Gasangriff in Syrien
5. November 2015Bei Kämpfen zwischen der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" (IS) und Rebellen in Syrien ist offenbar Senfgas eingesetzt worden. Die Chemiewaffe sei am 21. August bei Gefechten in Marea in der nördlichen Provinz Aleppo verwendet worden, verlautete aus Kreisen der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW). Es handelt sich demnach um den ersten bestätigten Einsatz von Senfgas in dem Bürgerkriegsland.
"Wir haben die Fakten bestätigt, aber wir haben nicht die Verantwortlichen ermittelt", sagte ein Vertreter der OPCW der Nachrichtenagentur AFP. Ein vertraulicher Bericht wurde an die OPCW-Mitgliedstaten übermittelt, die Ende November in Den Haag zusammenkommen wollen.
Die Nachrichtenagentur Reuters erhielt Einsicht in die Zusammenfassung des Berichts. Darin hieß es, "mit äußerster Sicherheit" seien mindestens zwei Menschen Senfgas ausgesetzt gewesen. Es sei zudem "sehr wahrscheinlich", dass ein Baby an den Folgen gestorben sei. In dem Bericht vom 29. Oktober wird der IS nicht erwähnt und auch keine Schuld zugewiesen. Aus Diplomatenkreisen erfuhr Reuters jedoch, dass es sich um ein Gefecht zwischen dem IS und anderen Rebellen handelte.
Woher kommt das Gas?
Eigentlich sollte die syrische Regierung ihre kompletten C-Waffen-Bestände vor 18 Monaten zur Vernichtung ausgehändigt haben. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad stimmte der Zerstörung im September 2013 zu, nachdem Hunderte Menschen bei einem Saringas-Angriff nahe Damaskus ums Leben kamen. Die letzte gemeldete Fuhre wurde im Juni 2014 übertragen. Daher werfe der Bericht die Frage auf, woher das Senfgas stamme, sagte ein Insider. Entweder habe der IS "die Fähigkeit erlangt, es selbst herzustellen, oder es könnte aus einem heimlichen Lager stammen, das der IS erobert hat", sagte er. "Beide Möglichkeiten sind besorgniserregend."
Der Bericht ist ein weiteres Indiz dafür, dass der IS im Irak und in Syrien über Chemiewaffen verfügt und sie auch einsetzt. Kurdische Behörden hatten vor einigen Tagen erklärt, dass die Islamisten im August im Nordirak Senfgas-Granaten gegen Peschmerga-Milizen eingesetzt hatten. Bluttests bei etwa 35 kurdischen Kämpfen hätten dies belegt. Aus Diplomatenkreisen verlautete, ein OPCW-Team sei in den Irak gereist, um die Vorwürfe zu prüfen. Mit einem Ergebnis sei bis Monatsende zu rechnen.
Aktivisten hatten Ende August berichtet, dass beim Einsatz von Chemiewaffen in der Rebellenhochburg Marea zahlreiche Menschen verletzt worden seien. Sie machten den IS für den Angriff verantwortlich, der seit Monaten versucht, die Stadt einzunehmen. Mehrere Hilfsorganisationen berichteten ebenfalls von einem Angriff mit Chemiewaffen. Der Einsatz von Senfgas ist seit 1993 international verboten.
Der UN-Sicherheitsrat hatte Anfang August beschlossen, dass ein Team aus Experten der Vereinten Nationen sowie der OPCW die Verantwortlichen für Angriffe mit Chlorgas und anderen giftigen Chemikalien in Syrien ausfindig machen soll. Die syrische Opposition und der Westen werfen den Truppen von Syriens Staatschef Assad vor, Fassbomben mit Chlorgas von Hubschraubern abzuwerfen. Syriens Führung weist den Vorwurf zurück.
stu/chr (afp, dpa)