Offene Fragen nach der Auktion von Klimts "Fräulein Lieser"
8. Mai 2024Eine junge Frau blickt offen und sehr wach von der Leinwand. Um ihre Schultern schmiegt sich ein reich mit Blumen dekorierter Umhang. Er kontrastiert mit einem blutroten Hintergrund. Fast 100 Jahre galt "Fräulein Lieser" als verschollen. Dann tauchte das Damenporträt, gemalt von dem österreichischen Jugendstil-Maler Gustav Klimt, ganz plötzlich in einer Auktion auf.
"Fräulein Lieser" stammt aus Klimts (1862-1918) letzter Schaffensperiode. Der Künstler malte das Bild kurz vor seinem Tod. Nach einem Schlaganfall musste er es wohl unvollendet lassen. Auch die Signatur des Künstlers fehlt. Das Wiener Auktionshaus Kinsky hoffte dennoch auf einen Sensationserlös. Doch nur ein einziger Bieter wollte das Werk ersteigern. So wechselte "Fräulein Lieser" für 30 Millionen Euro den Besitzer. Zwar wurde der Schätzpreis erreicht, aber eben auch nicht mehr. Fühlten sich potentielle Bieter von den vielen Ungewissheiten abgeschreckt?
Lange Gesichter beim Auktionator. Denn Klimts Werke erzielen international Rekordpreise, an denen die Versteigerer anteilig profitieren. So wurde seine "Dame mit Fächer" erst 2023 bei Sotheby's in London für knapp 100 Millionen Euro einem Privatsammler aus Hongkong zugeschlagen. Für ein anderes Frauenporträt des Wiener Sezessionisten - die "Goldene Adele" - zahlte der amerikanische Milliardär und Kunstsammler Ronald Lauder 2006 rund 135 Millionen Dollar.
Viele Fragen, keine Antworten
Wer immer sich mehr von der Wiener Auktion erhofft hatte, wurde enttäuscht. Einen "Kunstkrimi" vermuteten zudem viele hinter "Fräulein Liesers" plötzlichem Erscheinen: Denn wer ist die Porträtierte? Wer gab das Bild einst in Auftrag und war somit ursprünglicher Eigentümer? Was passierte mit dem Gemälde in der Nazizeit? Wie gelangte es in den Kunsthandel und schließlich in die - bisher ungenannte - österreichische Privatsammlung, die es jetzt in die Auktion gab?
Die meisten dieser Fragen sind ungeklärt, doch keineswegs banal. Stammte das Klimt-Gemälde aus jüdischem Besitz und waren die Eigentümer gezwungen, es unter Druck der Nazis zu verkaufen? Dann müsste es heute als Restitutionsfall behandelt und gemäß der Washingtoner Raubkunst-Erklärung von 1998 an die Erben zurückgegeben werden. Die Ausfuhr aus Österreich wäre rechtlich schwierig, ein Verkauf ins Ausland wohl unmöglich geworden. Die Auktion von Wien, so schien es, stand zunächst unter keinem guten Stern. Gefragt waren jetzt Provenienzforschung - und Verhandlungsgeschick.
Jüdische Eigentümerin?
Die Recherchen des Auktionshauses ergaben: Auftraggeberin und Eigentümerin war offenkundig Henriette Amalie Lieser, genannt "Lilly", eine Mäzenin der Wiener Kunstszene und bis 1905 die Ehefrau des Großindustriellen Justus Lieser. Lilly Lieser starb 1943 in einem Vernichtungslager der Nazis. Die Porträtierte könnte eine ihrer beiden Töchter sein. Doch auch ein anderer Zweig der jüdischen Familie kommt als Eigentümerin in Frage - nämlich Adolf Lieser und seine Frau Silvia. Ihre Tochter Margarethe war 18 Jahre alt, als Klimt das Fräulein-Bild malte.
Denkbar ist, dass Lilly Lieser das Bild verkaufte, als ihr Vermögen nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland "arisiert", sprich: eingefroren wurde. Kinsky fand zwar keine Beweise für eine Beschlagnahme und somit für den "verfolgungsbedingten Entzug" des Bildes. Trotzdem ging das Auktionshaus vom problematischsten aller Fälle aus und behandelte "Fräulein Lieser" als Nazi-Beutekunst und somit als Restitutionsfall.
Dem Auktionshaus gelang es, eine Vereinbarung zwischen dem heutigen Besitzer und den Rechtsnachfolgern der Familie Lieser zu schmieden. Danach soll der Versteigerungserlös aufgeteilt werden - und zwar gemäß den Washingtoner Prinzipien als eine "gerechte und faire Lösung". Mit Blick darauf erteilte das österreichische Bundesdenkmalamt eine Ausfuhrgenehmigung. Schlagartig wurde "Fräulein Lieser" auch für internationale Bieter interessant. Der Knoten schien durchschlagen, der Weg für die Auktion frei.
Überraschender Ausgang
Jedenfalls schien es so. Denn kurz vor der Auktion meldete - ganz überraschend - ein Mann aus München ebenfalls Erbansprüche an. Er verlangte die Rücknahme der Ausfuhrgenehmigung und den Verzicht auf die Auktion. Sollte der Mann erbberechtigt sein, wäre damit auch die Erlös-Vereinbarung hinfällig. Rechtsstreitigkeiten könnten folgen. Das Auktionshaus reagierte gleichwohl nicht - und zog die Versteigerung erst einmal durch. So bietet sich dem staunenden Publikum jetzt folgendes Bild: Es fließen 30 Millionen Euro für ein unsigniertes Porträt einer jungen Unbekannten, von der nicht zweifelsfrei feststeht, wem sie gehört. Manch einer entdeckt in ihrem Blick ein kaum merkliches Augenzwinkern.