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Fußballgewalt als Spiegelbild der Gesellschaft

Tobias Käufer
11. Mai 2023

Tödliche Ausschreitungen beim Lokalderby in Medellin zwischen Atletico Nacional und Independiente heizen Diskussionen an. Die beteiligten Klubs aus der kolumbianischen Metropole fordern eine härtere Gangart der Politik.

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Die kolumbianische Polizei hält eine Tribüne mit Anhängern von Atletico Nacional davor zurück, auf den Platz zu stürmem
Die kolumbianische Polizei hält Anhänger von Atletico Nacional davor zurück, den Platz zu stürmenBild: Cristian Bayona/ZUMAPRESS/picture alliance

Es ist der Klassiker, der die kolumbianische Millionenstadt Medellin seit Jahrzehnten elektrisiert: Im Derby zwischen Atletico Nacional und Independiente schlagen die Emotionen hoch. Zu hoch wie Ende April, als es im Stadion und außerhalb der Arena zu Gewalt- und Jagdszenen kommt. Die rivalisierenden Fanlager gingen wie so oft in den letzten Jahren aufeinander los. Am Ende eines blutigen Tages stehen zwei Tote und mindestens 14 Verletzte in der Statistik der Polizei - und Klubs, die mit der Situation überfordert zu sein scheinen. Und das nicht nur in Medellin, sondern auch in anderen lateinamerikanischen Städten. Einige gewaltbereite Fangruppierungen in den Fußballstädten des Kontinents haben so viel Macht, dass sie die Vereine unter Druck setzen können.

Debatte über Gewalt im Fußball

Inzwischen ist in Kolumbien eine Debatte darüber entbrannt, wie die Gewalt in und außerhalb der Stadien in den Griff zu bekommen ist. Weder Medellin, noch Kolumbien haben dieses Problem exklusiv, doch aus historischen Gründen schaut der Rest der Welt genau hin, wenn in der Millionenmetropole in der Provinz Antioquia wieder einmal Blut im und um das Stadion herum fließt.

Ein überlebensgroßes Foto erinnert auf dem Klubgelände von Atletico Nacional an den 1994 erschossenen Andres Escobar
Ein überlebensgroßes Foto erinnert auf dem Klubgelände von Atletico Nacional an den erschossenen Andres EscobarBild: Tobias Käufer/DW

Das hängt auch mit der Ermordung von Nationalspieler Andres Escobar zusammen, der 1994 im kolumbianischen Trikot im Anschluss an ein Eigentor bei der WM im Spiel gegen die USA nach der Rückkehr in seine Heimatstadt erschossen wurde. Seitdem klebt der Makel an Medellin, eine der gefährlichsten Fußballstädte der Welt zu sein. Dabei steht die Stadt eigentlich - wegen ihres Klimas - für den "ewigen Frühling" und für einen dynamischen Aufstieg zu einem der spannendsten Wirtschaftsstandorte Südamerikas.

Austragungsort gesellschaftlicher Probleme

"Ich denke, es ist ein Problem der Gesellschaft, das sich auf den Fußball überträgt, denn die Gesellschaft durchdringt in gewisser Weise den Fußball", sagt Klubpräsident Mauricio Navarro von Atletico Nacional, einem der populärsten Klubs in ganz Lateinamerika. Navarro zieht im Gespräch mit der DW einen Vergleich mit den politischen Protesten in den vergangenen Jahren, als die sogenannte "Primera Linea" auf den Straßen des Landes unterwegs war. "Man hat damals eine ähnliche Gewalt, die wir im Fußball gesehen haben, auch auf der Straße erlebt."

Klubchef Mauricio Navarro (l.) und Vizepräsident Benjamin Romero von Atletico Nacional im Porträt
Klubchef Mauricio Navarro (l.) und Vizepräsident Benjamin Romero von Atletico NacionalBild: Tobias Käufer/Dw

Klub-Vizepräsident Benjamin Romero spricht von einer Intoleranz, die dazu geführt habe, dass das Leben nur noch wenig Wert habe. "Auf der Straße wird jemand umgebracht, weil sein Handy gestohlen wird. Wenn wir das auf den Fußball übertragen, wird auf der Straße jemand umgebracht, weil er das Trikot eines gegnerischen Teams trägt. Das ist eine völlig absurde Situation."

Vorhandene Gesetze auch anwenden

Sowohl Atletico Nacional als auch Independiente fordern von der Politik und der Regierung eine härtere Gangart im Umgang mit den Gewalttätern. Es sei notwendig, dass die Regierung die Gesetze durchsetze und dass die Urteile vollstreckt werden. "Damit es wirklich eine Konsequenz für gewalttätige Handlungen in diesen Szenarien gibt, nicht nur im Fußball, sondern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens", sagt Paula Andrea Gonzalez, Sprecherin von Independiente, im Gespräch mit der DW.

Sprecherin Paula Andrea Gonzalez von Independiente Medellin im Porträt
Sprecherin Paula Andrea Gonzalez von Independiente MedellinBild: Tobias Käufer/DW

Es könne nicht sein, dass einige Wenige das Gesamterlebnis von überwiegend friedlichen Fans zerstörten. "Der einzige Weg, dem ein Ende zu setzen ist das Gefängnis, das Gefängnis für Kriminelle und für diejenigen, die im Fußball gewalttätig sind“, fordert Atletico-Vizepräsident Romero.

Vereine stehen auch in der Pflicht

Beide Vereine verweisen auf ihre sozialen Aktivitäten, auf die Dialoge, die mit den Fanklubs und den Ultras geführt werden. Doch es gebe auch noch Verbesserungspotential, räumt Paula Andrea Gonzalez, mit Blick auf das Verhalten der Spieler auf dem Platz ein: "Der Verein muss immer noch eine Lücke schließen zwischen dem, was in der Familie, in der Erziehung passiert, und der Ausbildung der Fußballer in Bezug auf die Persönlichkeit." Es sei wichtig, während der 90 Minuten eines Spiels, inmitten der Emotionen keine Provokationen zuzulassen. "Das ist ein Thema, an dem wir kulturell mit den Teams und mit den Spielern arbeiten können."

Fans von Atletico Nacional präsentieren im Stadion  ihre Choreografie
Friedlich feiernde Fans wünscht man sich nicht nur - wie hier - bei Atletico NacionalBild: Tobias Käufer/DW

Die Klubs selbst haben nach eigenen Aussagen ein enormes Interesse daran, dass sich die Situation verbessere, denn die Gewalt würde sich im und um das Stadion herum wirtschaftlich negativ auswirken: "Es gibt eine Angst ins Stadion zu gehen, zudem sind unsere Stadien nicht so komfortabel wie die in den USA oder in Europa", sagt Navarro. "Wir müssen wieder dahin kommen, wie es vor dreißig Jahren oder früher war“, sagt Klubvize Romero. Damals habe es noch keine gewaltbereiten Fangruppierungen gegeben. Es seien vor allem Familien in die Stadien gekommen und es habe eine deutlich friedlichere und harmonischere Atmosphäre geherrscht. Davon ist der Fußball, nicht nur in Kolumbien derzeit aber ein gutes Stück entfernt.