Gauck trifft in China richtigen Ton
24. März 2016Eine Armee, die sogar den friedliebenden Bundespräsidenten einfach nur beeindruckt. Joachim Gauck lässt den Blick schweifen über das riesige, überdachte Feld mit den weltbekannten, überlebensgroßen Terrakotta-Soldaten in Xian. Im Vorbeigehen wünscht er einem Restaurator viel Glück bei seiner Arbeit.
Das Weltkulturerbe ist der letzte touristische Höhepunkt seines fünftägigen Staatsbesuchs in der Volksrepublik China. Vor seinem Rückflug nach Berlin kam Gauck in der alten Kaiserstadt auch mit Vertretern der christlichen und muslimischen Minderheiten zusammen. Er besuchte die katholische Franz-von-Assisi-Kathedrale und die Große Moschee in der Millionenstadt.
Der Bischof von Xian, Anthony Dang, spiegelt die Gratwanderung wider, der sich Katholiken in China ausgesetzt sehen. Dang wurde von der amtlichen "Patriotischen Kirche" geweiht und ist zugleich aber auch vom Papst als Bischof anerkannt. Chinas staatlich kontrollierte Kirche lehnt die Autorität des Papstes ab und ernennt ihre eigenen Bischöfe, was immer wieder zu Spannungen führt.
Gauck wirkte zum Ende seines Besuchs gelöst. Kurz vor der Abreise ist er offenbar ganz in China angekommen. Am Anfang der Reise war da vielleicht das Gefühl der Pflichterfüllung. Der Bundespräsident war immerhin mehrfach nach China eingeladen worden, der Gegenbesuch also längst überfällig.
Eisbrecher Kommunismus-Debatte
Doch schon vor dem protokollarischen Höhepunkt von Gaucks Reise, dem Treffen mit Staatspräsident Xi Jingping, war das Eis gebrochen. Der DDR-Bürgerrechtler und Anti-Kommunist Gauck debattierte leidenschaftlich an einer Kommunistenkader-Schmiede in Peking. Da durfte die Presse zwar nicht dabei sein. Aber berichtet wurde von Gesprächen über die Grenzen des Marxismus. Ganz nach dem Geschmack des ehemaligen DDR-Bürgers und Bürgerrechtlers Joachim Gauck. Offenbar wurde sogar herzhaft gescherzt und gelacht.
Damit hatte der Bundespräsident wohl nicht gerechnet. Und auch nicht damit, dass sich Präsident Xi Jingping mehr Zeit für ihn nimmt, als eigentlich vorgesehen. Immerhin hatte Gauck die Themen Zivilgesellschaft und Rechtsstaat deutlich angesprochen.
Unangenehme Themen für den chinesischen KP-Chef, der derzeit in seinem Land die Daumenschrauben spürbar anzieht, die Freiheiten weiter einschränkt, Menschenrechtsaktivisten einsperren lässt. Am nächsten Tag, beim Besuch der verbotenen Stadt, merkt man Gauck schon an, dass er sich wohler fühlt und das touristische Programm genießt.
Er ist allmählich in China angekommen, einer anderen Art von Kommunismus, als der, die er selbst in der DDR kennen- und hassengelernt hatte. Neugier auf dieses für ihn neue Land schwingt wohl auch mit.
Öffentlicher Einsatz für Dissidenten
Das gilt auch für die Gespräche mit Dissidenten, Menschenrechtsanwälten, Schriftstellern.Schon diese Begegnungen sind eine kleine Sensation. Ebenso wie der Mut, konkrete Fälle von schikanierten und inhaftierten Regimekritikern öffentlich anzusprechen und nicht - wie sonst üblich - hinter verschlossenen Türen. Genannt werden 20 Menschenrechtsanwälte, die in Haft sitzen, und die Deutsche Welle- Journalistin Gao Yu.
Die Anschläge von Brüssel am Dienstag werfen einen Schatten auf den Staatsbesuch. Die abendliche Bootsfahrt auf dem Huangpu-Fluss vor der Glitzerkulisse von Shanghai gerät eher zur Trauerfeier, denn zur fröhlichen Ausflugsfahrt. Abwesend hört sich Gauck die Erläuterungen des Reiseführers an Deck des Schiffes an. Von Shanghai aus erklärt er mit versteinerter Miene öffentlich seine tiefe Betroffenheit.
Er trifft den Ton und die Stimmungen. Auch beim für ihn wohl wichtigsten Programmpunkt: Seiner "Freiheitsrede" vor Deutsch-Studenten der renommierten Tongji-Universität in Shanghai. Dort erzählt der Bundespräsident einfach von seinen eigenen Erfahrungen im Sozialismus der DDR und erreicht so die Herzen. Er berichtet, wie 1989 mit dem Fall der Mauer ein ganzes System kollabierte. Da zeige sich eben, sagt er: "Das menschliche Verlangen nach Freiheit bricht sich immer wieder Bahn. Aus diesem Grund können individuelle Freiheitsrechte nicht dauerhaft durch materielle Güter oder sozialen Status ersetzt werden."
Subtile Appelle
Und schon ist wieder der Bezug zu China hergestellt, der Appell deutlich aber subtil genug, um nicht als Affront, als westliche Besserwisserei, aufgefasst zu werden. Und die Studenten verstehen sehr wohl, was der Bundespräsident meint: Ohne Zivilgesellschaft, Pressefreiheit und Demokratie geht es auch langfristig in China nicht. Da macht es schon gar nicht mehr viel, dass die chinesischen Zeitungen und das Fernsehen über diese kritischen Redepassagen wohl nicht berichten werden - die Botschaft ist raus.
Immer und überall sagt der nun 76-jährige Gauck: "Ich komme wieder!" Die Frage ist nur: Als Bundespräsident in einer zweiten Amtszeit oder als Privatier? An der Tongji-Universität fragt ein Professor frei heraus: "Wollen sie noch einmal Bundespräsident werden?" Da kann Gauck nur schmunzeln und sagt: "Das entscheide ich erst in paar Monaten; aber vielleicht würde ich es Ihnen bei einem Glas Bier sagen." So hat ihn auf seiner erfolgreichen China-Visite doch wieder der politische Alltag eingeholt.