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Gebaute Provokation

Andrea Horakh16. Juli 2012

Vor 30 Jahren revolutionierten die Dekonstruktivisten die Architektur. Schräge Linien und schwerelos wirkende Gebäude wurden zu ihrem Markenzeichen. Heute bauen sie weltweit die teuersten Prestigeobjekte.

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EZB-Neubau (Foto: Coop Himmelblau)
Bild: isochrom.com

Sie sind Rebellen. Konsequent zerschlagen sie die symmetrische Form. Das Ebenmaß, der Kubus, die vorhersehbare Linie - das alles ist dem Architekten-Duo Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky ein Graus. Die Österreicher sind besser bekannt unter dem Namen “Coop Himmelb(l)au“. Die Vorzeige-Dekonstruktivisten wollten einst den “Himmel neu bauen“. Für sie sollte Architektur genauso veränderbar sein wie der Wolkenhimmel.

Den "Himmel neu bauen"

Jetzt steht Wolf D. Prix auf einer gigantischen Baustelle in Frankfurt am Main, dem zukünftigen Arbeitsplatz von 2500 Menschen aus fast 30 Nationen. Hier entsteht ein Gebäude mit einer immensen Symbolkraft und Ausstrahlung: der Neubau der Europäischen Zentralbank. Es ist eine der größten Baustellen Deutschlands und sicherlich eine der bedeutendsten.

EZB Animation # 13.07.2012 # Sonder

2004 gewann “Coop Himmelb(l)au“ die Ausschreibung für das EZB-Projekt. Seit zwei Jahren wird gebaut. 43 Etagen im Süd-, 45 im Nordturm werden es am Ende sein. Ein Gebäude mit einer gigantischen Höhe von 220 Metern. Während der EURO in eine immer tiefere Krise rutscht, wachsen die Türme von “Coop Himmelb(l)au“ in den Himmel. Und mit ihnen die Frage: Was bleibt vom dekonstruktivistischen Furor? Was wurde aus den Helden dieses neuen, ganz anderen Bauens?

Die Anfänge

1988 prägt der amerikanische Baumeister Philip Johnson mit einer Architekturausstellung den Begriff “Dekonstruktivismus“. Es entstehen statisch hochkomplexe Gebäude, die wirken, als könnten sie jederzeit einstürzen. Türen, Treppen und Fenster müssen nicht mehr allein einer Funktion dienen, sondern bekommen einen eigenen, ästhetischen Wert. Der Dekonstruktivismus sprengt die Form. Unregelmäßige, expressive Linien werden stilprägend. Alles wird architektonisch auf den Kopf gestellt. Die Grenzen zwischen innen und außen, oben und unten verwischen. Eine große Freiheit lockt. Die Revolution im Bau.

Ufa-Gebäude Kristallpalast in Dresden (Foto: Gerald Zugmann)
Der "Kristallpalast" in Dresden, entworfen von Coop Himmelb(l)auBild: gerald zugmann

Eine Frau spielt in der dekonstruktivistischen Architektur ganz vorne mit: Zaha Hadid. Die Britin mit irakischen Wurzeln erhält 2004 die wichtigste Auszeichnung der Architekturwelt, dem Pritzker-Preis. Ihre Bauten scheinen sich den Gesetzen der Schwerkraft zu entziehen. Heute versetzen ihre “fließenden“ Räume Kritiker und Bauherren auf der ganzen Welt in Verzückung. Dabei konnte man Zaha Hadids Entwürfe jahrelang nur auf dem Papier bewundern. Niemand traute sich ihre verrückten Ideen zu bauen. Inzwischen gilt sie als Liebling reicher Auftraggeber, vor allem in den Arabischen Emiraten. Es ist eine Architektur jenseits der Avantgarde, aber auch allzu oft jenseits von demokratischen Entscheidungen.

Vitra-Feuerwehrhaus in Weil am Rhein von Zaha Hadid (dpa)
Das Vitra-Feuerwehrhaus in Weil am Rhein von Zaha HadidBild: picture-alliance/dpa

Der "Bilbao-Effekt"

1997 eröffnet das “Museo Guggenheim Bilbao“ von Frank Gehry. Es wird zu einem der meistbesuchten Gebäude der Welt. Hunderttausende pilgern jährlich in die baskische Stadt. Kritiker prägen den Begriff des "Bilbao Effekts". Das Museum verändert eine ganze Region und wird zu einem architektonischen Meilenstein. Damit sind die rebellischen Dekonstruktivisten endgültig im Mainstream angelangt. Ihre Bauten werden heute als “Architainment“ bezeichnet, eine Verbindung zwischen Kapitalismus, Angeberei und Architektur.

Das Guggenheim-Museum in Bilbao (Foto: dpa)
Guggenheim-Museum in Bilbao von Frank GehryBild: picture-alliance/dpa

Eines bleibt bis heute davon auf alle Fälle: die wilden Bauten der Dekonstruktivisten beseitigten einst die Langeweile in der Architektur. Sie standen für einen neuen Aufbruchsgeist, schenkten der Welt einige wirklich aufregende Häuser. Von ihrer rebellischen Kraft ist heute aber nicht mehr viel übrig.