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Freispruch für Trichet

19. Juni 2003

Die Weste bleibt weiß: Jean-Claude Trichet wurde vom Vorwurf der Bilanzfälschung frei gesprochen. Damit hat er beste Chancen, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zu werden.

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Weichenstellung in letzter MinuteBild: AP

Fast hätte der Finanzskandal um die frühere Staatsbank Credit Lyonnais alle Ambitionen von Jean-Claude Trichet
vereitelt, im Sommer 2003 die Nachfolge von EZB-Präsident Wim Duisenberg anzutreten. Für den 60-jährigen Chef der französischen Notenbank war klar, dass er den Freispruch im Pariser Strafprozess um gefälschte Bilanzen und Falschinformationen brauchte. Nur in diesem Fall war seine Aussicht auf den Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) ungetrübt. Praktisch in letzter Minute hat er am
Mittwoch (18.6.2003) diese entscheidende Weichenstellung geschafft.

Eine gute Nachricht

Die EU-Kommission nannte den Freispruch eine gute Nachricht, die die Nachfolgefrage für den derzeitigen EZB-Chef Wim Duisenberg erheblich erleichtere. Aus Kreisen der EU verlautete, es sei wahrscheinlich, dass die Frage der Duisenberg-Nachfolge bereits beim EU-Gipfel in Thessaloniki
behandelt werde, der offiziell am Freitag (20.6.2003) beginnt.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten gefordert, weil Trichet vor zehn Jahren als Direktor des staatlichen Schatzamts Bilanzfälschungen gedeckt haben soll. Er stand wegen "Beihilfe bei der Veröffentlichung falscher Bilanzen und der Verbreitung falscher und irreführender Informationen" vor Gericht.

Vorwürfe bestritten

Der Staatsanwaltschaft zufolge vertuschte die damals staatliche Credit Lyonnais für 1991, 1992 und das erste Halbjahr 1993 Milliardenverluste. Trichet hatte die Vorwürfe vor Gericht bestritten und erklärt, das von ihm geleitete
Schatzamt habe angesichts der Risiken schon früh Alarm geschlagen.

Das Kreditinstitut hatte vor allem durch seine Rolle beim Kauf der MGM-Studios und durch Immobiliengeschäfte schwere finanzielle Schlagseite erlitten. Doch noch für 1991 wies Credit Lyonnais einen Gewinn aus, für die beiden Folgejahre insgesamt einen Verlust von nur 1,3 Milliarden Euro. Die Sanierung des mittlerweile privatisierten Kreditinstituts kostete den französischen Steuerzahler insgesamt fast 15 Milliarden Euro.

Der Musterschüler

In der französischen wie in der europäischen Finanzwelt genießt Trichet hohe Anerkennung. Sein Verdienst, die französische Notenbank vom Einfluss der Politik und stets die Stabilität der Währung als oberstes Gebot hochgehalten zu haben, ist allerdings in Frankreich nicht unumstritten. Der Musterschüler eckte mit seinen puristischen Auffassungen immer wieder an, zeigte sich jedoch als Karrierebeamter stets loyal.

Als Angehöriger der Führungsschicht Frankreichs hat auch Trichet die Elite-Hochschulen des Landes mit einem Ingenieursstudium sowie die Kaderschmiede ENA mit einem Volkswirtschaftsstudium absolviert. Als Leiter des Schatzamtes seit dem Jahr 1987 diente er allein fünf
Premierministern, ehe er 1993 an die Spitze der Notenbank wechselte. Internationales Format gewann Trichet als Präsident des Pariser Clubs bei Umschuldungsverhandlungen westlicher Banken mit den Staaten der Dritten Welt und des früheren Ostblocks. Wegen seiner Begeisterung für Literatur und Oper nannte ihn das Magazin "L'Express" einen der "kultiviertesten Beamten Frankreichs". (kas)