Gaza und die Berlinale: Preisverleihung sorgt für Empörung
27. Februar 2024Eigentlich sollte es um die Gewinner der Bären gehen, doch gleich mehrere Filmschaffende nutzten die Berlinale-Gala am Samstagabend (23.02.2024), um einen Waffenstillstand im Gazastreifen zu fordern. Mehrere Filmemacher kritisierten außerdem Israels Vorgehen im Gazastreifen - ohne dabei die Rolle der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas und die Terroranschläge vom 7. Oktober zu erwähnen. Die Hamas sowie weitere militante Palästinensergruppen hatten an dem Tag mehr als 1200 Menschen brutal ermordet und mehr als 240 Menschen - darunter Frauen und Kinder - als Geiseln genommen.
Die einseitigen Äußerungen sorgten insbesondere in deutschen Politikerkreisen für heftige Kritik. Besonders die Rede des US-amerikanischen Filmemachers Ben Russel sorgte für Unmut. Er ging mit einem Palästinensertuch auf die Bühne und äußerte Genozid-Vorwürfe gegen Israel: "Natürlich stehen wir hier auch auf für das Leben. Waffenstillstand jetzt! Natürlich sind wir gegen den Genozid. Wir stehen in Solidarität mit all unseren Kameraden", sagte Russell unter Jubelrufen aus dem Publikum.
Israelisch-palästinensischer Film gewinnt Dokumentarfilmpreis
Der israelische Filmemacher Yuval Abraham und sein palästinensischer Kollege Basel Adra wurden für ihren Film "No Other Land" mit dem Berlinale-Dokumentarfilmpreis 2024 ausgezeichnet.
Die Dokumentation zeigt, wie die Bewohner des Dorfes Masafer Yatta im Westjordanland - hier wuchs Basel Adra auf - seit Jahren gegen die Zerstörung ihrer Häuser durch israelische Soldaten und bewaffnete jüdische Siedler kämpfen.
Der palästinensische Regisseur sagte in seiner Dankesrede, es falle ihm schwer zu feiern, während seine Landsleute im Gazastreifen "abgeschlachtet und massakriert" würden. Adra forderte Deutschland auf, "den Aufforderungen der UNO nachzukommen und keine Waffen mehr nach Israel zu liefern".
Sein Co-Regisseur, der israelische Journalist Yuval Abraham, sprach von "Apartheid" im Westjordanland. Er wies darauf hin, dass er und Basel Adra bei der Berlinale gleichberechtigt nebeneinander auf der Bühne stünden, es zu Hause aber anders aussehe. In in zwei Tagen würden sie in ein Land zurückkehren, in dem sein palästinensischer Kollege einer institutionalisierten Diskriminierung ausgesetzt sei, kein Wahlrecht habe und aufgrund seines palästinensischen Nummernschilds in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt sei. Deswegen fordere er eine Ende "dieser Apartheid, dieser Ungleichheit".
Diese Äußerungen sorgten ebenfalls für Aufregung. Ein israelischer Sender strahlte einen 30-sekündigen Ausschnitt dieser Rede aus und deklarierte sie als antisemitisch. Seitdem, so Yuval Abraham auf der Social-Media-Plattform X, erhalte er Morddrohungen.
Auch deutsche Politiker kritisieren Aussagen als "antisemitisch"
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner verurteilte die Äußerungen der Filmemacher scharf und nannte sie "eine untragbare Relativierung". In Berlin habe Antisemitismus keinen Platz, und das gelte auch für die Kunstszene, schrieb er auf X.
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, kritisierte "die sogenannte 'kulturelle Elite'" scharf. "Einmal mehr zeigt die deutsche Kulturszene ihre Voreingenommenheit, indem sie den roten Teppich ausschließlich für Künstler ausrollt, die die Delegitimierung Israels vorantreiben", schrieb er auf X und fügte hinzu: "Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert." Und dann, so Prosor weiter, werde auch noch applaudiert.
Der kultur- und medienpolitische Sprecher der sozialdemokratischen Partei, Helge Lindh, nannte den Beifall des Publikums am Galaabend "schockierend". "Ich schäme mich dafür, dass in meinem Land Leute Völkermordvorwürfe an Israel feiern, statt dem Auftrag aus dem deutschen Völkermord gerecht zu werden und dies auch auszudrücken", sagte Lindh der Tageszeitung "Welt".
Auch der deutsche Bundeskanzler meldete sich zu Wort. Eine derart einseitige Positionierung könne so nicht stehen gelassen werden, so Olaf Scholz.
"Hetze gegen Israel ist erschreckend regelmäßig geworden"
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, schloss sich der Kritik an: "Hetze gegen Israel und Juden auf deutschen Kulturveranstaltungen ist eine erschreckende Regelmäßigkeit geworden", sagte der er "Bild"-Zeitung. "Schon wieder ducken sich bei der Berlinale viele politisch Verantwortliche weg und haben nicht den Mut, gegen Applaus für Israelhass aufzustehen." Er erwarte von den politisch Verantwortlichen, dass sie endlich klare Positionen und Konsequenzen für die Kulturförderung vorgeben. Damit bezog er sich auf die Tatsache, dass die Berlinale von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und dem Land Berlin unterstützt wird. Berlins Kultursenator Joe Chialo sagte unterdessen, die Preisverleihung sei "geprägt von selbstgerechter antiisraelischer Propaganda" gewesen.
Deutsche Regierung leitet Untersuchung ein
Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklärte am Montag (26.02.2024), dass die Vorkommnisse während der Berlinale-Gala aufgearbeitet werden sollen. "Die Statements bei der Bärenverleihung waren erschreckend einseitig und von einem tiefgehenden Israelhass geprägt", so Roth. Nun müsse man untersuchen, ob die Berlinale ihrem Anspruch gerecht werde, ein Ort der Vielfalt, der unterschiedlichen Perspektiven und des Dialogs zu sein.
Roth will auch klären, wie in Zukunft sichergestellt werden könne, dass die Berlinale ein Ort "frei von Hass, Hassrede, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und allen Formen von Menschenfeindlichkeit" sein könne.
Berlinale in der Bredouille
Die Berlinale-Verantwortlichen distanzierten sich am Sonntagabend von den israelkritischen Äußerungen der Filmemacher und betonten, dass sie nicht die Position des Festivals widerspiegeln. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass Meinungsäußerungen bei kulturellen Veranstaltungen grundsätzlich nicht verhindert werden könnten und das auch nicht gewollt sei.
Anders als die Filmschaffenden auf der Bühne hatte die Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek auf der Gala auch die Situation der israelischen Opfer angesprochen. Sie forderte die Hamas auf, alle Geiseln freizulassen und bat Israel darum, "alles zu tun, um Opfer zu vermeiden".
Nach dem Rücktritt des Berlinale-Direktorenduos Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian wird die US-Amerikanerin Tricia Tuttle ab April 2024 offiziell die Festivalleitung übernehmen.
Dies ist eine gekürzte Fassung des englischen Originalartikels. Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords