Gastbeitrag: Griechenlands Schulterschluss mit Saudi-Arabien
25. Juli 2022Wenn Mohammed bin Salman an diesem Dienstag (26.07.2022) nach Athen kommt, ist es das erste Mal nach über vier Jahren, dass der saudische Kronprinz in offizieller Mission ein europäisches Land betritt. Hinter ihm liegt eine Phase der diplomatischen Ächtung. Mit dem mutmaßlichen Anstifter des Mordes an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi wollten westliche Regierungschefs nicht gesehen werden. Doch dann brach kein Geringerer als der US-Präsident Joe Biden mit seinem kürzlichen Besuch in Saudi-Arabien das Eis. Zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan anlässlich des Besuches bin Salmans in Ankara die juristische Aufarbeitung des Gewaltverbrechens von 2018 zu den Akten legen lassen.
Der Vorgang zeigt, dass Saudi-Arabien als Gebieter über immense Erdölreserven und als Führungsmacht der arabischen Welt trotz schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen als absolutes Schwergewicht gilt.
Ende der Isolation
Es ist kein Zufall, dass die erste Reise des Kronprinzen in ein Land der Europäischen Union nach der mehrjährigen diplomatischen Zwangspause ausgerechnet nach Athen führt. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis habe zusammen mit dem zypriotischen Präsidenten Nikos Anastassiadis "eine besondere Rolle" dabei gespielt, die politisch-diplomatische Isolation des saudischen Thronfolgers zu beenden, schreibt das Nahost-Nachrichtenportal Al Monitor in einer Analyse.
MBS, wie bin Salman auch genannt wird, reist mit großem Gefolge und einer umfangreichen Agenda an den Fuß der Akropolis. Auffällig ist, dass in den offiziellen Verlautbarungen beider Seiten die Vertiefung der militärischen Kooperation an erster Stelle steht. In griechischen Medien heißt es, dass Athen und Riad ein Abkommen über die Ausweitung der militärischen Zusammenarbeit unterzeichnen werden.
Militärische Kooperation
Auf beiden Seiten bestehen konkrete Bedrohungsvorstellungen. Während die saudische Außen- und Verteidigungspolitik getrieben ist von der Sorge eines wachsenden Einflusses des Erzfeindes Iran, sind die Türkei und das revisionistische Streben Ankaras das alles beherrschende Thema der griechischen Politik. Das zentrale Motiv hinter der Vertiefung der Beziehungen zwischen Griechenland und Saudi-Arabien liegt in der gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen Bedrohungsvorstellungen - und, damit verbunden, der Bereitschaft, dieses in Wort und Tat zu untermauern.
Im Frühjahr 2021, die letzte schwere Krise zwischen Griechenland und der Türkei war gerade überwunden, nahmen Kampfflugzeuge aus dem Wüstenkönigreich an Manövern der griechischen Luftwaffe über der Ägäis teil. Zuvor hatten bereits die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), ein enger Verbündeter Riads, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Athen und Ankara über die maritimen Hoheitsgrenzen, zeitweise F16-Kampfflugzeuge auf die Insel Kreta entsandt. Auch die Emiratis nehmen - sehr zum Unmut der Türkei, gegen die die Manöver gerichtet sind - an den griechischen Kriegsübungen teil.
"The sky is the limit"
Gleichsam als Gegenleistung für die militärpolitische Kooperation der Saudis liehen die Griechen wenig später ein hochmodernes Raketenabwehrsystem vom Typ Patriot samt Bedienmannschaft an Saudi-Arabien aus. Huthi-Rebellen griffen wiederholt Ziele in Saudi-Arabien mit Raketen an. Die von Athen bereitgestellten Raketen gelten als ein effektives Abfanginstrument.
Neben militärischen Fragen wird es bei den bilateralen Beratungen in Athen auch um die Ausweitung der wirtschaftlichen und der technologischen Zusammenarbeit gehen. "The sky is the limit" - die Möglichkeiten seien grenzenlos, schwärmte der saudische Investitionsminister Khalid bin Abdulaziz Al Falih Ende Mai am Rande einer Wirtschaftskonferenz in Athen und verwies dabei auf die günstige geostrategische Lage Griechenlands an der Schnittstelle zwischen Europa und dem Nahen Osten. Derlei Hinweise sind Musik in den Ohren des griechischen Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis. Dieser versäumt keine Gelegenheit, sein Land als strategischen Knotenpunkt für Europas Energiezufuhr der Zukunft anzupreisen. Doch Riad und Athen werden nicht nur über das Mega-Thema Energie beraten. Wie es heißt, wollen die beiden Länder gemeinsam ein Kabel auf dem Grund des Mittelmeers verlegen, das den Datenverkehr zwischen Europa und der arabischen Welt optimieren soll.
Dr. Ronald Meinardus leitet das Mittelmeer-Programm des Athener Think Tanks ELIAMEP.