1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Algerische Szenarien

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
2. März 2019

Algeriens Präsident Bouteflika soll im April nochmal wiedergewählt werden. Doch der Kampf um die Nachfolge hat längst begonnen, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

https://p.dw.com/p/3EJHC
Algerien Bouteflika Amtseid
Schon zur Vereidigung im April 2014 wurde Abdelaziz Bouteflika im Rollstuhl gefahrenBild: Reuters

Die Proteste in Algerien und die Reaktionen darauf zeigen, dass der Übergang in die Zeit nach dem Langzeitherrscher Abdelaziz Bouteflika von Erschütterungen begleitet sein wird. Denn der Widerstand gegen eine fünfte Amtszeit Bouteflikas, der im Rollstuhl sitzt und kaum ansprechbar ist, nimmt zu. Ministerpräsident Ahmad Ouyahia verglich nun drohend die Proteste mit den Anfängen des Bürgerkriegs in Syrien. Seine Regierung verbot die Berichterstattung über die Proteste.

Offenbar bröckelt die Unterstützung innerhalb des Regimes für Bouteflika, der 1999 als Wunschkandidat des Militärs erstmals gewählt worden war. Am Mittwoch erst wurde er erneut zur medizinischen Behandlung nach Genf geflogen. Arabische Karikaturisten zeichnen ihn, der zum Symbol der verkrusteten Strukturen Algeriens geworden ist, mit leblosem Gesichtsausdruck aufrecht in einem Sarg sitzend.

Schon vor fünf Jahren nur ein Kompromisskandidat

Bereits bei seiner vorläufig letzten Bestätigung als Präsident vor fünf Jahren hatten sich der Geheimdienst DRS und Teile der Armee geweigert, ihn unterstützen und hatten für einen Neuanfang plädiert. Da sich die Armee, der Sicherheitsapparat und die staatsnahen Unternehmen, die die Erlöse aus dem Gasexport unter sich aufteilen, nicht auf einen Nachfolger geeint hatten, wurde der bereits von einem Schlaganfall gezeichnete Bouteflika noch einmal ins Amt geschoben.

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Helmut Fricke

Insbesondere die Generäle bewegen den Rollstuhl Bouteflikas. In der Armee scheinen sich die arabische Nationalisten, die Anhänger einer engen Bindung an Frankreich und jene die Waage zu halten, die Bouteflika als seine Leute in Stellung gebracht hat. Faktisch übt jedoch Said Bouteflika, der auch als Patron der Oligarchen gilt, für seinen zwanzig Jahre älteren Bruder die Macht aus. Offenbar strebt er nun dessen Nachfolge an.

Die Präsidentenwahl soll am 18. April stattfinden. Gerade unter der Jugend - mehr als 40 Prozent der 41 Millionen Algerier sind jünger als 25 Jahre und keinen anderen Präsidenten als Bouteflika erlebt haben - nimmt die Unzufriedenheit zu. Sie wollen einen Wandel. Ein Selbstläufer wird der Kandidat des Establishments daher nicht, die Proteste der vergangenen Tage könnten erst ein Anfang gewesen sein.

Greift das Militär nach der Macht?

Als ein mögliches Szenario gilt, dass das Militär die Proteste, sollten sie aus dem Ruder laufen, beendet und - wie in Ägypten zwei Jahre nach dem Sturz Mubaraks - direkt die Macht übernimmt. Ein anderes Szenario ist, dass, ebenfalls wie in Ägypten nach Mubarak, die beiden Kandidaten des alten Establishments und der starken, überwiegend gemäßigten Islamisten annähernd gleich viel Wähler mobilisieren werden. Dann wird entscheidend sein, ob die beiden großen Lager aus dem tunesischen Modell gelernt haben und sich miteinander arrangieren, oder ob sie eher dem Weg Ägyptens folgen und das Militär sich mit Gewalt durchsetzt.