Sachsen gibt Gebeine an Australien zurück
30. November 2019Bianca-Ann Baxter war zum ersten Mal in ein Flugzeug gestiegen. Die junge Frau, die zur Volksgruppe der Gunaikurnai gehört, legte mehr als 16.000 Kilometer zurück und durchquerte drei Kontinente. Sie nahm die lange Reise auf sich, um die Gebeine ihrer Vorfahren entgegenzunehmen, die vor mehr als einem Jahrhundert in ihrer Heimat gestohlen wurden.
"Jeder hat Sehnsucht, nach Hause zu kommen. Das ist bei unseren Vorfahren nicht anders", kommentiert sie die Rückkehr der sterblichen Überreste von 35 Gunaikurnai, von denen 31 im Rahmen eines fünfjährigen Forschungsprojektes identifiziert wurden. "Es ist beruhigend zu wissen, dass unsere Vorfahren in das Land zurückkehren, aus dem sie kommen und wo sie - zusammen mit ihren Nachkommen - hingehören", so Bianca-Ann Baxter.
In einer offiziellen Zeremonie, die am Donnerstag im Grassi Museum in Leipzig stattfand, wurden neben den Gebeinen der 35 Gunaikurnai die sterblichen Überreste zehn weiterer Ureinwohner an Vertreter aus den Herkunftsregionen übergeben.
Die Gebeine, die größtenteils durch Raubüberfälle nach Europa gelangten, wurden Ende des 19. Jahrhunderts an einen britischen Händler verkauft. In den Jahren 1892, 1900 und 1903 kamen sie ins "Königliche Zoologische und Anthropologische Ethnographische Museum", heute bekannt als Museum für Völkerkunde Dresden.
Insgesamt befinden sich 1600 Überreste von australischen Ureinwohnern in Museen, Universitäten und Sammlungen auf der ganzen Welt. Sie wurden im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert von Wissenschaftlern und Forschern im Namen der "biologischen Forschung" gesammelt.
Major Sumner (bekannt als Onkel Moogy), ein Ältester aus der Gemeinde Ngarrindjeri in Südaustralien, arbeitet seit mehr als 30 Jahren unermüdlich an der Rückführung seiner Ahnen. "Ich glaube, wenn ich die Grabstätten in unserer Gemeinde ausgraben würde, fände ich nur leere Kisten", sagt er gegenüber der DW. "Wenn ein Aborigine starb, wurde er von Ramsay Smith, dem Gerichtsmediziner, verkauft und nach Übersee geschickt."
Menschliche Überreste sind keine Objekte
"Wer trägt alles Make-up hier im Raum?" Diese Frage stellt Onkel Moogy bei der Zeremonie im Grassi Museum. Ein paar Hände heben sich. "Schaut mich an, auch ich habe Farbe in meinem Gesicht! Aber bin ich deswegen ein modifiziertes Objekt?" Moogy spielt damit auf das Problem an, dass viele Museen menschliche Überreste, die modizifiert wurden (beispielsweise mit Farbe bemalt oder mit Muscheln dekoriert), als leblose Objekte klassifizieren und damit von einer Rückführung ausschließen.
Darüber hinaus verwenden viele Museen immer noch Zahlen, um menschliche Überreste zu kategorisieren - eine Praxis, die von Rückführungsexperten als veraltet und respektlos angesehen wird. "Wir müssen uns bei der Kategorisierung von Überresten mit vielen museologischen Hierarchien auseinandersetzen", erklärt Amanda Morley, stellvertretende Direktorin für die Rückführung indigener Völker am australischen Ministerium für Kommunikation und Kunst. "Es gibt noch viel zu tun in Bildungseinrichtungen, so dass sie Überreste nicht nur als Objekte sehen, die betrachtet und untersucht werden müssen."
Ein weiteres Hindernis für die Rückführung ist das "Kulturgutschutzgesetz" in Deutschland, das den Export von Kulturgütern verhindern soll, aber gleichzeitig den Museen die Erfüllung ihrer ethischen Verpflichtungen gegenüber den Herkunftsländern erschwert. Angesichts der mehr als 5000 Überreste indigener Völker, die noch im Dresdner Museum für Völkerkunde und im Berliner Humboldt Forum lagern, fordern Rückführungsexperten eine Rechtsreform.
Nach Ansicht von Birgit Scheps-Bretschneider, Leiterin der Provenienzforschung am Grassi Museum, besteht nach wie vor eine Lücke zwischen Rückführung und Wiedergutmachung, die auf politischer Ebene angegangen werden müsse. "Die meisten Politiker wollen nicht klar sagen, was in der Vergangenheit passiert ist. Aber wenn es sich um Straftaten handelt, dann gibt es meiner Meinung nach eine Verpflichtung, nicht nur die Überreste zurückzugeben, sondern auch Wiedergutmachungsmaßnahmen zu ergreifen. Zum Beispiel in Form von ganz elementaren Hilfsprojekten im Bereich Gesundheit und Bildung."
Ruf nach Selbstbestimmung
Onkel Moogy freut sich derweil, mit seinen Ahnen nach Hause zu fahren. Er könne es kaum erwarten, nach Südaustralien zurückzukehren, um das rote Glühen über der Insel Kangaroo zu sehen, sagt er. "Das sind die Vorfahren, die die verstorbenen Geister willkommen heißen."
Megan Krakouer, die als Vertreterin des Stammes der Menang aus Westaustralien gekommen ist, sieht das kritischer. Sie könne nicht ihre Hand aufs Herz legen und schlichtweg sagen, sie nehme ihre Vorfahren mit, damit sie in Frieden ruhen. "Als unsere Vorfahren gefangen genommen wurden, war dies ein Akt des Rassismus", so Krakouer. "Sie haben unser Volk wie Tiere behandelt. Dieses Trauma ist heute noch zu spüren. Sie brauchen nur einen Blick auf die Statistiken zu Selbstmord, Armut, sexuellem Missbrauch und Kriminalität zu werfen."
Que Kenny, ein Jurastudent aus Ntaria in der Nähe von Alice Springs, stimmt ihr zu. "Wir haben ein Problem mit strukturellem Rassismus in unserem Land. Wir brauchen einen Systemwechsel. Unsere Ältesten und ihre Nachfolger müssen eine Stimme haben, die gehört wird, damit sie unser Volk angemessen vertreten können."