Freies Schottland, nächster Versuch
28. März 2017Warum überhaupt eine neue Volksabstimmung?
Zwar haben die Schotten erst 2014 mit einer Mehrheit von 55 zu 45 Prozent eine schottische Unabhängigkeit abgelehnt, aber die Situation hat sich durch das Brexit-Referendum 2016 grundlegend verändert. Darin hatte sich eine deutliche Mehrheit von 62 Prozent der Schotten für den Verbleib in der EU ausgesprochen, während insgesamt im Vereinigten Königreich, zu dem England, Schottland, Wales und Nordirland gehören, eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für den Austritt stimmte.
Schottland wird also, wenn es nach den Plänen der britischen Regierung geht, gegen den erklärten Willen seiner Bevölkerungsmehrheit aus der Europäischen Union geführt. Das darf nicht sein, argumentiert die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Schottischen Nationalpartei (SNP), Schottland müsse ein weiteres Mal abstimmen dürfen.
Ist das Referendum damit sicher?
Nein, weder das schottische Parlament noch die Regionalregierung in Edinburgh kann das selbständig entscheiden. Ein rechtlich bindendes Referendum kann nur das Parlament in London beschließen. Die britische Regierung müsste sich dafür einsetzen, so wie 2014, als Premierminister David Cameron dahinter stand. In London besteht aber keinerlei Neigung, die Schotten erneut abstimmen zu lassen.
Theresa May ist der Meinung, es sei "nicht der richtige Augenblick" dafür, die Schotten hätten ja ihr Verhältnis zum Vereinigten Königreich 2014 geklärt. Sie ignoriert damit allerdings die neue Geschäftsgrundlage. Außerdem könnte eine zu strikte Ablehnung einer neuen Volksabstimmung eine gewisse Verbitterung in Schottland erzeugen. May steht also unter Druck, ein wenig Entgegenkommen zu zeigen.
Wäre eine Zwischenlösung denkbar?
Wahrscheinlich nicht. Nicola Sturgeon selbst hat als Minimalziel einen schottischen Sonderstatus innerhalb des Vereinigten Königreichs gefordert, der Schottland weiter Zugang zum EU-Binnenmarkt geben würde. May lehnt das aber kategorisch ab. Sie tritt für die bestehende Union des Vereinigten Königreichs ohne jede Abstriche ein und sagte kürzlich, sie werde niemals zulassen, dass "unsere Union loser und schwächer wird oder unsere Völker auseinander treiben". Sie hat aber den Regionalregierungen in Schottland, Wales und Nordirland mehr Kompetenzen zugesagt.
Ein Gespräch zwischen May und Sturgeon am Montag in Glasgow blieb ergebnislos. "Es gab keinerlei Versuch von der britischen Regierung, einen gemeinsamen Nenner zu finden", klagte Sturgeon. May dagegen sagte, dies sei der Moment, "an dem wir eher zusammenstehen sollten, anstatt uns zu trennen". Auch eine Art Erpressungsversuch Sturgeons schlug fehl: Sie habe von May keine Zusage weiterer Machtübertragungen an Schottland erhalten, wenn sie auf eine Volksabstimmung verzichte, sagte die SNP-Politikerin nach dem Treffen mit May.
Wie denken die Schotten über ihre Unabhängigkeit und die EU?
Tatsächlich pokert Sturgeon hoch. Denn sie kann ein rechtlich bindendes Referendum nicht erzwingen. Zum anderen deuten auch jüngste Umfragen keineswegs auf eine Mehrheit für eine schottische Unabhängigkeit hin. Eine Umfrage des Instituts ScotCen vor zwei Wochen ergab, dass 46 Prozent der Schotten für die Unabhängigkeit sind - gegenüber 45 Prozent vor drei Jahren. Mehr noch, dieselbe Umfrage zeigte, dass die Euroskepsis in Schottland von 40 Prozent im Jahr 1999 auf heute 67 Prozent gestiegen ist. Diese widersprüchliche Haltung der Schotten gegenüber der EU zeigt, dass es für die Schottische Nationalpartei schwierig werden könnte, ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum mit einer klar proeuropäischen Stoßrichtung zu gewinnen.
Könnte Schottland allein überleben?
Die SNP argumentiert seit langem, die Öleinnahmen der Nordsee würden nach einer Unabhängigkeit nicht mehr nach London fließen, sondern in vollem Maße in Schottland bleiben. Aber der Ölpreis hat sich seit der Volksabstimmung 2014 halbiert. Das hat die schottische Wirtschaft schwer getroffen und das Argument, man könne eine Art zweites Norwegen werden, etwas entkräftet. Außerdem nimmt die Bedeutung des Öls für die schottische Exportwirtschaft ab. Lebensmittel, darunter Whisky, bringen inzwischen deutlich mehr Ausfuhreinnahmen als petrochemische Erzeugnisse.
Unionisten verweisen noch auf einen weiteren Punkt: Nach schottischen Regierungsangaben gingen 2015 fast zwei Drittel der schottischen 'Exporte' in den Rest des Vereinigten Königreichs, aber nur 16 Prozent in andere EU-Mitgliedsstaaten. Die Abhängigkeit der schottischen Wirtschaft von einem vereinigten innerbritischen Markt ist also größer als die vom EU-Binnenmarkt.
Welche praktischen und rechtlichen Folgen sind zu beachten?
Es ist keineswegs gesagt, dass die EU Schottland als Mitglied aufnähme. Dem müssten alle Mitgliedsstaaten zustimmen. Spanien zum Beispiel, das ebenfalls regionale Abspaltungstendenzen kennt, könnte sich einer Aufnahme Schottlands widersetzen. Außerdem würden sich zahlreiche praktische Fragen stellen wie die, ob Schottland das Pfund behielte oder den Euro einführte, ob Königin Elisabeth Staatsoberhaupt bliebe oder wie die schottisch-englische Grenze aussähe, die dann eine EU-Außengrenze wäre.
Theresa May stört sich vor allem daran, dass Nicola Sturgeon noch vor dem voraussichtlichen britischen EU-Austritt in zwei Jahren abstimmen lassen will, also noch bevor klar ist, wie das künftige Verhältnis Großbritanniens zur EU aussehen wird. Ihr Kalkül: Ein gutes Abkommen mit der EU wird die Schotten überzeugen, im Vereinigten Königreich zu bleiben. Sturgeon dagegen will nicht nur wegen der EU die schottische Unabhängigkeit, sondern aus Prinzip. Dafür steht schon ihre Partei: Schottische Nationalpartei.