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WM 2023: Jenni Hermoso fordert Konsequenzen nach Kuss-Eklat

24. August 2023

Das Verhalten von Luis Rubiales bei der Siegerehrung der Fußball-WM hat für Spaniens Verbandschef ein Nachspiel. Der Verband berät auf einer Sondersitzung. "Kuss-Opfer" Hermoso will, dass der Fall nicht folgenlos bleibt.

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Fußballerin Jennifer Hermoso schaut ernst
Jenni Hermoso holt sich nach dem Kuss-Eklat bei der WM-Siegerehrung Unterstützung der SpielerinnengewerkschaftBild: Kim Price/picture alliance/ZUMA Press Wire

Spaniens Frauen gewinnen erstmals die Fußball-WM, doch nach dem großen Triumph diskutiert die Welt vor allem eine Szene, die bei der Siegerehrung passiert. Als Jenni Hermoso, Spaniens Nummer 10, in der Reihe der Spielerinnen auf das Siegerpodest trat, um von FIFA-Präsident Gianni Infantino, Spaniens Königin Leticia und Luis Rubiales, der Präsident des spanischen Fußballverbands RFEF, Medaillen und Glückwünsche entgegenzunehmen, gab Rubiales der Spielerin zunächst Küsschen auf die Wange. Dann aber packte er den Kopf der 33-Jährigen und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.

Während Hermoso selbst den Vorfall hinterher nur knapp mit: "Was sollte ich denn tun? Es hat mir nicht gefallen", kommentierte, gab es von anderer Stelle sehr viel heftigere Reaktionen: Man solle nicht davon ausgehen, dass Küssen ohne Zustimmung etwas sei, das einfach so passiere, schrieb Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero auf X. "Es ist eine Form der sexuellen Gewalt, die wir Frauen täglich erleiden und die bisher unsichtbar war und die wir nicht normalisieren dürfen", erklärte die Politikerin. Auch die spanische Ministerin für soziale Rechte, Ione Belarra, twitterte: "Wir alle denken: Wenn sie das vor den Augen ganz Spaniens tun, was werden sie dann nicht auch im Privaten tun? Sexuelle Gewalt gegen Frauen muss ein Ende haben." 

Hermoso fordert Konsequenzen

Einige Tage nach dem Zwischenfall gab Hermoso dann gemeinsam mit der Spielerinnengewerkschaft Futpro eine Stellungnahme heraus, in der sie verlangte, dass der Kuss nicht folgenlos bleiben solle. Sie fordert die RFEF auf, "die notwendigen Protokolle zu erstellen, die Rechte unserer Spielerinnen zu schützen und beispielhafte Maßnahmen zu ergreifen". Die Gewerkschaft, die Hermosos Interessen in dieser Angelegenheit vertritt, lehne "jede Haltung oder jedes Verhalten ab, das die Rechte von Fußballerinnen verletzt", hieß es. Futpro setze sich dafür ein, dass solche Handlungen "niemals ungestraft bleiben, dass sie sanktioniert werden und dass die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um Fußballerinnen vor Handlungen zu schützen, die wir für inakzeptabel halten".

Spaniens FußballverbandschefLuis Rubiales packt bei der Siegerehrung den Kopf von Spielerin Jennifer Hermoso, um sie auf den Mund zu küssen
Nach inniger Umarmung küsst Spaniens Verbandschef Luis Rubiales Jenni Hermoso auf den MundBild: Noe Llamas/Sport Press Photo/ZUMA Press/picture alliance

Das steht im Gegensatz zu einer früheren vermeintlichen Aussage Hermosos, die den Kuss relativierte. "Es war eine ganz spontane gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude über den Gewinn einer Weltmeisterschaft", wurde die Mittelfeldspielerin in einer  Stellungnahme zitiert, die die RFEF nach dem Finalsieg verbreitete. Es war darin auch vom "großartigen Verhältnis" zwischen ihr und Rubiales die Rede. "Sein Verhalten uns allen gegenüber war ausgezeichnet, und es war eine natürliche Geste der Zuneigung und Dankbarkeit", der man "nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken" solle. Vor allem solle sie nicht vom Gewinn des WM-Titels ablenken. Später enthüllte das spanische Online-Kagazin "Relevo", dass Hermoso diese Aussagen tatsächlich gar nicht getätigt hatte, sondern der Verband sie "komplett erfunden" habe.

Zunächst kein Schuldbewusstsein bei Rubiales

Rubiales selbst verstand die Aufregung zunächst nicht. Bei Radio Marca reagierte er kurz nach dem Spiel ungehalten. "Der Kuss mit Jenni? Idioten gibt es überall. Wenn zwei Menschen miteinander eine unwichtige Geste der gegenseitigen Zuneigung teilen, darf man dem Mist, der da gesagt wird, keine Beachtung schenken", sagte der Verbandschef auf dem Weg zum Flughafen in Sydney. Offenbar hatte er zuvor in der Kabine verkündet, allen Spielerinnen als Belohnung für den WM-Titel eine Reise nach Ibiza schenken. Dabei soll er gesagt haben: "Auf Ibiza feiern wir dann die Hochzeit von Jenni und Luis Rubiales."

Erst im Laufe des Montags reagierte er auf die Kritik, die ihm entgegenschlug. Er habe keine "andere Wahl", als sich zu entschuldigen und "daraus zu lernen", sagte er. Wenn er den Verband vertrete, müsse er vorsichtiger sein, gab der Funktionär zu. Gleichzeitig blieb er aber bei seiner Ansicht, dass die ganze Aufregung "idiotisch" sei.

Präsident des spanischen Fußballverbandes Luis Rubiales
Schon früher gab es Vorwürfe gegen RFEF-Präsident Luis RubialesBild: Amr Nabil/AP/picture alliance

Rubiales, der sich im vergangenen Jahr vehement gegen die Meuterei von 15 Spielerinnen und demonstrativ an die Seite des umstrittenen Nationaltrainers Jorge Vildas gestellt hatte, sorgte indes nicht zum ersten Mal für Ärger: Ebenfalls im vergangenen Jahr wurde der Vorwurf der Veruntreuung von Verbandsgeldern gegen den RFEF-Chef laut. Wie spanische Medien berichteten, soll er Anfang 2020 eine Party gegeben haben, zu der auch acht bis zehn Frauen eingeladen waren. Das Fest habe sich angeblich zu einer Orgie entwickelt und Rubiales habe es anschließend als Arbeitsveranstaltung abgerechnet, hieß es. Der Verband und sein Chef hatten die Vorwürfe stets abgestritten.

Mögliches Nachspiel und Kritik von höchster Stelle

Der Kuss auf den Mund von Jenni Hermoso könnte für Rubiales schon bald unangenehme Folgen haben. Der spanische Fußball-Verband berief für Freitag, den 25. August, eine außerordentliche Generalversammlung ein. Als Grund für das Treffen in Madrid wurden die "Vorfälle bei der Preisverleihung der Frauen-Weltmeisterschaft" angegeben. Zudem gab der RFEF an, eine interne Untersuchung eingeleitet zu haben. Die FIFA-Disziplinarkommission gab am Donnerstag bekannt, dass gegen Rubiales wegen der Vorfälle während des WM-Endspiels ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Rubiales habe möglicherweise gegen Artikel 13 des FIFA-Disziplinarreglements verstoßen, der sich mit beleidigendem Verhalten und Verstößen gegen die Grundsätze des Fairplay befasst. 

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez bei einer Rede
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez hat kein Verständnis für das Verhalten von Luis RubialesBild: Gustavo Valiente/EUROPA PRESS/dpa/picture alliance

"Natürlich warten wir darauf, dass etwas passiert. Wenn das nicht der Fall ist, wird die Regierung handeln", sagte Spaniens  Präsidentschaftsminister Felix Bolanos vor der außerordentlichen Generalversammlung des RFEF. Zuvor hatte sich auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez zu Wort gemeldet: "Was wir gesehen haben, ist inakzeptabel", sagte der sozialistische Politiker am Dienstag vor Journalisten. "Und die Entschuldigungen von Herrn Rubiales reichen nicht aus, ich würde sie als unangemessen bezeichnen, deshalb muss er weitere Schritte unternehmen, um klarzustellen, was wir alle gesehen haben." Auch US-Star Megan Rapinoe äußerte Kritik. Der Vorfall habe "ein tiefes Ausmaß an Frauenfeindlichkeit und Sexismus" sagte sie in einem Interview mit The Athletic: "In was für einer verkehrten Welt leben wir eigentlich? Auf der größten Bühne, auf der man feiern sollte, muss Jenni von diesem Kerl körperlich angegriffen werden."

In Spanien fordern viele einen Rücktritt von Rubiales. Angesichts des wachsenden Drucks vor allem aus der Politik, wird immer unwahrscheinlicher, dass die Affäre für den RFEF-Chef folgenlos bleibt. Viele spanische Medien hatten zuvor gemutmaßt, dass es dazu zumindest am Freitag noch nicht kommen werde. Einhellige Meinung war im vielmehr, dass der Funktionär auf der Generalversammlung "massive Unterstützung" erhalten werde. 

WM-Triumph, ein Jahr nach der Meuterei

Der Kuss von Rubiales hatte am Sonntag einen sportlichen Erfolg überschattet, den noch vor neun Monaten wohl niemand für möglich gehalten hätte, denn Ende September 2022 gab es eigentlich keine Mannschaft mehr, nachdem 15 Spielerinnen sich aus Protest zeitweise aus dem Nationalteam verabschiedet hatten. Als Grund gaben sie ihren "emotionalen und damit gesundheitlichen Zustand“ an, der es ihnen unmöglich mache, an den nächsten Spielen des Nationalteams teilzunehmen, bis "die Lage" korrigiert sei. Hauptgrund war offenbar Trainer Jorge Vilda, der die Privatsphäre der Spielerinnen nicht achtete, schlechte trainierte, die Reservistinnen links liegen ließ und insgesamt nicht für ein professionelles Umfeld rund um das Nationalteam sorgte. Es folgte ein öffentlicher Streit mit dem Verband RFEF, der Vilda stützte und den abtrünnigen Spielerinnen drohte.

Spaniens Fußballerinnen jubeln mit WM-Pokal
Den WM-Pokal erstmals in den Händen: die spanischen Fußball-FrauenBild: James Gourley/Shutterstock/IMAGO

Grundsätzlich geklärt ist der Zwist nach wie vor nicht - trotzdem hat Spanien nun die Weltmeisterschaft gewonnen. Mit dabei waren auch drei der "Meutererinnen": Mariona Caldentey, Ona Batlle und Aitana Bonmati. Alle drei spielen bei Champions-League-Sieger FC Barcelona, und alle drei standen gegen England im Endspiel in der Startelf. Bonmati wurde nach dem Finale sogar zur besten Spielerin des Turniers gewählt. "Mir fehlen für diesen Moment die Worte, es ist unglaublich“, sagte sie der BBC. "Ich bin so stolz, weil wir ein großartiges Turnier gespielt haben. Wir haben gelitten, aber es hat uns auch Spaß gemacht. Wir haben es verdient."

Zerrissene Mannschaft - auch im Jubel

Augenfällig war allerdings, dass nach wie vor ein Riss durch das Team geht und der Erflog bestehende Unstimmigkeiten allenfalls übertüncht. Während die Spielerinnen auf dem Platz eine Jubeltraube in Rot bildeten, hüpfte – davon getrennt - eine zweite Menge euphorischer Menschen vor der Bank auf und ab: Das Trainerteam um Vilda feierte separat, erst später gesellte sich Vilda auf dem Platz zu den Spielerinnen. Unter anderem zu Olga Carmona, der Siegtorschützin, die erst nach dem Abpfiff erfuhr, dass ihr Vater zu Hause in Spanien nach langer Krankheit bereits am Freitag vor dem Finale verstorben war.

"Ich weiß, dass du mir die Kraft gegeben hast, etwas Einzigartiges zu erreichen. Ich weiß, dass du mich heute Abend beobachtet hast und stolz auf mich bist", schrieb sie später auf X.

Weltmeister bei Frauen und Männern

Dennoch überwog die Freude. Spanien, das in den vergangenen Jahren bereits eine beeindruckende Sammlung von internationalen Titeln im Juniorinnen-Bereich sammeln konnten, ist nun nach Deutschland die erste Nation weltweit, die sowohl mit dem Frauen-, als auch mit dem Männer-Nationalteam Weltmeister geworden ist.

"Es war so hart, wir haben versucht, uns das vorzustellen, aber sowas kann man sich nicht vorstellen. Und jetzt sind wir Weltmeister. Es ist unglaublich", sagte Hermoso im ZDF überglücklich, mit Tränen in den Augen. Da wusste sie noch nicht, dass ein weiterer Zwischenfall, an dem sie unfreiwillig beteiligt sein sollte, für große Diskussionen abseits des sportlichen Erfolgs führen würde und die Tage und Wochen nach der WM wohl beherrschen wird.

Der Artikel wurde nach der Entschuldigung von Luis Rubiales sowie nach der Einberufung der außerordentlichen Generalversammlung des RFEF, der Reaktion durch Ministerpräsident Sanchez und der Stellungnahme von Jenni Hermoso aktualisiert.