EU noch immer anziehend
17. April 2013Wer Mitglied in der Europäischen Union werden will, muss viele Hürden überwinden. Serbien und das Kosovo, das sich von Serbien losgesagt hat, wollen beide in den europäischen Klub hinein. Sie blockieren sich beim Überwinden der Hürden im Moment gegenseitig. Ein Versuch der Europäischen Union, im Streit um den völkerrechtlichen Status des Kosovos zu vermitteln, ist erst vor wenigen Tagen nach vielen intensiven Verhandlungsrunden gescheitert. Jetzt soll an diesem Mittwoch (17.04.2013) ein allerletzter Anlauf gewagt werden.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die gerade auf dem Balkan unterwegs ist, hat vermittelt. Serbien ist zwar seit 2012 offizieller "Kandidat" für einen Beitritt zur EU. Ein Datum, wann konkrete Beitrittsverhandlungen beginnen können, hat Brüssel aber noch nicht genannt. Das ist noch eine Art Faustpfand in den laufenden Vermittlungsgesprächen mit dem Kosovo und Serbien. "Wir wollen auf keinen Fall neue Konflikte in die EU importieren", sagte der aus der Tschechischen Republik stammende EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle.
Schutz für die serbische Minderheit
Bevor Serbien über einen Beitritt verhandeln und das Kosovo einen weiteren Schritt hin zum "Kandidatenstatus" machen kann, müssen sich beide Seite einigen, wie die serbische Minderheit im Norden des sonst albanisch-geprägten Kosovo behandelt, verwaltet und geschützt werden soll.
Das Kosovo, eine ehemalige serbische Provinz, in der immer noch rund 6000 Nato-Soldaten für Sicherheit sorgen müssen, ist im Hürdenlauf zur EU noch weit hinter dem ehemaligen Mutterland Serbien hinterher. Der junge Staat hat vor allem das Problem, dass nicht alle Mitgliedsstaaten der EU ihn überhaupt anerkennen. Bevor dies nicht geschieht, sind förmliche Verhandlungen über einen Beitritt ausgeschlossen. Trotzdem bemüht sich Erweiterungskommissar Füle, den kleinen Staat so gut es geht auf EU-Standards vorzubereiten. In Fragen der Rechtssicherheit und bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität sei noch viel tun, heißt es in den einschlägigen Berichten der EU-Kommission.
Montenegro verhandelt mit der EU
Ein anderer Kleinstaat, der sich aus dem Verbund mit Serbien gelöst hat, ist Montenegro. 2006 wurde Montenegro unabhängig und hat bereits seit 2010 den Status eines Kandidaten. Die förmlichen Beitrittsverhandlungen haben begonnen und gewinnen mit Eröffnung weiterer Verhandlungsfelder an Fahrt. Lady Ashton, die EU-Außenbeauftragte, hat bei ihrer Balkanreise Montenegro als Vorbild für andere Staaten der Region gelobt. "Ich bewundere, wie Montenegro den Beitrittsprozess bewältigt", sagte Ashton. Allerdings muss sie auch hier vermitteln, denn die jüngste Präsidentenwahl in Montenegro endete mit einem Patt. Beide Kandidaten beanspruchen den Sieg für sich. "Ich bin zuversichtlich, dass Montenegro unsere gestiegenen Erwartungen erfüllen wird und die notwendigen Reformen einleitet", so Ashton in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros.
Auf den offiziellen Start von Verhandlungen wartet nach Angaben der EU-Kommission immer noch Beitrittskandidat Mazedonien, und zwar schon seit 2005. Die ehemalige jugoslawische Republik hat praktisch alle Bedingungen erfüllt, aber der Streit um den Staatsnamen mit dem EU-Mitglied Griechenland ist noch nicht beigelegt. Griechenland beansprucht den Namen "Mazedonien" exklusiv für seine nördlichste Provinz.
Kroatien darf 2013 hinein
Kroatien hat es geschafft. Das Land auf dem westlichen Balkan, das auch aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen ist, wird am 1. Juli 2013 das 28. Mitglied der Europäischen Union. Die EU-Kommission hatte im März 2013 noch einmal bestätigt, dass der ehemalige Kriegsgegner Serbiens aus den 1990er Jahren alle Bedingungen erfüllt. Förmlich müssen noch einige Parlamente der EU-Alt-Mitglieder den Erweiterungsvertrag ratifizieren.
Kroatien hatte bereits 2003 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Zehn Jahre hat der Beitrittsprozess also insgesamt gedauert. Als erste ehemalige jugoslawische Teilrepublik war Slowenien 2004 der Union beigetreten. Grenzstreitigkeiten mit Kroatien hat Slowenien im Rahmen der Beitrittsverhandlungen beigelegt. Die EU hat allen Staaten des westlichen Balkans mehrfach zugesagt, sie in die Gemeinschaft aufzunehmen, sobald die Kriterien für die Eröffnung eines Beitrittsverfahrens erfüllt sind.
Bosnien-Herzegowina und Albanien in der Warteschlange
Bosnien-Herzegowina konnte noch keinen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union stellen. Das Land, in dem die Aussöhnung der ehemaligen Kriegsparteien noch nicht gelungen ist, gilt als zu instabil für formelle Beitrittsgespräche. 2008 wurde ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen, das darauf zielt, Bosnien-Herzegowina näher an europäische Standards heranzuführen. Bosnien-Herzegowina bereitet sich im Moment darauf vor, seinen förmlichen Aufnahmeantrag zu stellen. Diesen Schritt hat Albanien bereits 2009 unternommen. Die EU-Kommission bescheinigte Albanien im Oktober 2012, dass es nach Abschluss weiterer Reformen im Justizwesen den Status eines "Kandidaten" erhalten solle.
Island und die Türkei schleppen sich dahin
Außerhalb des Balkans verhandeln zwei Staaten über einen Beitritt mit der EU: Island und die Türkei. Island, der Inselstaat im Nordatlantik, hat anfangs schnelle Fortschritte gemacht. Das Land drängte 2010 nach seiner Pleite während der Finanzkrise in die EU. Bis zu den Wahlen Ende April hat Island die Verhandlungen aber ausgesetzt, weil inzwischen eine klare Mehrheit der 300.000 Isländer laut Umfragen einen EU-Beitritt ablehnt. Die Isländer befürchten eine Einschränkung ihres Fischfangs durch Brüssel, außerdem geht es wirtschaftlich mittlerweile wieder aufwärts.
Die Türkei hat den bisher längsten Beitrittsweg hinter sich. Bereits 1987 stellte das Land den Mitgliedsantrag. 1999 erhielt es den Kandidatenstatus und seit 2005 finden formelle Beitrittsverhandlungen statt. Da einige Regierungen in der EU, darunter die deutsche und französische, schwere Bedenken gegen eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union hatten, finden die Verhandlungen "ergebnisoffen" statt.
Ob es einen Beitritt geben könnte, entscheidet sich wahrscheinlich erst am Ende des Jahrzehnts. Seit 2006 stocken die Verhandlungen ohnehin, da die Türkei das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt. Türkische Truppen halten den Nordteil Zyperns besetzt. In der Türkei selbst nimmt die Zustimmung für einen Europa-Kurs immer weiter ab. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül sagte aber nach der schweren Bankenkrise auf Zypern, der wirtschaftliche Kollaps des Südens der Insel biete eine Chance, die Teilung zu überwinden. "Es gibt ein neues Klima für weitere Schritte nach vorne", sagte er bei einem Besuch in Litauen.
Weitere potenzielle Beitrittskandidaten sind die osteuropäischen Staaten, die in der "Östlichen Partnerschaft" mit der EU verbunden sind. Die Ukraine, Georgien und Moldawien haben zeitweise Interesse an einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union bekundet, echte Chance auf eine Aufnahme haben sie in absehbarer Zeit aber kaum. Armenien und Aserbaidschan sind vor allem durch wirtschaftliche Abkommen mit der EU verbunden. Da in Minsk Präsident Alexander Lukaschenko diktatorisch regiert, sind die offiziellen Beziehungen der EU zu Belarus (Weißrussland) im Moment auf Eis.
Beitritte sind der Normalfall
Die Europäische Union kennt sich mit Beitritten übrigens aus, denn immerhin sind 21 der heute 27 Mitglieder erst nach der Gründung durch sechs Staaten im Jahr 1957 aufgenommen worden. Am schnellsten klappte der Beitritt für Finnland. 1992 stellten die Finnen den Aufnahmeantrag. Drei Jahre später waren sie bereits Mitglieder im europäischen Klub.
Den ungewöhnlichsten Beitritt erlebten die Bürger der ehemaligen DDR. Sie wurden über Nacht Bürger der Europäischen Union, weil die DDR der Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 beitrat. Es gab keine formellen Verhandlungen, aber die Bundesregierung leistete mit freiwilligen Finanzierungszusagen Überzeugungsarbeit bei skeptischen Mitgliedern wie Großbritannien.
Briten rein oder raus?
Als erstes Land soll Großbritannien bis 2017 nach dem Willen des konservativen Ministerpräsidenten David Cameron über seinen Verbleib in der Europäischen Union abstimmen. Cameron kündigte im Januar 2013 ein entsprechendes Referendum im traditionell europa-skeptischen Königreich an. Die britische Regierung verlangt weitreichende Reformen in der EU. Kompetenzen sollen von der Zentrale wieder an die Nationalstaaten übertragen werden. Es sei an der Zeit, den Briten eine einfache Frage zu stellen, so Cameron: "Wollt ihr drinnen oder draußen sein? Wollt ihr in einer reformierten EU bleiben oder ganz austreten?"
Bisher hatte die Europäische Union nur einen - zumindest halben - Austritt zu verzeichnen. 1985 verließ Grönland die damalige Europäische Gemeinschaft, nachdem es von Dänemark 1979 in eine weitgehende Selbstverwaltung entlassen wurde.