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Zweites Tschernobyl?

15. März 2011

Das Atomunglück in Japan weckt in der Ukraine Erinnerungen an den GAU von Tschernobyl. Die derzeit bestehenden 15 Reaktoren seien erdbebensicher, sagen die Behörden. Umweltexperten fordern einen Atomausstieg.

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Zerstörter Reaktorblock des Atomkraftwerks Tschernobyl 1986 (Foto: AP)
Zerstörter Reaktorblock in Tschernobyl 1986Bild: AP

Vor gut zehn Jahren wurde der letzte Reaktor des Atomkraftwerks Tschernobyl endgültig abgeschaltet. Während eines Tests war am 26. April 1986 Block 4 der Anlage explodiert. Die damals noch sowjetischen Behörden alarmierten die Bevölkerung zunächst nicht. Der Unfall wurde erst öffentlich, als in Nordeuropa erhöhte Radioaktivität gemessen wurde. Nach halbamtlichen Angaben starben mehr als 25.000 Menschen. NGOs gehen dagegen von Hunderttausenden Todesopfern vor allem in den damaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Belarus und Russland aus. Allein in der Ukraine gelten noch heute 2,3 Millionen Menschen offiziell als "von der Katastrophe betroffen", beispielsweise durch ein höheres Krebsrisiko.

Behörden: Alle AKWs erdbebensicher

Eine Betonhülle umschließt heute den Reaktorblock (Foto: dpa)
Eine Betonhülle umschließt heute den ReaktorblockBild: picture-alliance / dpa

Heute gibt es in der Ukraine vier Atomanlagen mit insgesamt 15 Reaktorblöcken. 12 von ihnen seien in Betrieb, die restlichen drei würden derzeit überholt, sagte der Deutschen Welle Mychajlo Haschew von der ukrainischen Atomregulierungsbehörde. Alle AKWs seien gemäß den weltweit geltenden seismologischen Anforderungen geplant und gebaut worden. Sie würden Stärken von 6 bis 7 auf der Richterskala standhalten und seien somit erdbebensicher. Ein Unglück wie in Japan nach einem heftigen Erdbeben sei in der Ukraine unwahrscheinlich, auch weil die AKWs in der Ukraine nicht in erdbebengefährdeten Gebieten lägen, versicherte der Behördenvertreter.

Dennoch würden nun die ukrainischen AKWs einer Prüfung unterzogen. "Seit dem letzten Jahr gelten strengere Normen, was die Erdbebensicherheit von Atomkraftwerken, Anlagen und Blöcken angeht. Und jetzt werden wir jeden unserer Standorte, jeden Block auf die neuen Regeln und Normen der Internationalen Atomenergiebehörde hin überprüfen", sagte Haschew. Die Laufzeiten von ukrainischen AKWs, die der Prüfung nicht standhielten, würden nicht verlängert. "Ein neues Programm der Regierung sieht zudem vor, die Reaktoren mit zusätzlichen Systemen zur Notstromversorgung auszustatten. Neben den Dieselgeneratoren haben wir jetzt auch einzelne Batterien in jedem Block". Die Probleme bei den japanischen Reaktoren hätten gerade mit Störungen bei der Energieversorgung der Sicherheitssysteme des Reaktors begonnen, erläuterte Haschew.

Umweltschützer bezweifeln Sicherheit

Warnschild an der Sperrzone um das stillgelegte AKW Tschernobyl (Foto: RIA Novosti)
Weite Gebiete um Tschernobyl sind unbewohnbarBild: RIA Novosti

Ukrainische Umweltschützer meinen aber, die Betreiber von Atomkraftwerken hätten in erster Linie den wirtschaftlichen Nutzen ihrer Anlagen im Blick. Ständige Modernisierungen unter Berücksichtigung immer neuer Sicherheitsanforderungen seien für die Betreiber nicht von Vorteil, so der ukrainische Umweltexperte Artur Denysenko. Wenn man alle Risikofaktoren bei den Sicherheitsbedingungen berücksichtigen würde, dann wären die Anlagen wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll. "Deswegen ist die gesamte Atomenergie ein gewisser Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheit", sagte Denysenko. Ihm zufolge werden in ukrainischen AKWs jährlich 21 bis 34 Störfälle registriert. Von einer absoluten Sicherheit der Kraftwerke in der Ukraine könne somit keine Rede sein.

Das ukrainische Energieministerium hatte vor einiger Zeit mitgeteilt, die Energiestrategie des Landes bis 2030 zu überarbeiten und auf den geplanten Bau Dutzender neuer Atomkraftwerke zu verzichten. Denysenko hält dies für unzureichend. Ihm zufolge muss die Ukraine ein Programm zum Ausstieg aus der Kernenergie entwickeln. Ferner müsse das Land unverzüglich Energie sparen. Das Potenzial für Energieeinsparungen in der Ukraine sei gewaltig, so der Umweltexperte.

Erfahrungen könnten Japaner nutzen

Der bekannte ukrainische Publizist und ehemalige Botschafter seines Landes in den USA, Jurij Schtscherbak, war einer der ersten, der seinerzeit der Öffentlichkeit die wahren Ausmaße der Katastrophe von Tschernobyl schilderte. Er erklärte gegenüber der Deutschen Welle, es sei ein "düsteres Zeichen", dass es kurz vor dem 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl in Japan zu einem solchen Unglück gekommen sei. Schtscherbak ist überzeugt, dass die Ukraine Japan in der jetzigen Situation helfen könnte - mit den gewaltigen Erfahrungen bei der Bewältigung der Tschernobyl-Katastrophe.

Autoren: Lilia Grischko, Markian Ostaptschuk (mit afp)
Redaktion: Bernd Johann