zu wenige Filme, bei denen Frauen Regie geführt haben, digitalisiert - was zur Folge hat, dass das weibliche Filmerbe gerade verschwindet.
Wir sehen mittlerweile mehr Frauen in der Regie, gerade bei den Fernsehserien. Aber wir sind der Meinung, dass wir das nicht dem Goodwill einzelner Entscheider und Entscheiderinnen überlassen sollten. Es sollte auch gesetzliche Quoten dazu geben, wie in der Film- und Fernsehbranche mit öffentlichen Geldern gearbeitet wird. Es gibt einfach die Verpflichtung zur Gleichstellung. Die ist auch in unserem Grundgesetz so festgehalten.
Niehuus: Ich glaube, dass sich in vielen, auch größeren Produktionshäusern mittlerweile eine größere Bereitschaft bis hin zu einer professionellen Neugierde auf weibliche Regie entwickelt hat. Heute denken viele Redakteure, Produzenten und Förderer: Das könnte sehr gut eine Regisseurin machen. Man spricht sehr viel mehr darüber. Und ich glaube, dass der Aufschwung der Branche durch neue Formate wie Serien gerade den Frauen zugutekommt.
Kirsten Niehuus ist Geschäftsführerin der Filmförderung des Medienboards Berlin-Brandenburg. Das Medienboard ist ein staatliches Unternehmen für Filmförderung der deutschen Bundesländer Berlin und Brandenburg.
Barbara Rohm ist Regisseurin und Fotografin. Sie ist Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von Pro Quote Film. Der Verein setzt sich für die Gleichstellung von Frauen beim Film ein und hat nach eigenen Angaben rund 1200 Mitglieder, Unterstützerinnen und Unterstützer.
Die Gespräche führte Laura Döing.