Umstrittene Arbeit der Geheimdienste
17. November 2011Sie tauchen nicht nur tief ein in eine kriminelle, manchmal sogar terroristische Szene, sie sind sogar selber Teil dieser Szene: die V-Männer der Geheimdienste. Zwar sammeln sie nur einen vergleichsweise geringen Teil der Informationen, die der Verfassungsschutz, der deutsche Inlandsgeheimdienst, oder der Bundesnachrichtendienst, Deutschlands Auslandsgeheimdienst, für ihre Arbeit brauchen. Aber ihre Rolle und ihre Arbeit sind hoch umstritten.
"Sie werden in aller Regel mit mehr oder weniger Druck oder durch Versprechen rekrutiert: Manchmal verspricht man ihnen nach einer Straftat im Gefängnis frühere Entlassung, wenn sie mitarbeiten", erklärt Rolf Gössner, "oder die Dienste nutzen andere persönliche Probleme wie hohe Schulden oder Drogenabhängigkeit, um den Betreffenden von einer Mitarbeit zu überzeugen."
Gössner ist Rechtsanwalt, linker Bürgerrechtler und stellvertretender Richter am Bremer Staatsgerichtshof. Und er wurde selbst vom Verfassungsschutz knapp 40 Jahre lang überwacht – bis er dagegen vor dem Verwaltungsgericht Köln klagte und gewann. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellte seine Überwachung ein. Gössner gilt heute als Geheimdienstkenner und – sicher nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Geschichte – als Kritiker.
Ein "Akt der Schizophrenie"
Als V-Männer sind die angeheuerten Spitzel einerseits Teil eines staatsfeindlichen, in diesem Fall eines neo-nazistischen Milieus. Andererseits beobachten sie das Milieu im Auftrag des Staates, um eben diesen Staat zu schützen. "Diesen Akt der Schizophrenie können nicht alle durchführen", sagt Hans-Heiner Kühne, emeritierter Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier: "Manche erliegen dann dem Charme der Szene und vergessen ihren eigentlichen Auftrag. Das gilt insbesondere, wenn sie nicht sehr konsequent und eng geführt werden."
In der Vergangenheit habe sich immer wieder gezeigt, dass eine "dramatisch mangelnde Kontrolle" der V-Leute vorliege. Andererseits könne man sie auch nicht ständig zum Rapport rufen, denn dann fielen sie in der Szene auf, so der Rechtswissenschaftler. "Das ganze Institut dieser V-Leute ist sehr problematisch", davon ist Hans-Heiner Kühne überzeugt.
Umstrittene Wirkung der V-Leute
Sie ganz abzuschaffen, wozu manche Fachleute tendieren, bedeutet aber auch, auf Informationen zu verzichten, die anderweitig kaum zu beschaffen wären. Ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass V-Leute Honorare für ihre Tätigkeit bekommen. Damit, so kritisiert Rechtsanwalt Rolf Gössner, habe der Staat nämlich nicht nur nichts gegen die rechtsextreme Szene getan, sondern habe sie sogar über seine bezahlten Spitzel letztlich mit finanziert und gestärkt.
An den in der Szene eingesetzten V-Männern scheiterte auch der Versuch eines Verbots der rechtsextremen Partei NPD 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht.
Doch ein NPD-Verbot würde ohnehin nichts bringen im Kampf gegen Rechtsextremismus, glaubt Hans-Heiner Kühne: "Man kann die NPD besser kontrollieren, wenn man sie nicht in den Untergrund abdrängt". Wenn die Rechtsextremen nach einem Verbot erst einmal im Untergrund agierten, seien diese Aktivitäten noch schlechter zu prüfen. "Ein Verbot würde natürlich eine deutliche Distanzierung von dieser Gruppierung symbolisieren und wäre politisch bedeutsam. Aber effizient wäre das nicht," meint Kühne.
Geheimdienste behalten vieles für sich
Ein weiterer Kritikpunkt rund um die Neonazi-Morde ist die mangelhafte Kommunikation zwischen Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden: Tatsächlich muss der Verfassungsschutz den Staatsanwaltschaften und der Polizei nur dann Informationen übermitteln, wenn wirklich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. So steht es im Bundesverfassungsschutzgesetz. Andererseits gibt es aber auch explizite Übermittlungsverbote, zum Beispiel, wenn "überwiegende Sicherheitsinteressen" Deutschlands das erfordern.
"Und das ist auch sehr gut so geregelt", sagt Hans-Heiner Kühne. Denn die Verfassungsschützer dürften sehr viel mehr als die Polizei darf, wenn sie kriminelle Machenschaften ausforschten.
Die Macht der Polizei ist begrenzt – und die der Geheimdienste?
Wenn die Polizei sämtliche Informationen des Verfassungsschutzes bekäme, die der Geheimdienst auf geheimem und illegalen Wege erlangt hätte, würden alle Schutzmechanismen des Polizeirechts und des Strafverfahrensrechts außer Kraft gesetzt, erklärt Hans-Heiner Kühne.
Zu diesen Schutzmechanismen zählen zum Beispiel Beweiserhebungsverbote: Die verhindern etwa, dass Ermittler ohne weiteres überall heimlich Gespräche mitschneiden und sie dann gegen die Belauschten verwerten dürfen. Überhaupt dürfen Beweise nicht verwertet werden, wenn sie illegal erlangt wurden. All diese Instrumente, die einen Verdächtigen schützen sollen, wären überflüssig, wenn es einen uneingeschränkten Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten und der Polizei gäbe.
Kühne betont deshalb: "Aus rechtsstaatlichen Gründen ist die Macht der Polizei sehr begrenzt. Zur Begrenzung der Macht des Staates ist es sehr wichtig, auch auf eine sehr begrenzte Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz zu achten."
Wie gut ist die politische Kontrolle?
Alle deutschen Geheimdienste unterliegen der Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG). Doch auch durch die Parlamentarier sei ein Geheimdienst nie vollständig demokratisch zu kontrollieren, sagt Rolf Gössner. Daher bestehe die Gefahr der Verselbständigung, Eigenmächtigkeit und Willkür, so der linke Bürgerrechtler weiter.
Rechtswissenschaftler Hans-Heiner Kühne wägt ab: "Der Theorie nach ist das Parlamentarische Kontrollgremium ausreichend, aber was da wirklich geschieht, das kann ich nicht sagen, weil es selbst geheim tagt, um das Geheimnis der Informationen zu wahren. Aber ob es wirklich funktioniert, können nur die politisch Verantwortlichen beurteilen."
Die politisch Verantwortlichen müssen nun auch entscheiden, ob und wenn ja, welche Reformen sie im System der deutschen Geheimdienste durchführen wollen.
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Andrea Grunau