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PolitikEuropa

Assanges Freilassung ist überfällig

Rebecca Vincent KOMMENTARBILD PROVISORISCH
Rebecca Vincent
27. Oktober 2021

In London steht erneut die Entscheidung an, ob der WikiLeaks-Gründer an die USA ausgeliefert wird. Wem an der Medienfreiheit gelegen ist, für den kann es nur ein Urteil geben, meint Rebecca Vincent von ROG.

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Protestplakat mit einem Porträt von Julian Assange, der die Faust reckt, sowie der Aufschrift "Free Assange"
Julian Assange ist weiterhin im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiertBild: Frank Augstein/AP Photo/picture alliance

Der Mittwoch markiert den vielleicht wichtigsten Moment im Verfahren gegen den WikiLeaks-Herausgeber Julian Assange. Vom 27. bis 28. Oktober wird der High Court in London über die Berufung der US-Regierung gegen die Entscheidung vom Januar verhandeln, mit der die Auslieferung von Assange an die USA abgelehnt wurde. Dort würde er wegen 18 Anklagen vor Gericht stehen, die ihn für den Rest seines Lebens in ein Hochsicherheitsgefängnis bringen könnten - und das alles, weil er Informationen von öffentlichem Interesse publik gemacht hat.

Die US-Regierung kann aus fünf spezifischen Gründen Berufung einlegen, nachdem der High Court in einer vorläufigen Anhörung am 11. August beschlossen hat, den Umfang der Berufung zu erweitern. Diese umfasst nun auch den Versuch der US-Regierung, einen Schlüsselzeugen zu diskreditieren, der über den geistigen Gesundheitszustand von Assange ausgesagt hat.

Im Visier wegen Unterstützung von Journalismus

Meine Organisation, Reporter ohne Grenzen (ROG), begrüßte die Entscheidung gegen die Auslieferung, kritisierte aber den Inhalt des Urteils, das sich nur auf psychische Gründe stützt. Wir teilen die ernsten Bedenken über Assanges psychische Gesundheit und haben deshalb erklärt, dass seine Auslieferung an die USA möglicherweise eine Frage von Leben oder Tod ist.

Das Gericht hat es jedoch versäumt, eine eindeutige Position zugunsten des Journalismus und der Pressefreiheit einzunehmen. Das, so fürchten wir, wird ähnliche Verfolgungen von Verlegern, Journalisten und ihren Quellen auch künftig möglich machen.

Wir sind der festen Überzeugung, dass Assange wegen seiner Unterstützung des Journalismus ins Visier genommen wurde. Denn die Veröffentlichung tausender geleakter Verschlusssachen durch WikiLeaks - die Grundlage der US-Anklagen - hatte eine umfassende Berichterstattung durch Medien in aller Welt zur Folge, mit der Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt wurden.

Wir fordern weiterhin, dass die Anklagen gegen Assange fallen gelassen werden, dass er sofort freigelassen und keinesfalls an die USA ausgeliefert wird. Die Auslieferung und strafrechtliche Verfolgung von Assange hätte schwerwiegende und lang anhaltende Folgen für den Journalismus sowie die Pressefreiheit auf der ganzen Welt; die Auswirkungen können gar nicht überschätzt werden.

Beschränkungen für Prozessbeobachter

ROG ist die einzige Nichtregierungsorganisation (NGO), die das gesamte Auslieferungsverfahren bis heute verfolgt hat, was aufgrund der vom Gericht verhängten strengen Beschränkungen für Prozessbeobachter nicht einfach war.

Wir hatten gehofft, erneut im Gerichtssaal anwesend sein zu können, um die historische Berufungsverhandlung zur Auslieferung zu verfolgen, das Verfahren zu analysieren und darüber zu berichten. Doch am Morgen der Anhörung kämpften wir immer noch um den Zugang zum Gericht. Das ist leider die Normalität in einem Fall, in dem, wie ich inzwischen weiß, nichts normal ist.

Während des erstinstanzlichen Verfahrens - das im Februar 2020 eine Woche und im September 2020 volle vier Wochen dauerte und Anfang Januar entschieden wurde - lehnte es der Bezirksrichter ab, professionellen NGO-Beobachtern eine andere Rolle als der allgemeinen Öffentlichkeit zuzuerkennen.

Wir mussten um sehr wenige Plätze auf der Besuchertribüne kämpfen, was dazu führte, dass wir jeden Morgen mehrere Stunden anstehen mussten, um überhaupt in den Gerichtssaal zu gelangen. Dies und eine Reihe anderer lächerlicher Einschränkungen beeinträchtigte unsere Möglichkeiten, die Verhandlung zu verfolgen - von zusätzlichen Sitzen, die für mysteriöse VIPs zurückgehalten wurden, die nie auftauchten, bis hin zu einer kaputten, brummenden Beleuchtung, die es schwer machte, die Verhandlung überhaupt zu hören.

Probleme nur in Großbritannien

Trotz der COVID-Beschränkungen wurde ich in Malta zur Beobachtung der Verfahren im Zusammenhang mit der Ermordung von Daphne Caruana Galizia und in der Türkei zur Beobachtung des Mordprozesses gegen den saudischen Kolumnisten Jamal Khashoggi zugelassen. Nirgendwo gab es in diesen Fällen Probleme beim Zugang.

Rebecca Vincent bei einer Demonstration für Julian Assange am Mikrofon
Rebecca Vincent von Reporter ohne GrenzenBild: REPORTERS WITHOUT BORDERS

Nur im Vereinigten Königreich bin ich mit solch weitreichenden und ständig anwachsenden Hindernissen bei der Prozessbeobachtung konfrontiert - eine Erfahrung, die meine ROG-Kollegen aus anderen Ländern teilen, wenn sie hierher kommen.

Diese Zugangsprobleme und die Tatsache, dass das Vereinigte Königreich Assange weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London festhält, ohne dass es dafür einen anderen Grund gibt als die Tatsache, dass die USA in Berufung gehen, schaden dem internationalen Ruf des Vereinigten Königreichs.

Vorbilder für die Pressefreiheit?

Wenn die britische Regierung es ernst meint mit ihrer erklärten Verpflichtung, sich weltweit für die Medienfreiheit einzusetzen, muss sie mit gutem Beispiel vorangehen. In diesem Fall hat sie das eklatant versäumt.

Demonstranten mit Protestschildern vor dem High Court in London
Auch am Mittwoch kamen wieder Demonstranten vor das Gebäude des High Court in LondonBild: Frank Augstein/AP Photo/picture alliance

Die Fortsetzung des Verfahrens gegen Assange ist der US-Regierung ein Dorn im Auge. Und das zu einer Zeit, in der die Regierung Biden aktiv versucht, die USA wieder zu einer internationalen Führungsrolle in Sachen Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu machen.

ROG schloss sich kürzlich einer Koalition von 25 Organisationen für Pressefreiheit, bürgerliche Freiheiten und internationale Menschenrechte an und forderte das US-Justizministerium erneut auf, die Anklage fallen zu lassen und den Fall ein für alle Mal abzuschließen.

Eine Farce

Wir hoffen, dass das Verfahren in dieser Woche das Ende der jahrelangen Verfolgung von Julian Assange bedeutet. Und damit weiterer Schaden für sein Wohlergehen, aber auch für den Journalismus und die Pressefreiheit weltweit verhindert wird.

Solange es aber weitergeht, sendet dieses Verfahren ein deutliches und kontraproduktives Signal an diejenigen, die kritische Berichterstattung in der ganzen Welt zum Schweigen bringen wollen: Dass nämlich die Staaten, die als Vorbilder betrachtet werden, ebenfalls zu solchen Handlungen fähig sind. Es ist überfällig, dieser Farce ein Ende zu setzen.

Rebecca Vincent ist Direktorin für internationale Kampagnen bei Reporter ohne Grenzen, international bekannt unter dem französischen Namen Reporters sans Frontieres (RSF).