Ein unregierbarer Staat
Führende Politiker im Westbalkanstaat Bosnien und Herzegowina und im benachbarten Kroatien müssen zur Kenntnis nehmen, dass ihre national-chauvinistische Politik inzwischen vom Volk abgelehnt wird. So hat die Partei "Kroatische demokratische Gemeinschaft" HDZ bei den Wahlen in Bosnien und Herzegowina 2018 eine saftige Niederlage erlitten: Nicht etwa ihr Anführer Dragan Covic wurde in das dreiköpfige Präsidium des Balkanstaats gewählt, sondern der gemäßigte Demokrat Zeljko Komsic.
Die nächste Ohrfeige musste die HDZ erst zu Jahresbeginn im benachbarten Kroatien einstecken: Die bisherige Präsidentin des jüngsten EU-Mitgliedslandes, Kolinda Grabar-Kitarovic, die wie Covic für einen nationalistisch-populistischen Kurs steht, verlor gegen den Sozialdemokraten Zoran Milanovic.
Verfassung war Teil des Abkommens von Dayton
Trotzdem merkt die HDZ offensichtlich weder in Kroatien noch in Bosnien, dass ihre chauvinistisch-reaktionäre Politik in beiden Ländern von Gestern ist und vom Volk nicht mehr geschätzt wird. Dabei müsste eigentlich jedem auf dem Balkan aufgefallen sein, dass die Niederlagen der kroatischen Nationalisten bereits politische Folgen haben.
So sprach Milanovic unmittelbar nach seinem Wahlsieg mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der als großer Unterstützer Bosniens gilt. Angeblich ging es unter anderem um eine Reform der Friedensabkommens von Dayton, das vor 25 Jahren den Krieg um das Balkanland beendete.
Teil des Abkommens ist die gegenwärtige Verfassung Bosniens, die damals unter dem Druck des US-Sondergesandten Richard Holbrookes in Dayton, USA, geschrieben wurde. Die Dayton-Verfassung teilt Land in zwei Entitäten, die Republika Srpska, wo vorwiegend orthodoxe Serben leben, sowie die Föderation Bosnien-Herzegowina, wo muslimische Bosniaken und katholische Kroaten die Mehrheit stellen.
Dayton hat Bosnien-Herzegowina unregierbar gemacht
Diese sehr komplizierte Staatskonstruktion mit mehreren Regierungsebenen sollte die Interessen der drei größten Volksgruppen im Land sichern. De facto aber hat "Dayton" aus Bosnien einen unregierbaren Staat gemacht. Holbrooke hat selbst immer wieder betont, das Dayton-Abkommen sei nicht gemacht worden, um die schlechte Lage in Bosnien unverändert zu belassen - sondern um es möglich zu machen, nach und nach Fortschritte einzuleiten und das Land langfristig in die EU zu führen.
Die Legitimität der Dayton-Verfassung wird heute vor allem aus drei Gründen in Frage gestellt: Sie ist nicht demokratisch zustande gekommen und enthält viele völkerrechtswidrige Bestimmungen - so dürfen nur Mitglieder der drei großen Volksgruppen für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Die zahlreichen Minderheiten (zum Beispiel Roma oder Juden) sind von der Kandidatur ausgeschlossen. Vor allem aber muss Dayton aufgrund seiner offensichtlichen Dysfunktionalität geändert werden.
Das aber erwies sich bisher als Mission impossible. Seit 2006 hat es kein Änderungsvorschlag bis ins Parlament geschafft, weil sich die Vertreter der drei größten Volksgruppen nicht einigen können. Heute rufen viele Bosnierinnen und Bosnier vor allem in der Föderation nach internationaler Hilfe für ein "Dayton 2".
Die Verfassung Bosniens ist eine innere Angelegenheit
Erwähnt man diesen Begriff dagegen in der Republika Srpska, stößt man vor allem auf Ablehnung. Die Führer der bosnischen Serben haben Angst vor "Dayton 2" - denn sie verdanken die Anerkennung ihrer im Krieg durch die Vertreibung der kroatischen und muslimischen Bosnier entstandene Entität dem Dayton-Abkommen. Und sie wollen auf keinen Fall riskieren, dass deren Existenz in Frage gestellt wird.
Auch Aleksandar Vucic, der Präsident des benachbarten Serbiens betont, dass "es ohne serbische Akzeptanz keine Änderung des Dayton-Abkommens geben wird". Dass die Verfassung eines Landes dessen innere Angelegenheit ist, interessiert ihn nicht; stattdessen beruft er sich darauf, dass Serbien Dayton 1995 als Garantiemacht unterschrieben hat.
Darf Bosnien niemals seine Verfassung ändern, ohne die nicht eben freundlich gesonnenen Nachbarländer Serbien und Kroatien zu fragen? Natürlich darf das Land das! Und der Weg dahin muss endlich frei gemacht werden. Dazu bedarf es der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, vor allem der EU.
Reformen sind eine Frage des politischen Willens
Die Entwicklung Bosnien-Herzegowinas wird in Brüssel genau verfolgt. Im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichte der angesehene deutsche Jurist Reinhard Priebe im Auftrag der EU einen Bericht zum Stand des Rechtsstaats in dem Balkanland. Darin wird die Notwendigkeit betont, die bosnischen Justizbehörden zu reformieren, die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dort zu implementieren und den Rechtsstaat insgesamt zu kräftigen. Doch all das funktioniert nur, wenn es eine Verfassungsreform gibt. Und dazu braucht es eine sehr gut vorbereitete internationale Konferenz.
Der neue kroatische Präsident Milanovic meint, das sei unmöglich - für ein "Dayton 2" müsste man alle Parteien des Bosnienkrieges wieder zusammenbringen, was unmöglich sei. Natürlich ist es möglich. Was es dazu braucht, ist allein politischer Wille.