Fußball trifft Politik
7. Juli 2016Das Stadion als politische Bühne: In dieser Disziplin kann François Hollande von Angela Merkel einiges lernen. Die Bundeskanzlerin setzt den Fußball immer wieder ein, um Bevölkerungsgruppen anzusprechen, die sie sonst weniger erreicht: durch Schnappschüsse in der Kabine oder dosierte Auftritte bei Urkundenvergaben.
Dass Merkel nun noch kein EM-Spiel des DFB-Teams im Stadion gesehen hat und aus Termingründen auch nicht zum Halbfinale nach Marseille reisen wird, ist deutschen Medien höchstens eine Meldung wert. Es hat sich die Wahrnehmung festgesetzt, dass Merkel dem Massenphänomen Fußball zugeneigt ist. Wie viel sie tatsächlich davon versteht, ist nicht bekannt.
Anders als Merkel muss François Hollande um seine Wiederwahl 2017 fürchten. Daher nutzt der französische Präsident das Turnier, um sich als volksnaher Patriot dazustellen, mit Fanschal auf der Tribüne oder durch Auftritte mit verdienten Nationalspielen. Gern verbreiten seine Mitarbeiter, dass Hollande in seiner Heimatstadt Rouen ein guter Jugendspieler gewesen ist. Es kursieren unzählige Fotos von ihm als alternder Hobbykicker.
Botschaften für den Gemeinsinn
Mehrfach hat Hollande die Sportzeitung L'Équipe für Interviews besucht. Seit 2014 lässt er sich in Sportthemen von Nathalie Iannetta beraten. Die langjährige Fernsehjournalistin hat Kampagnen entwickelt, um aus der EM politisches Kapital zu schlagen. Eine ihrer öffentlichkeitswirksamen TV-Botschaften an die Équipe Tricolore: "Lasst uns träumen. Wir brauchen es."
Frankreich blickt auf bedrückende Monate zurück: auf Terroranschläge, Wirtschaftsflaute, Streiks. Ganz zu schweigen von internationalen Konflikten. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit zielt Iannetta vor allem auf den Gemeinsinn der Gesellschaft, auf Multikulturalität. "La France comme on l'aime" - Frankreich, wie wir es lieben.
In der EM-Vorbereitung haben sich die Berater Hollandes intensiv mit der WM 2006 beschäftigt, die den internationalen Blick auf den Gastgeber Deutschland positiv verändert hat. Hollande erhofft sich kurzfristig steigende Umfragewerte, sagt der Soziologe Albrecht Sonntag, der sich seit zwei Jahrzehnten auch mit gesellschaftlichen Fragen des Fußballs beschäftigt: "Aber im Wahlkampf 2017 wird die EM keine Rolle mehr spielen."
Hitlergruß mitten in Paris
Wenn Frankreich nun auf Deutschland trifft, dann ist das auch ein Abbild politischer Verhältnisse. Mit Tradition, mit Auf und Ab. 1935 präsentierte die DFB-Auswahl bei einem Freundschaftsspiel im Stade de Colombes das "neue Deutschland", mit Hitlergruß während der Hymne, mitten in Paris.
Im selben Stadion wollten sich beide Nationen 1952 wieder näher kommen. Der französische Außenminister Robert Schuman führte etliche Hintergrundgespräche. Der Gastgeber verzichtete auf das Abspielen der Hymnen, um keine traurigen Erinnerungen zu wecken.
Neun Länderspiele trugen dann zur Festigung der deutsch-französischen Beziehungen bei - das zehnte stellte sie vor Probleme. Im WM-Halbfinale 1982 in Sevilla trat der deutsche Torwart Toni Schumacher den französischen Verteidiger Patrick Battiston brutal nieder. Battiston erlitt eine Gehirnerschütterung, das deutsche Team siegte im Elfmeterschießen.
Die überwunden geglaubte Abneigung gegen die "aggressiven Deutschen" wurde in Frankreich wieder selbstbewusst geäußert, mit Verweisen auf beide Weltkriege. Nach anschwellenden Spannungen schickte Bundeskanzler Helmut Schmidt dem französischen Präsidenten François Mitterrand ein Schlichtungsschreiben. Bis heute ist Sevilla für viele Franzosen ein Reizwort.
Neue Netzwerke für Bildungsarbeit
Aus anderen Gründen musste Kanzler Helmut Kohl 1998 diplomatische Worte an Mitterrands Nachfolger Jacques Chirac richten: Deutsche Hooligans hatten während der WM in Lens den französischen Polizisten Daniel Nivel fast zu Tode geprügelt.
Chirac, der sich - aus der Bildungselite kommend - wenig für Fußball interessierte, profitierte enorm vom Triumph des Gastgebers. Er ging auf Südamerika-Tour, um neue Investoren zu gewinnen, mit Großunternehmern und dem Fußballidol Michel Platini. Auch in der französischen Außenpolitik wurde Fußball zur Auflockerung genutzt, erzählt Albrecht Sonntag, Kolumnist von Le Monde. So bewandert wie Kanzler Gerhard Schröder war auf diesem Feld jedoch niemand.
Die Hauptarbeit der Fußballbeziehungen findet ohnehin auf Fachebene statt, etwa im Deutsch-Französischen Jugendwerk, gegründet 1963 im Rahmen des Élysée-Vertrages. Das DFJW hat zur EM viele Programme angestoßen und vertieft. Sprachaustausch, Kreativwettbewerbe, Städtepartnerschaften. Ähnlich arbeiteten andere Kultureinrichtungen, das Goethe-Insitut oder das Institut français.
"Durch die EM haben wir ein neues Publikum angesprochen", sagt Barbara Honrath, Leiterin des Goethe-Instituts in Paris. "Dieses Netzwerk wird neue Projekte entwickeln." Für diese Pläne müsste Angela Merkel auch nicht zwingend auf der Tribüne sitzen.